Coburger Schande


 

Aus Gründen des inhaltlichen Zusammenhanges und des knappen Platzes wurden die folgenden Beiträge zu einer Kurz-Chronologie unter neuem Titel komprimiert:


1. Eine Straße für den Nazi

2. Stadt der Schande

3. Professor Persil

4. Stoscheks Weltsicht oder Die Arroganz der Macht 


 

1. Eine Straße für den Nazi 

 

Derzeit spielt sich im oberfränkischen Coburg eine Farce um Macht und Anstand ab, die man als Provinzposse abtun könnte, würde sie nicht drei wichtige Charakteristiken der deutschen (vor allem auch bayerischen) Realität pointiert abbilden, als da wären die Erpressbarkeit der Kommunen, das ungebrochene Verhältnis zu finsteren Traditionen und das anrüchige Mäzenatentum der Superreichen.

 

Die Brose GmbH & Co. KG ist einer der großen international agierenden Automobilzulieferer. Allein 2014 wies die Bilanz fünf Milliarden Umsatz aus, kein Problem also für das Familienunternehmen, immer wieder Organisationen und Vereine, darunter den mehrfachen deutschen Basketball-Meister Brose Baskets Bamberg zu sponsern. Nur in Coburg, dem Stammsitz der Firma, flossen seit über zehn Jahren keine Mittel mehr an bedürftige Initiativen und soziale Gruppen. Der Grund für diese Knausrigkeit der Heimat gegenüber ist in der gekränkten Eitelkeit des derzeitigen Brose-Chefs Michael Stoschek, eines der reichsten Männer Deutschlands, zu suchen; oder sollte man eher von politischer Amnesie reden, oder gar von skrupelloser Übertünchung der Vergangenheit?

 

Der Coburger Stadtrat hatte 2004 gegen die Umbenennung der Von-Schultes-Straße in Max-Brose-Straße gestimmt. Der Firmengründer war nämlich seit 1933 Mitglied der NSDAP gewesen, hatte für Rüstungsaufträge in seinem Coburger Werk Zwangsarbeiter beschäftigt und war zum Wehrwirtschaftsführer aufgestiegen. Wegen ihrer nachtragenden Haltung zu Opas „Jugendsünden“ entzog der treue Enkel Stoschek der aufmüpfigen Stadt seine Gunst, seine Spenden und seine Investitionen. Die Gelder flossen in den Raum Bamberg, wo der Konzern inzwischen auch ein neues Verwaltungsgebäude im Ort Hallstadt errichten lässt und die Fabrik – selbstredend – an der Max-Brose-Straße liegt. Auch für den arg lädierten Ruf des Großvaters wollte Stoschek etwas tun und bezahlte einen Historiker dafür, ein Buch mit dem Tenor zu schreiben, Max Brose sei gar kein überzeugter Nationalsozialist gewesen. Die NSDAP-Mitgliedschaft demnach reinerZufall, die Ernennung zum braunen Wirtschaftsbonzen eine Intrige gegen seinen inneren Widerstand, Zwangsarbeiter, die ihm gegen seinen Willen zuliefen?

 

Coburg mit seinen 40.000 Einwohnern im oberfränkischen Norden Bayerns ist eine schöne mittelalterliche Stadt, überragt von der Veste, einer der wuchtigsten Burganlagen im ganzen Land. Den dunklen Flecken in der jüngeren Vergangenheit, als Coburg 1929 die erste deutsche Stadt wurde, die der NSDAP bei (noch) freien Wahlen zur Stadtratsmehrheit verhalf, wollte die Mehrheit des Kommunalparlaments 2004 ins Gedächtnis rücken und  ihr Straßenverzeichnis nicht mit dem Namen eines schwer Belasteten verunzieren. Coburger sind aber rührige Bürger, die für ihr freiwilliges Engagement Förderung und für ihr täglich Brot Arbeitsplätze wollen. Und so hat der jetzige Oberbürgermeister eine Kehrtwende vollzogen, die Fassungslosigkeit bei den letzten lebenden Opfern und Verachtung in der kritischen Öffentlichkeit provoziert.

 

Im öffentlich-rechtlichen Info-Sender Bayern 5 war zu hören, dass Norbert Tessmer, neues SPD-Stadtoberhaupt, angekündigt hat, sich für den damaligen Stadtratsbeschluss zu entschuldigen und die Straßenumbenennung nach dem Volksgenossen Brose in die Wege zu leiten. Mit anderen Worten: Ein gewählter sozialdemokratischer Funktionsträger bittet um Verzeihung dafür, dass seine Vorgänger sich ausnahmsweise nicht vor dem großen Geld in die Hose gemacht haben! Damit reiht sich Tessmer in die bedeutende Gilde jener illustren Mandatsinhaber seiner Partei ein, die der (allerdings immer etwas verschwommen) antikapitalistisch auftretenden Sozialdemokratie der frühen Jahre die sozialen und geschichtsbewussten Flausen austrieben.


Als Beispiel sei der SPD-Reichswehrminister Gustav Noske zitiert, der gemäß den Erinnerungen des ausführenden Offiziers Waldemar Pabst der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht „zustimmte“ , Soldaten die Liquidierung aufständischer Arbeiter befahl, die rechtsextremen Freikorps von der Leine ließ und all dies lakonisch kommentierte: „Meinetwegen! Einer muss den Bluthund machen!“ So martialisch gab sich Oberbürgermeister Tessmer freilich nicht; er glaubte nur, den Schleimer machen zu müssen, um den Strahl der Gnade des gottähnlichen Brose-Chefs wieder auf seine Kommune lenken zu können – auch wenn er dafür braune Stiefel lecken muss.

 

Laut Bayern 5 haben sich sowohl Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, als auch der Coburger Publizist Edmund Frey vehement gegen den Kotau vor Brose ausgesprochen. Mittlerweile haben Tessmer und Stoschek nach einem Gespräch mit Schuster einen Rückzieher gemacht. Vorerst soll keine Coburger Straße nach Max Brose benannt werden. Der Verdacht des vorauseilenden Gehorsams des SPD-OB und seiner Fraktionskollegen aber bleibt. Frey wirft den Kommunalpolitikern vor, dass man „einen ausgewiesenen Nationalsozialisten wie Max Brose jetzt weißwäscht“. Er hält es für „eine Schande, dass ein demokratisch gewähltes Gremium (…) vor der ökonomischen Macht des Michael Stoschek zu Kreuze kriecht“.  

 

Genau darum geht es: Konzernleiter ziehen Arbeitsplätze ab und lassen Regionen am langen Arm verhungern, wenn Volksvertreter nicht die richtige, also rechte, Gesinnung zeigen, milliardenschwere Mäzene machen Almosen vom politischen Wohlverhalten der Empfänger abhängig, Sponsoren verabschieden sich, wenn ihnen nicht die Befehlsgewalt und Meinungsoberhoheit übertragen wird. Gönner und Spender, die ihr Vermögen zu großen Teilen der Steuervermeidung, der Spekulation oder dem Lohn-Dumping, verdanken, folglich der Allgemeinheit Mittel entziehen, gerieren sich als Wohltäter der Gesellschaft, vorausgesetzt diese legt Kritikfähigkeit sowie politisches Denken ab und ist den post-kapitalistischen Neo-Feudalherren zu Willen. Man verdient sich sein Auskommen nicht mehr, es wird einem gewährt, wenn man gehorsam ist.

 

Der Fall Tessmer/Stoscheck/Brose ist natürlich nicht singulär hierzulande, er ist nur ein besonders widerliches Beispiel für die Wechselwirkung von erzreaktionärer Machtausübung, restaurativer Vergangenheitsfälschung und hemmungslosem Opportunismus. Coburg ist überall, besonders schlimm zurzeit aber in Oberfranken.


03/2015

 


 

 

2. Stadt der Schande

 

Während sich an aus deutscher Sicht historisch-fatalen Jahrestagen, etwa eines Weltkriegsendes oder der Befreiung von Auschwitz, Politiker zwischen zwei Fototerminen stets Formulierungen der Betroffenheit und der Scham abringen, um gleich danach darauf hinzuweisen, wie toll sich die Bundesrepublik doch ihrer Verantwortung gestellt habe, müssen Initiativen und renitente Bürger die Kleinarbeit verrichten: Dazu gehört die Forderung nach Umbenennung von Straßen, die einst mit dem Nationalsozialismus fraternisierenden Geistlichen oder durch Kriegsverbrechen desavouierten Generälen gewidmet wurden. Oft scheitern die Geschichtsbewussten an der Ignoranz der Kommunalgrößen; dass es noch ganz anders und viel schlimmer kommen kann, beweist das Beispiel des oberfränkischen Coburg: Warum nicht – ganz alternativ – mit tatkräftiger Unterstützung eines SPD-Stadtoberhaupts eine Straße hier und heute auf den Namen eines Nazis taufen?


 

Die Weißwäscher

 

Mit 26 zu 11 Stimmen hat der Coburger Stadtrat die Umbenennung der Von-Schultes-Straße in Max-Brose-Straße beschlossen. Nur sieben der zehn anwesenden sozialdemokratischen und alle vier grünen Stadtverordneten weigerten sich, einen Mann so zu ehren, der

- bereits 1933 in die NSDAP eingetreten war und seiner Partei treu  

  blieb, bis ihre Schreckensherrschaft von den Alliierten gebrochen

  wurde,

- schon während der Weimarer Republik der demokratiefeindlichen  

  Hugenberg-Partei DNVP, die sich einige Jahre nach der Unterstützung

  des Kapp-Putsches mit der NSDAP arrangierte, angehört hatte,

- eine Zwangsauktion nutzte, um sich das Werk des verfolgten jüdischen

  Unternehmers Abraham Friedmann zu sichern,

- als Wehrwirtschaftsführer eine bedeutende Position in der

  nationalsozialistischen Elite einnahm,

- in seinem Rüstungsbetrieb Zwangsarbeiter schuften ließ und

- an die Stadt Coburg früh eine Hitler-Büste auslieh, sie aber 1934

  wieder zurückforderte, wohl um sich privat an des Führers Konterfei

  erbauen zu können.

 

Im Entnazifizierungsverfahren allerdings stellte die Spruchkammer 1949 aufgrund der Aussagen eines einzigen Zeugen, zufälligerweise eines engen Freundes von Brose, fest, der Beschuldigte habe „die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus nicht im geringsten gefördert“. Wie in solchen Urteilen gegen Prominente und Wirtschaftsbosse üblich, wurde dem gesellschaftlichen Aushängeschild der NSDAP bloße Mitläufer-Funktion zugebilligt. In der damaligen Bundesrepublik gingen konservative und restaurative Kräfte Hand in Hand daran, den Mantel des Schweigens über das Unsägliche zu breiten.

 

Der spitzfindigen Spruchkammer-Argumentation mochte aber 2004 die Coburger Stadtratsmehrheit nicht folgen und lehnte den Antrag, eine Straße nach Max Brose zu benennen, wohlbegründet ab. Im Gegensatz zu den Vorgängern lernten der jetzige Oberbürgermeister Norbert Tessmer und die gegenwärtige Kommunal-Majorität allzu schnell das Lied desjenigen zu singen, an dessen Brot sie wollten. Max Brose war für sie nun wieder ein ehrenwerter Mann, auch wenn alle Straßen Deutschlands nicht reichten, um sämtliche Mitläufer bei den Nazis (um nur das Harmloseste zu unterstellen) zu ehren, auch wenn der ehemalige Nürnberger Kulturreferent Hermann Glaser der Stadt Coburg in einem Brandbrief attestierte,„dass dort wieder einmal Weißwäscher Geschichte umzuschreiben versuchen“.

 

Die Obsession des Enkels

 

Auf den Plan war nämlich Michael Stoschek getreten, der Enkel von Max Brose und Erbe des Konzerns. Geradezu besessen vom Wunsch, den Opa und die Familie von der Schmach vergangenen Fehlverhaltens reinzuwaschen, bestellte und bezahlte der Milliardär ein Gutachten des Erlanger Geschichtsprofessors Gregor Schöllgen (dessen marktorientierte Affinität zu belasteten Wirtschaftsgrößen auf walter-view in Kürze noch Thema sein wird), das den Persilschein der Spruchkammer bestätigte. Zwar warfen inzwischen mehrere Historiker Schöllgen krass unwissenschaftliches Arbeiten vor, doch focht dies den Brose-Enkel nicht an. Im Gegenteil: Sein Großvater sein „ein Vorbild“ gewesen, „insbesondere auch wegen seines Verhaltens im Dritten Reich“, erklärte Stoschek und setzte im ARD-Magazin Kontraste noch eins drauf, indem er sich dazu verstieg, Brose mit Schindler zu vergleichen, der zahllose Juden vor dem Vernichtungslager bewahrt hatte, nur dass des Oberfranken Heldentaten durch widrige Umstände verhindert worden seien: „Im Gegensatz zu Oskar Schindler gab es in Coburg keine Konzentrationslager in der unmittelbaren Umgebung, so dass mein Großvater keine Juden retten konnte.“

 

In seiner manischen Konsequenz erinnert Stoschek ein wenig an den Medien-Mogul, der in Orson Welles` brillantem Film Citizen Kane seine unmusikalische Frau zur gefeierten Operndiva machen will – und wenn er dafür die gesamte US-Öffentlichkeit erpressen, bestechen und aufkaufen muss. Doch während Kane seine fixe Idee letztlich nicht durchsetzen kann, ist Stoschek erfolgreich, weil er einer Stadt auf archaische Weise die Daumenschrauben ansetzt und die Opportunisten zwischen CSU und rechter SPD in seine Gefolgschaft zwingt. Nach dem Stadtratsbeschluss 2004 zog er Produktionsstätten und Verwaltung aus Coburg ab und stellte die bis dahin großzügige finanzielle Unterstützung für Vereine und kulturelle Projekte völlig ein. Nach und nach schloss sich die schweigende Mehrheit der Geschichtsklitterer daraufhin auch der krudesten Rabulistik an, wenn sie dazu diente, Brose reinzuwaschen. Dabei hätten sie die Wahrheit und die seriösen Mahnungen hören können, wenn sie sie denn hätten hören wollen:

- Der Coburger Historiker und PublizistEdmund Frey, dessen teilweise

  jüdische Verwandtschaft unter den Nazis gelitten hatte, sprach Klartext:

  „Ich halte es für eine Schande, dass ein demokratisch gewähltes

  Gremium wie der Stadtrat, wie der Oberbürgermeister vor der

  ökonomischen Macht des Michael Stoschek zu Kreuze kriecht.“

- Ähnlich argumentierte Susanne Höll in der Süddeutschen Zeitung: „Und

  dass eine Stadt wie Coburg sich nur zu einem Namensdeal bereitfindet,

  weil die Firmenerben sonst nicht mehr für gute Zwecke spenden, ist  

  ebenfalls indiskutabel.“

- Etliche Historiker und Archivare aus Nürnberg, Jena oder Coburg selbst

  wiesen öffentlich auf die inhaltlichen Fehler und Auslassungen in

  Stoscheks „Beweisführung“ hin.

- Die ARD, die Financial Times und etliche andere Medien interessierten

  sich plötzlich für Coburg – allerdings in einer Art und Weise, wie sie

  den Oberfranken gar nicht recht sein kann.

- Selbst der nicht gerade als linksverdächtig und wirtschaftsfeindlich

  bekannte Bayerische Rundfunk berichtete zunehmend kritisch über die

  Brose-Ehrung und schob kurz vor der Abstimmung im Stadtrat noch

  eine belastende Bewertung des Bamberger Professors für Neuere und

  Neueste Geschichte, Andreas Dornheim, nach: Brose sei auch zum

  Abwehrbeauftragten ernannt worden,was besonders problematisch sei,

  da die Nominierung für diesen Posten nur vom Reichsführer SS oder

  vom Oberkommando der Wehrmacht erfolgen konnte. Diese  

  Abwehrbeauftragten galten als Hilfsorgane der Gestapo – nicht gerade

  eine typische Aufgabe für ein „Vorbild“, das sich (innerlich) von Hitler  

  distanzierte, wie Stoschek über seinen Großvater konfabuliert.

 

Die nun belasteten Stadträte in Coburg hielten für solche Argumente die Augen und Ohren verschlossen, leider aber hielten sie den Mund nicht, quasselten – ganz wie Stoschek – von „unabhängiger Entscheidung“ sowie „ergebnisoffener Untersuchung“ (natürlich mit dem rechten/ richtigen Ergebnis) und hoben brav die Hand, um einen ausgewiesenen Nazi zu ehren.

 

Die Feiglinge

 

Für das feige Verhalten und die Käuflichkeit einer Bürgerschaft und deren Repräsentanten gibt es in der Literatur einige Beispiele, oft zur Farce überspitzt oder in die Absurdität verfremdet. So sei Dürrenmatts „Besuch der alten Dame“ erwähnt, eine Tragikomödie, in der eine Milliardärin in ihr Schweizer Heimatkaff zurückkehrt und die Einheimischen erfolgreich durch die Gewährung finanzieller Wohltaten dazu anstiftet, den (bis dahin geachteten) Mitbürger, der die Dame in ihrer Jugend geschwängert und verleugnet hat, über die Klinge springen lassen. In Mark Twains Erzählung „Der Mann, der Hadleyburg korrumpierte“ werden einem Ausgestoßenen von den Städtern erbarmungslos Nahrung und Obdach verweigert. Der Mann kommt viele Jahre später zurück und sucht einen (fiktiven) Wohltäter, der ihm damals 20 Dollar geschenkt hätte. Seinem Retter bietet er reiche Belohnung, und schon interpretieren die hartherzigen Bürger ihre  Vergangenheit um, erinnern sich an die (vermeintliche) eigene Wohltätigkeit und geraten sich über das Geld in die Haare. Wirklich absurd? Auch in Coburg wird ein Teil der Vergangenheit uminterpretiert, lassen Bürger alle Skrupel fahren, weil großes Geld winkt.

 

Coburg war 1929 die erste Stadt in Deutschland, in der die NSDAP die Mehrheit errang, es ist nun auch die erste Kommune nach 1945, die – in voller Kenntnis der Umstände – eine Straße nach einem Nazi benennt. Bei allem Ekel vor Bürgern, die auf den Gräbern der Opfer und den Gefühlen der Hinterbliebenen herumtrampeln, darf man die politischen Weiterungen nicht aus den Augen verlieren: Wenn solches Handeln einen neuen Ansatz nationaler Vergangenheitsbewältigung symbolisieren sollte, dann ist Coburg bald überall; und in Deutschland wird es noch ungemütlicher für Geschichtsbewusste als bisher schon.

 

05/2015

 



  

Professor Persil

 

Historiker Schöllgen reinigt Unternehmerwesten

 

Als unlängst der wohl letzte Auschwitz-Prozess zu Ende ging und das Lüneburger Landgericht den früheren SS-Mann Oskar Gröning zu vier Jahren Haft verurteilte, da wurde spät, aber diesmal nicht zu spät der Gerechtigkeit zumindest ansatzweise Genüge getan. Gröning hatte selbst wohl keinen Häftling umgebracht, aber er hatte als Buchhalter des Grauens dafür gesorgt, dass die Vernichtungsmaschinerie reibungslos funktionierte. Immerhin zeigte der Greis echte Reue, was man von anderen, die ebenfalls nicht selbst Hand anlegten, aber an wesentlich einflussreicheren Positionen den Nazi-Terror am Laufen hielten, nicht behaupten kann. Sie waren früh NSDAP-Mitglieder, wurden Wehrwirtschaftsführer, beuteten Zwangsarbeiter und auch KZ-Insassen aus, wurden aber nach dem Krieg vor den Spruchkammern von alten Kameraden entlastet und von willigen (daher nachlässig ermittelnden) Juristen freigesprochen. Max Brose, Karl Diehl oder Gustav Schickedanz erhielten damals den Persilschein, begannen sogleich, wieder im  Spiel um Geld und Macht mitzumischen, und sie oder ihre Erben ließen schließlich die Vergangenheit nachträglich verklären. Dazu wurde der Erlanger Wissenschaftler Prof. Dr. Gregor Schöllgen benötigt und honoriert -  ein bekannter Historiker, wie ihn sich der einfache SS-MannGröning zwecks Entschärfung seiner Biografie gar nicht hätte leisten können.

 

Der Coburger Brose-Skandal

 

Am 21. Mai dieses Jahres stimmte der Coburger Stadtrat mehrheitlich der Umbenennung einer Straße in Max-Brose-Straße zu. Angestoßen und mit immenser Energie betrieben hatte Broses Enkel Michael Stoschek, einer der reichsten Unternehmer Deutschlands, dieses historisch anrüchige Projekt. Noch 2004 hatte der Stadtrat in Coburg die Umbenennung abgelehnt, denn als Namensgeber mit Vorbildcharakter schien der Gründer des weltweit agierenden KFZ-Zulieferers Brose nicht zu taugen: Der Unternehmer war bereits 1933 in die NSDAP eingetreten, hatte als Wehrwirtschaftsführer eine aktive Rolle im Dritten Reich gespielt, Zwangsarbeiter beschäftigt und von der Arisierung jüdischen Grundbesitzes profitiert.

 

Dass ausgerechnet ein Sozialdemokrat, der Coburger OB Norbert Tessmer, die Umbenennung lancierte, hat wohl damit zu tun, dass Enkel Stoschek Arbeitsplätze aus der Stadt abzog und seine Unterstützung von Vereinen einstellte. Die Opportunisten im Stadtrat verwiesen bei ihrer sinistren Entscheidung auf eine wissenschaftliche Monografie des Historikers Gregor Schöllgen, der das Zentrum für angewandte Geschichte (ZAG) an der Erlanger Uni leitet – ein Institut mit dubiosen Zielsetzungen, von denen noch die Rede sein wird.

 

Makaber erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Arbeit von dem sehr an der Reinwaschung seines Großvaters interessierten Michael Stoschek bestellt und bezahlt worden war. Professor Schöllgen lieferte denn auch das erhoffte Ergebnis. So verwies er auf die Urteile der Entnazifizierungs-Spruchkammern, denen zufolge Max Brose zunächst als Minderbelasteter und später als bloßer Mitläufer eingestuft wurde - das übliche Resultat angesichts alter Seilschaften in Justiz und Zeugenschaft. Schöllgen exkulpiert Brose ohne Belege, ohne gegenteilige Indizien entkräften zu können, und bescheinigt dem Nazi-Unternehmer eine innere Distanz zur NSDAP, obwohl dieser u. a. eine 1933 erworbene Hitler-Büste der Stadt lieh und sie später als Schmuck fürs Eigenheim zurückforderte.

 

Für Schöllgen war auch die Ersteigerung eines Hauses des jüdischen Fabrikanten Abraham Friedmann „rechtens“. Dabei beruft sich der willige Professor auf die Aussage des Rechtsanwalts Alfred Ehrlich vor der Spruchkammer, nach der die Zwangsenteignung Friedmanns mit einer 1930 aufgenommenen Hypothek zusammengehangen habe und nicht mit Arisierungen durch die Nazis, die ja damals noch gar nicht an der Macht gewesen sein sollen. Der Coburger Kultur- und Museumswissenschaftler Dr. Hubertus Habel wies Ehrlich, der zufälligerweise bei der Auktion der Friedmann-Villa als Notar fungiert hatte, zwei Unwahrheiten nach: Einmal verfügte die NSDAP in Coburg bereits seit 1929 über die Stadtratsmehrheit, zum andern erfolgte die Zwangsversteigerung aufgrund des 1933 von den Nazis verfügten Dekrets zur Einziehung kommunistischen Vermögens. Auch die Behauptung, der Kaufpreis für die Villa sei angemessen gewesen, entbehrt jeder Grundlage. Jedenfalls sah dies Max Brose wohl ebenfalls so. Hätte er ansonsten nach dem Krieg einen Vergleich mit Friedmanns in Paris lebenden Töchtern geschlossen und 25.000 DM nachbezahlt?

 

Die Stadtratsmehrheit stützte sich also auf dünne „Fakten“, an deren wissenschaftliche Validität sie vermutlich allein glauben will. „Ich schäme mich für Coburg“, hatte der Historiker und Archivar Dr. Edmund Frey die Umbenennung kommentiert. Nur, wer schämt sich für den Lehrstuhl für Neue Geschichte II an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg?

           

Wissenschaftliche Weißwäscher

 

Schöllgens Credo, „dass sich jeder Wissenschaftler auch auf dem freien Markt behaupten müsse“, scheint auf einem Deal zu basieren, dem zufolge der marktkompatible Forscher nur so viel eruiert, dass es dem Auftraggeber nicht schadet, dass diesem sogar die von dunklen Verdächten und unangenehmen Fakten besudelte Weste weißgewaschen wird, wofür dann eine ordentliche Bezahlung ansteht.

 

Schöllgens Biografien der durch ihre Vergangenheit während des Dritten Reiches belasteten Unternehmer Brose, Schickedanz, Schöller und Diehl ernteten quer durch die Republik Kritik, Spott und Ablehnung seitens seiner Kollegen. Seine Arbeitsweise wurde als wenig wissenschaftlich abqualifiziert: So wirft der Historiker Dieter Ziegler, Professor an der Ruhr-Universität Bochum, seinem Erlanger Kollegen „mangelnde Professionalität und Seriösität“ vor. Angesichts von Schöllgens laxem Umgang mit Quellen und Nachweisen fragt Ziegler: „Wie will aber ein Hochschullehrer im Fach Geschichte seinen Studierenden die Bedeutung korrekter Zitationsweise glaubhaft machen, wenn er in seinen eigenen, auf Archivquellen fußenden Werken glaubt darauf verzichten zu können.“

 

Der Kölner Emeritus der Wirtschaftsgeschichte, Toni Pierenkemper, konstatiert in einem Forschungsbericht, „dass die wissenschaftliche Kritik an den Produkten des ZAG vernichtend ist“. Die Hannoveraner Geschichtsprofessorin Cornelia Rauh kommt zu dem Schluss, Schöllgen betreibe in Erlangen eine „Apologetik-Agentur“. Am Gründlichsten aber setzt sich der in Jena lehrende Historiker Tim Schanetzky mit den in Erlangen entstandenen Monografien auseinander und kommt zu einem gnadenlosen Resümee: Schöllgen verzichte auf wissenschaftliche Belegtechniken. „Stattdessen schließt die Darstellung immer mit seinem Kommentar zur Quellenlage, der die konsultierbaren Archivbestände nicht vollständig aufführt.“ Schanetzky folgert daraus: „Den wissenschaftlichen Wert der Erlanger Massenprodukte wird man angesichts solcher Volten in Frage stellen dürfen. Mehr noch: Sie ignorieren den Forschungsstand oder versuchen ihn gar umzudeuten; sie sprechen die Akteure von jeder Verantwortung frei, und schließlich: Sie verwenden Quellen auf einseitige Weise.“

       

Das Online-Meinungsmedium Der Freitag etikettiert Schöllgens Arbeit ebenso griffig wie zutreffend als Forschung light und History Faking.

 

Die Schöllgen-Methode am Beispiel Diehl

 

Neben der akademischen Kritik an ihrer Wissenschaftlichkeit müssen sich Schöllgen und sein ZAG auch noch die Frage gefallen lassen, ob sie wenigstens publizistisch korrekt vorgehen oder vielmehr das Material so gewichten und die Story so türken, dass die Folgerungen daraus ihren Auftraggebern genehm sind. Am Beispiel der Diehl-Monografie soll die opportunistische, mal über bedenkliche Fakten hinweg schreibende, mal Belastendes negierende oder uminterpretierende Methode der Erlanger Hofporträtisten charakterisiert werden.

 

„Auch ich hatte eine Bedingung…“, schreibt Gregor Schöllgen im Vorwort zu seiner Monografie Diehl – ein Familienunternehmen in Deutschland 1902 – 2002: „…uneingeschränkter Zugang zu sämtlichen Materialien, insbesondere des Karl-Diehl-Archivs, für meine Mitarbeiter und für mich.“ Den erhielt der Erlanger Historiker, und das Archiv scheint ihm neben den Erinnerungen des Firmenpatriarchen auch weitgehend als Quelle für seine Nachforschungen genügt zu haben, obwohl doch nicht zu erwarten ist, dass ein Unternehmen Materialien, die es selbst belasten, aufhebt.

 

Was so wie ein knallhartes Recherche-Ergebnis angekündigt wird, beginnt tatsächlich so gefühlig, wie ein Reporter der Bunten Illustrierten den Werdegang eines Glamour-Stars beschreiben würde: „Sogar den Kaiser hat er noch gesehen. Denn Karl Diehl ist mit von der Partie, als die Nürnberger Bevölkerung dem Deutschen Kaiser und König von Preußen am 22. September des Jahres 1915 einen jubelnden Empfang bereitet.“ Die Monografie des laut Rüstungskritiker Jürgen Grässlin  „augenscheinlich zweittödlichsten Unternehmens Deutschlands“ entpuppt sich im Wesentlichen als Weichzeichnung von Karl Diehl, in der nach Herzenslust kommentiert, gewichtet (besser: entlastet), entschuldigt und vor allem bewundert wird. Kompromittierendes taucht zwar auf, wird aber kategorisch, wenn auch ohne Beweis für diese Annahme, als wegen der  Sorge Karl Diehls und seines Vaters Heinrich um das Unternehmen notwendiges Handeln erklärt, wenn es nach Schöllgens Ansicht nicht bloße „Episoden“ sind, etwa wenn der Junior der Schülerabteilung des aus einem rechtsradikalen Freikorps hervorgegangenen Bund Oberland oder später den notorisch chauvinistischen und antisemitischen Schlagenden Verbindungen beitritt. Für letzteres Engagement im erzreaktionären Karriere-Klüngel hält der Erlanger Historiker eine besonders delikate Erklärung bereit:

„So fremd dem heutigen Beobachter derartige Aktivitätenerscheinen müssen, so deutlich spiegeln sie ein Selbstverständnis wider…: Mut,Standfestigkeit und Ehrgefühl sind Maximen, die für Karl Diehl zeitlebensverbindlich geblieben sind und ohne Zweifel in seiner Corpszugehörigkeit einefrühe Ausformung und Bestätigung gefunden haben.“

Dass Karl Diehl 1933 nicht nur der NSDAP, sondern auch dem paramilitärischen Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps beitrat und 1938 Wehrwirtschaftsführer wurde, waren nun weniger „Episoden“ als vielmehr Vorsichtsmaßnahmen, da er „jedwede Kollision mit der braunen Ideologie“ vermeiden wollte. Das laut Schöllgen den Nazis distanziert gegenüberstehende NSDAP-Mitglied muss es hart angekommen sein, sich 1941 folgenden Weihnachtsgruß für die Werkzeitschrift abgerungen zu haben:

„Wir wissen nicht, wann der Kampf gegen Bolschewismus, Plutokratie und Judentum beendet wird, wir wissen nur, dass am Ende dieses Kampfes der deutsche Sieg steht. So reichen sich Front und Heimat stets die Hand und schreiten im tiefen Glauben und unerschütterlichen Vertrauen zu unserem geliebten Führer und unserer tapferen Wehrmacht einem neuen, siegreichen Jahr entgegen.“

Dazu zitiert Schöllgen den Historiker Wolfgang Benz, dem anderorts eine Relativierung des Holocausts vorgeworfen wird, mit der beschwichtigenden Einschätzung: „Derartige Äußerungen gehörten zum Üblichen, sie wurden von einem Mann in der Stellung Diehls erwartet und galten wohl als Minimum; Nähe zum Regime oder Sympathien zur Partei Hitlers lassen sich daraus nicht ableiten.“ Woraus denn dann überhaupt noch? Wer stets abwiegelt, könnte letztendlich fragen: War Goebbels etwa nur deshalb in der NSDAP und tat, was von ihm erwartet wurde, weil er Angst vor dem Führer hatte?

 

„Standards“ für Zwangsarbeiter

 

Um sein kriegswichtiges Unternehmen auf Touren zu halten, ließ der spätere Nürnberger Ehrenbürger Karl Diehl im besetzten Kopenhagen produzieren und ersetzte die zur Wehrmacht eingezogenen Fachkräfte zunehmend durch ausländische Arbeiter, vor allem durch Kriegsgefangene aus dem Osten und aus Frankreich. Rund 3500 oder 40 Prozent der Belegschaft (Reichsdurchschnitt in der Industrie: 25 Prozent) sollen es bei Kriegsende gewesen sein.

 

Dass unterernährte Zwangsarbeiter den Gewinn des Betriebs erwirtschafteten, bestreitet auch Schöllgen nicht, doch schwächt er sogleich ab: „Die Firma Diehl machte hier keine Ausnahme, doch zeigen Aussagen ehemaliger Zwangsarbeiter auch, dass das Unternehmen die damals gängigen Standards einhält.“ Zwei Seiten später skizziert Schöllgen, worauf sich diese Standards (zu deren Kennzeichen Mangelernährung, primitivste Barracken-Unterbringung und hoher Krankenstand zählen) reichsweit gründeten: „Im allgemeinen sind die Unternehmer darauf bedacht, die Einsätze ihrer Zwangsarbeiter so zu bemessen, dass sie nicht zugrunde gehen. Denn auf Ersatz ist realistischerweise nicht zu hoffen…“

 

Laut Wikipedia berichteten Zeitzeugen, die Zwangsarbeiter bei Diehl seien wie Sklaven behandelt worden. In diese Richtung recherchiert Schöllgen nicht, sondern begnügt sich damit, „vereinzelte Übergriffe“ zu erwähnen, um sogleich den sich sonst doch um alles kümmernden Karl Diehl mit einer geradezu ignoranten Behauptung ohne jeden Beleg freizusprechen: „Inwieweit der Unternehmer Kenntnis von einzelnen Übergriffen seiner Meister gehabt hat, lässt sich nicht mehr ermitteln. Dass er sie toleriert hat, ist schwer vorstellbar.“ Vermutlich hatte aber Diehl doch Kenntnis von der Errichtung eines eigenen Außenlagers des Konzentrationslagers Flossenbürg durch seine Firma und dürfte auch davon gewusst und es zumindest toleriert haben, dass entkräftete Häftlinge nach Auschwitz geschickt wurden.

 

Als die UN-Hilfsorganisation für Flüchtlinge (UNRRA) die Nürnberger Firmen 1947 auffordert, alle Daten über Kriegsgefangene und Zivilarbeiter zu übermitteln, überweist Diehl rund 100.000 Reichsmark (1945 „zurückgegebene verrechnete Lohngelder an Ausländer“) an das Nürnberger Polizeipräsidium, Abteilung UNRRA-Suchdienst. Die Organisation ruft aus unbekannten Gründen das Geld nie ab, und Diehl nimmt die Summe 1952 wieder zurück. Damit ist für den Mann, der von Zwangsarbeit immens profitiert und menschliche Existenz nach der Verwertbarkeit im Produktionsprozess taxiert hat, die Sache erledigt und er weist gemäß Schöllgen „fortan entsprechende Forderungen, wie zum Beispiel Lohnansprüche aus der Kriegszeit, konsequent zurück“.

 

Einmal aber weicht Diehl „freiwillig“ von seiner „konsequenten Haltung“ ab, allerdings nicht aus humanitären Erwägungen. Als Veröffentlichungen in US-Medien über die Zwangsarbeit einen 1966 zusammen mit Rheinmetall an Land gezogenen Auftrag zur Lieferung von HS 820-Kanonen gefährden, drängt er den Partner zu Entschädigungen und beteiligt sich selbst mit 500.000 DM daran. „Dabei interessieren ihn weniger die Ansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter in Deutschland, die auch Karl Diehl für abgegolten hält, als vielmehr das Waffengeschäft“, schreibt Schöllgen und lässt den Sachverhalt unkommentiert. Es ist diese „unternehmerische Weitsicht“, die der Erlanger Historiker unverhohlen bewundert, wie in seiner Optik überhaupt Geld und Macht vor Recht und Verantwortung zu rangieren scheinen.

 

Demokratie for sale

 

Wie in der restaurativen Nachkriegsära normal, übersteht Karl Diehl die Entnazifizierungsverfahren ohne größeren Schaden. Die Buddies entlasten sich gegenseitig, und was als tadelnswert festgestellt wird, ist ein wenig Opportunismus, gepaart mit ein bisschen politischer Kurzsichtigkeit, allerdings stets konterkariert von einer angeblichen distanzierten Haltung zum Hitler-System. Das Adenauer-Deutschland braucht die Unternehmer, die einst „widerstrebend“ in der NSDAP mitmischten, an den industriellen Schalthebeln die Diktatur stabilisierten und kriegsverlängernd wirkten, um eine konservative, auf politischen Lobbys und Wirtschaftsklüngelei aufbauende Gefälligkeitsdemokratie zu etablieren. An einigen unkritisch kolportierten Beispielen zeigt Schöllgen auf, dass Karl Diehl genau der richtige Mann für diese Zeit war.

 

In Nürnberg und im nahegelegenen Röthenbach, einem wichtigen Produktionsstandort des Unternehmens, verteilt Diehl Geld- und Sachspenden an alle Parteien, von der CSU bis zur KPD. Schöllgen hebt hervor, dass dabei „durchweg legale Methoden“ angewandt worden seien. Bereits früh wird der nach dem Spruchkammerverfahren als „Nazi-Mitläufer“ etikettierte Unternehmer erstmals als Vorbild deutschen Bürgertums geehrt, was der Historiker angesichts des seinerzeitigen Gebens und Nehmens beinahe hämisch kolportiert: „So gesehen, überrascht es nicht, dass die Ernennung Karl Diehls zum Ehrenbürger der Stadt Röthenbach mit den beiden KPD-Stimmen erfolgt.“

 

Bald aber beginnt Diehl eindeutig die CSU zu favorisieren, von deren Politik er sich blendende Geschäfte verspricht, vor allem nachdem Franz Josef Strauß 1956 Bundesverteidigungsminister wird. Es ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die beide Männer zu allerlei Geschäften und Dienstleistungen im illegalen und halblegalen Raum nutzen, was Schöllgen zwar getreulich aufzeichnet, aber in keinster Weise kritisch hinterfragt oder gar verurteilt.

 

So verdient Diehl kräftig mit, als zwischen 1957 und 1965 illegale Waffenexporte von Deutschland nach Israel gehen, wobei Strauß in die Rolle des Schiebers schlüpft, wie er sich später selbst erinnert: „Wir haben die Israel zugesagten Geräte und Waffen heimlich aus den Depots der Bundeswehr geholt…“ Die beiden Männerfreunde sind auch in die HS 30- oder Onkel-Aloys-Affäre involviert, als die Firma Backhaus einen Auftrag zur Produktion von Panzerketten erhält, für den eigentlich das Schweizer Unternehmen Hispano-Suiza vorgesehen war. Dubios wie die Vergabe ist auch die anschließende Übernahme des Remscheider Panzerketten-Herstellers durch Diehl, wobei der Backhaus-Mitarbeiter Aloys Brandenstein, ein Nennonkel von Marianne Strauß, wohl im Sinne des Franken und des Oberbayern die Strippen zog. Als der Spiegel , der die  Affäre aufgedeckt hatte, im September 1962 enthüllte, die BRD sei wegen mangelhafter Planungen im Kriegsfall nur "bedingt abwehrbereit",  ließ Strauß die Redaktionsräume durchsuchen und Mitarbeiter verhaften, musste aber nur zwei Monate später selbst zurücktreten.

 

Schöllgen hätte die Verstrickung Diehls in den Skandal näher untersuchen können, belässt es aber bei einer launigen Betrachtung der Spiegel-Motive und einer späteren Einschätzung durch FJS. Wäre dem Erlanger Historiker an akribischer Forschung und Aufklärung gelegen gewesen, hätte er wie der Politikwissenschaftler Peter Siebenmorgen, der bei Recherchen zu seiner Strauß-Biografie auf Korruptionsbeweise stieß, den Hinweisen auf illegale Machenschaften nachgehen müssen. Rücksichtslose Wahrheitsfindung aber liegt Schöllgen nicht. So liefert er in seinen bestellten und bezahlten Porträts der fränkischen Unternehmer Brose, Diehl, Schöller, Schickedanz und mutmaßlich auch Schaeffler (öffentlich nicht zugänglich) Gesamtkunstwerke einer allumfassenden Absolution ab, ebenso irrational, obskur und willkürlich wertend wie das Pendant der Katholischen Kirche.

 

Bei weiteren Freundschaftsbeweisen Diehls für FJS gleitet Schöllgen gänzlich ins Anekdotische ab. Sowohl als Privatmann, als Bundestagsabgeordneter und Minister als auch als bayerischer Ministerpräsident durfte Strauß (samt Gattin Marianne) den Flugdienst des Unternehmens nutzen, zu Trips innerhalb Deutschlands, aber auch zur Urlaubsreise nach Südfrankreich. Statt zu hinterfragen, ob diese geldwerte Vorteilsannahme eine verdeckte Finanzierung darstellte und welche Gegenleistung Diehl erwarten haben mochte, zitiert der Wissenschaftler diesen mit einer flapsigen, wenn auch nicht ganz logischen Notiz: „Wenn Franz Josef Strauß an Bord geht, wird das Flugzeug nicht nur mit dem Üblichen betankt, also mit Mineralwasser, Coca-Cola, Saft, Whisky, Klarem oder Cognac, sondern auch mit Bier, Frankenwein, Sekt und Champagner!“ Ein wenig Kerosin wird wohl auch dabei gewesen sein, da ansonsten der oberste Chef der Christsozialen seinen bayerischen Statthalter FJS etwas früher zu sich in himmlische Gefilde geholt hätte.

 

Bei aller Plauderei vergisst Gregor Schöllgen, dessen Diehl-Mongrafie bis 2002 reicht, einen Vorfall, der 1995 aktenkundig wurde und bundesweit Aufsehen erregte. Es lohnt sich also, bei Wikipedia nachzulesen: Ingrid Meier, Betriebsprüferin des Finanzamts, hatte festgestellt, dass der Rüstungskonzern Veräußerungsgewinne nicht korrekt versteuert und somit dem Fiskus 60 Millionen Mark vorenthalten hatte. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beamtin an, die Betriebsprüfung abzuschließen, die fraglichen Firmenbeteiligungen als „Privatvermögen“ und die Gewinne als „nicht steuerpflichtig“ einzustufen. Ingrid Meier, die zuvor bei den Ermittlungen bereits massiv behindert worden war, beschwerte sich bei der nächsthöheren Instanz, worauf ihr der Fall entzogen wurde. Ihre Vorgesetzten beurteilten die zuvor als exzellente Beamtin geltende Prüferin urplötzlich schlecht.

 

Experten der Staatsanwaltschaft kamen in einem Gutachten zum gleichen Ergebnis wie Ingrid Meier. Die Behörden hielten die Expertise aber unter Verschluss, der ermittelnde Staatsanwalt Erich Günther wurde ebenfalls in seiner Arbeit behindert, und eine Durchsuchung der Geschäftsräume beteiligter Banken wurde diesen Monate vorher angekündigt. Im April 2004 wurde das Verfahren gegen Diehl und die OFD von einer Staatsanwältin eingestellt, deren Schwägerin kurz danach bei Diehl anfing und zwei Jahre später in den Vorstand der Diehl Verwaltungs-Stiftung berufen wurde.

Professor Schöllgen hielt dieses Musterbeispiel bayerischer Lebensart, Beziehungskultur und Rechtspflege wohl nicht für erwähnenswert.

          

ZAG: Im Auftrag des großen Geldes

 

Der etwas kryptische Name Zentrum für angewandte Geschichte könnte einen unvoreingenommenen Beobachter zunächst zu positiven Schlüssen verleiten. Endlich Geisteswissenschaftler, die nicht im Elfenbeinturm der reinen Lehre verharren, sondern ihre Forschungsergebnisse in einen Bezug zur Gegenwart und gesellschaftlichen Realität stellen! Ein Blick auf die Slogans der ZAG-Website indes zeigt, dass etwas ganz anderes beabsichtigt ist:

ZAG zeigt, was in Geschichte steckt. In erster Linie wohl Geld, denn der zweite Leitsatz lautet unverblümt:

ZAG kapitalisiert Geschichte. Das Zentrum macht die Historie also zu klingender Münze, indem es die Vergangenheit bearbeitet:

ZAG bietet Dienstleistungen auf höchstem Niveau: Wir recherchieren die Geschichte Ihrer Familie, Ihres Unternehmens oder Ihrer Organisation und schreiben sie auf. Aber so, dass kein Schatten auf Sie, ihre dubiosen Geschäfte oder Ihre Sippe fällt, schließlich gilt für uns der Grundsatz: „Wer zahlt, schafft an.“

 

Wer an der Uni Erlangen-Nürnberg im ZAG unter einem wissenschaftlichen Deckmäntelchen arbeitet, gehört also eher zum Personal einer PR-Firma als zum Team eines ernsthaften Forschungsinstituts. Per einseitige Recherche erreicht man das erwünschte (bestellte) Ergebnis, das anschließend fürstlich honoriert wird. Alle Monografien Schöllgens über fränkische Unternehmer, die während des Dritten Reichs von ihren guten Beziehungen zu den Nazis profitiert haben, dienen nicht der Aufklärung, sondern sollen ein neues Image schaffen bzw. ein altes aufpolieren. Die Weste wird methodisch eingeweicht, damit die braunen Flecken verschwinden.

 

Für September ist eine Biografie Gerhard Schröders aus der Feder Schöllgens angekündigt. Trotz der dunklen Stellen in der Vita des Gazprom-Lobbyisten, der als erster bundesdeutscher Kriegskanzler den völkerrechtswidrigen Angriff auf Serbien und als erster Regierungschef (und Sozialdemokrat!) die Abschaffung der Vermögenssteuer, an die sich nicht einmal ein Helmut Kohl wagte, zu verantworten hat, muss Schröder keine peinlichen Enthüllungen fürchten. Seinem Biografen Gregor Schöllgen ist die ehrerbietige Pflege seiner „Forschungsobjekte“ längst in Fleisch und Blut übergegangen.

 

08/2015





4. Stoscheks Weltsicht

    oder

    Die Arroganz der Macht


 

Edmund Frey (links) und sein Anwalt Wolfram Salzer warten auf den beklagten Milliardär M. Stoschek


Landgericht Coburg: Der Historiker Edmund Frey wartet auf den Chef des Autozulieferers Brose, Michael Stoschek, gegen den er eine Unterlassungsklage angestrengt hat. Doch der sonst so forsch auftretende Milliardär erscheint nicht, lässt sich von einem Anwalt vertreten. Die Verhandlung, die mit einem für den Beklagten wenig befriedigenden Vergleich endet, und ihre Vorschichte werfen dennoch – wie andere Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit – ein Schlaglicht auf das Verhalten, das Weltbild und die Hybris eines deutschen Industriemagnaten.


Reich muss dürfen!


Während des Vietnamkrieges charakterisierte der US-Senator J. William Fulbright in seinem Essay „Die Arroganz der Macht“ die dunkle Seite Amerikas als „ehrgeizig und egoistisch“, „selbstgerecht“ und „im Gebrauch großer Macht arrogant“. Diese einer Nation zugeschriebenen Eigenschaften lassen sich – auf eine Person übertragen – auch für Michael Stoschek, mit einem Familienvermögen von 4,8 Milliarden Dollar vom Weitschaftsmagazin Forbes auf Platz 298 der reichsten Menschen das Globus geführt, konstatieren.


Psychoanalytiker würden einigen Reaktionen des Superreichen wohl auch regressive Züge attestieren, d. h. ein situatives Zurückfallen in kindliche Verhaltensmuster, und zwar immer dann, wenn Bedürfnisse nicht sofort befriedigt werden können und der eigene Wille nicht ohne Widerstand durchsetzbar ist. Durchkreuzen andere seine auf materieller Überlegenheit basierenden Allmachtphantasien, kann Stoschek schon mal ausrasten, drohen oder mit Verdächtigungen um sich werfen.

Manche Aktionen Stoscheks können skurrile und (scheinbar) harmlose Züge aufweisen. So fuhr der Unternehmer dreimal ohne Genehmigung mit einem Amphibienfahrzeug aus Wehrmacht-Beständen auf der Regnitz zur Bamberger Sandkärwa, einer berühmten Straßen-Kirchweih. Zweimal hatte die Wasserschutzpolizei gegen ihn ermittelt, die Stadt Bamberg die Ordnungswidrigkeiten aber nicht geahndet. Erst nach der dritten Tour bequemte sich die Kommune zur Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von 200 Euro.


Wesentlich teurer kam Stoschek seine selbstherrliche Art, sich über geltendes Recht und allseits verbindliche Regeln hinwegzusetzen, als er seinen Porsche mit aufgeklebten Kennzeichen statt regulären Nummernschildern durch die Straßen steuerte. Damit war der Tatbestand der Urkundenfälschung erfüllt, und der Milliardär erhielt einen Strafbefehl über 1,65 Millionen Euro. Nachdem er dagegen Einspruch eingelegt hatte, stellte das Amtsgericht Coburg das Verfahren mit der Auflage ein, dass Stoschek 150.000 Euro an  gemeinnützige Organisationen zahlte.


Nun könnte man solche Eskapaden als Protestaktionen gegen die Bürokratie oder Streiche eines etwas überspannten Don Quijote, eines Omnipotenten von der traurigen Gestalt, deuten, doch legen weitaus ernster zu nehmende Vorfälle nahe, dass es sich um Provokationen eines Egomanen handelt, der aufgrund seiner ökonomischen Potenz über dem lediglich für „normale“ Bürger gültigen Gesetz und dem gesellschaftlichen Minimalkonsens zu stehen glaubt.

            

Eine Stadt knickt ein


Das Musterbeispiel für eine Auseinandersetzung um Vergangenheitsbewältigung und politische Integrität, wie sie in dieser vergifteten Form jede Demokratie desavouiert, ist Michael Stoscheks elfjähriger Kampf um die Benennung einer Coburger Straße nach seinem Großvater Max Brose. Es mag verständlich sein, dass ein Unternehmer den Vorfahr, dem er die Grundlagen seines Vermögens zu verdanken hat, ehren möchte, doch enthebt dies die Kommune nicht der Verpflichtung, sich die Vita und Verdienste eines künftigen Namenspatrons näher anzusehen. Und da weist Max Broses Weste doch einige (glimpflich ausgedrückt) bräunliche Flecken auf, die auch der bestellte und bezahlte Schönfärber Gregor Schöllgen, Historiker an der Uni Erlangen, nicht auszuwaschen vermochte (s. Professor Persil auf dieser Homepage).


Max Brose war NSDAP-Mitglied, bereicherte sich an jüdischem Besitz, wurde zum Wehrwirtschaftsführer ernannt und setzte Hunderte von Zwangsarbeitern in der Rüstungsproduktion ein. Trotz dieser Fakten stellte CSU-Mitglied Michael Stoschek seinen Großvater als „Vorbild“ hin und forderte die Umbenennung der Coburger Von-Schultes-Straße in Max-Brose-Straße, scheiterte damit aber 2004 am Widerstand der Stadtratsmehrheit und des damaligen SPD-Oberbürgermeisters Norbert Kastner. Es gab also tatsächlich früher hohe sozialdemokratische Mandatsträger, die nicht allem Begehren der Wirtschaft willfährig nachkamen.


Michael Stoschek, als eifriger Mäzen und Spender bekannt, reagierte zunächst mit Liebesentzug für seine Heimatstadt und kürzte oder strich Vereinen wie Sozialprojekten die Zuwendungen. Elf Jahre später – Stadtoberhaupt war nun mit Norbert Tessmer ein typischer Vertreter der Gabriel-SPD – setzte der Brose-Erbe im Stadtparlament zunächst die (rechtsunverbindliche und sinnfreie) Rehabilitierung des Großvaters und dann die Umwidmung der Straße durch (s. Coburger Schande auf dieser Homepage): ein Sieg für den hartnäckigen Enkel und gleichzeitig ein kaum je zu kompensierender Ansehensverlust für die oberfränkische Provinzstadt.


Zu den profiliertesten Gegnern der Umbenennung hatte der Coburger Historiker Edmund Frey gehört. Durch ihn war u. a. auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, informiert worden, der sich dann vehement gegen die posthume Ehrung des umstrittenen Unternehmers aussprach. Auch nach einem persönlichen Gespräch mit Michael Stoschek, das der Milliardär selbst angeregt hatte, blieb Frey bei seiner durch Fakten erhärteten Ansicht, dass Max Brose keineswegs ein Vorbild sein könne, da er in der Nazi-Zeit ein „Profiteur“ und „Mitläufer“ gewesen sei (wobei letztere Bezeichnung angesichts der Bedeutung Broses für die Kriegswirtschaft fast als euphemistisch einzustufen ist). Wie hochgradig erzürnt Stoschek darüber war, dass jemand seine Gutsherren-Meinung nicht teilte, sollte sich bald zeigen.          

Ein Choleriker zieht blank


In der Neuen Presse Coburg hatte der Journalist Volker Friedrich Beiträge zum Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern veröffentlicht, deren klare Pro-Jerusalem-Haltung den Historiker Frey zum Widerspruch reizte, da er in der harten und religiös-nationalistischen Politik der Netanjahu-Regierung ein Hindernis für einen möglichen Frieden sah. In Mails wies er Friedrich darauf hin, dass der israelische Staat sich durch seine Besatzungs- und Siedlungspolitik sowie die Gewalt gegen den Gaza-Streifen zumindest mitschuldig an der derzeitigen humanitären Katastrophe gemacht habe. Der Journalist setzte Stoschek von diesen Repliken in Kenntnis; ob er dabei polemisch verkürzte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.


Als Monate später der jüdische Zentralratspräsident Schuster in die Debatte um die künftige Max-Brose-Straße eingriff, kam es zu einer judenfeindlichen Hetzkampagne auf Facebook. Daraufhin schrieb Edmund Frey in einer E-Mail an OB Tessmer und Stoschek: „Erschrecken Sie nicht auch, wenn Sie die widerwärtigen antisemischen Äußerungen von Menschen aus der Region Coburg lesen? Ich empfinde nur Scham.“


Stoschek reagierte postwendend und schickte eine Brand-Mail an Frey sowie OB Tessmer und den Auftragswissenschaftler Schöllgen:


Sie sind ein alter Pharisäer!!! Herr F. hat Ihre kürzlichen antisemitischen Äußerungen zu Protokoll gegeben. Sie werden in Kürze publiziert und ich werde Herrn Dr. Schuster, den Sie instrumentalisiert haben, natürlich auch darüber in Kenntnis setzen. Sie bedienen sich genau der Methoden der Nazis: Denunzierung, Neid, Missgunst und Intoleranz.“


Eigentlich lässt sich diese Tirade, semantisch holprig wie sie ist (Neid oder Missgunst sind bestenfalls Wesensmerkmale, aber keine Methoden!), nur als realitätsfremde Artikulation eines cholerischen Anfalls interpretieren. Einem Mann wie Edmund Frey, der jüdische Verwandte hatte, die im Dritten Reich drangsaliert worden waren, Antisemitismus zu unterstellen, nur weil er die israelische Politik kritisiert, ist ebenso hanebüchen wie ihm, der stets gegen das Vergessen und die Verharmlosung des nationalsozialistischen Unrechts gekämpft hat, Nazi-Methoden anzudichten.


Zwar handelte es sich bei der Ankündigung, die angeblich antisemitischen Äußerungen zu veröffentlichen, um eine leere Drohung, wie sich herausstellte, doch der Historiker fühlte sich tief getroffen, musste zudem befürchten, dass bei solchen Diffamierungen „immer etwas hängenbleibt“ und beschloss, in die Offensive zu gehen. Nachdem Frey den Unternehmer in einem Brief seines Rechtsanwaltes aufgefordert hatte, die Behauptungen zurückzunehmen, das Schreiben vom Adressaten aber nicht angenommen worden war, stellte er Strafanzeige wegen Beleidigung und Verleumdung. Die Staatsanwaltschaft Coburg indes sah die Entgleisungen Stoscheks durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Im Herbst 2015 stellte sie das Verfahren ein. Nun blieb Frey nur noch die Unterlassungsklage, die vor dem Landgericht Coburg verhandelt wurde.


Der Beklagte lässt einlenken


Vor der Zweiten Zivilkammer warteten Edmund Frey und sein Anwalt Wolfram Salzer vergeblich auf den zuvor so aggressiv aufgetretenen Kontrahenten. Michael Stoschek erschien nicht vor Gericht, sondern ließ sich vom Rechtsanwalt Eckart Staritz vertreten. Dieser hielt sich während der Verhandlung merklich zurück, während Richter Andreas Bauer nach dem Eindruck von Prozessbeobachtern darum bemüht war, die Motive und das Verhalten Stoscheks zu verstehen, zu interpretieren und zu relativieren. Dass Frey geltend machte, sein Ruf werde zerstört, mochte Bauer nicht recht verstehen, schließlich sei die Auseinandersetzung auf beiden Seiten „mit einer gewissen Schärfe“ geführt worden – als ob die auf Tatsachen beruhende Einschätzung der Person Max Broses durch Frey mit Stoscheks haltloser Diffamierung verglichen werden könne!


Eher unfreiwillig vermittelte Anwalt Staritz einen Einblick in das unbeherrschte Temperament seines Mandanten, als er erklärte, er selbst habe Stoschek geraten, angesichts der zu erwartenden Auseinandersetzungen nicht persönlich zu erscheinen. Als das Verfahren an einem toten Punkt angelangt schien, weil der Beklagte kategorisch eine Entschuldigung ablehnte und Richter Bauer signalisierte, dass er der Unterlassungsklage nicht stattgeben würde und einen langen Gang durch die Instanzen an die Wand malte, schlug Staritz plötzlich einen Vergleich vor, mit dem zwar eine Verurteilung vermieden wurde, der zugleich aber einen Rückzug Stoscheks von der Front falscher und ehrenrühriger Behauptungen über seinen Prozessgegner bedeutete und den Frey nach kurzer Beratung mit seinem Anwalt annahm.


Stoschek ist es künftig bei einer Vertragsstrafe von 5000 Euro pro Fall von Zuwiderhandlung untersagt, die Anschuldigungen („antisemitische Äußerungen“, „Nazi-Methoden“) über Frey zu wiederholen. Kein Sieg auf der ganzen Linie für Frey, aber doch ein ziemlich kleinlautes Einlenken des beklagten (und abwesenden) Milliardärs…


Vorsicht, Mäzene!


Die Brose-Reinwaschung von Coburg und das Ausbleiben einer strafrechtlichen Ahndung der verbalen Ausfälle Stoscheks haben dokumentiert, wie schwer sich Politik, Öffentlichkeit und Justiz noch immer mit einer konsequenten Aufarbeitung der braunen Vergangenheit tun. Das devote Verhalten von OB Tessmer und der Kotau der Stadtratsmehrheit aber lehren uns noch etwas anderes:

Hüten wir uns vor den Geldgebern und Mäzenen aus der globalen Finanz- und Wirtschaftselite! Wenn Bill Gates, Warren Buffett oder Michael Stoschek via Stiftungen und direkte Zuwendungen „für einen guten Zweck“ spenden, wollen sie in erster Linie gesellschaftlichen Einfluss nehmen. Die Summen, die sie einsparen, indem sie Steuerschlupflöcher weltweit nutzen, Profite maximieren, Arbeitsplätze abbauen oder verlagern und Löhne niedrig halten, dienen dazu, das zu fördern, was ihnen zusagt, während den um den korrekten fiskalischen Anteil oder (durch eigenes Verschulden) um die Einnahmen aus der Vermögenssteuer gebrachten Staaten die Mittel fehlen, das zu finanzieren, was notwendig ist. Und bei Abhängigkeit von diesem feudalistisch anmutenden Gönnertum kann – wie der Fall Stoschek zeigt – auch jederzeit einmal der Geldhahn zugedreht werden, wenn die Politik nicht kuscht.


Von Coburg in die weite Welt: Soeben gestand der UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, nominell mächtigster Mann der Welt, dass er Saudi-Arabien, das im Jemen eine blutige Intervention anführt, von der „Liste der Schande“, also aus dem Register der Staaten, deren Streitkräfte besonders brutal gegen Kinder vorgehen, gestrichen habe. Er sei vom Regime in Riad und von anderen Regierungen damit „erpresst“ worden, es würden ansonsten keine Gelder für die UN-Kinderhilfsprogramme mehr fließen. Ban Ki Moon schämt sich öffentlich für sein Zurückweichen vor der pekuniären Macht. Das hilft letztendlich nicht, offenbart aber wenigstens einen Anflug von Reue und Besinnung, wie wir ihn bei dem sich in vergleichbarer Lage befindlichen Coburger OB Tessmer bislang nicht wahrnehmen konnten.


06/2016