Alternative Merz?
oder
Ein stiller Genießer wird laut

Cartoon: Rainer Hachfeld


Angesichts weit verbreiteter Ignoranz, allgemeiner nationaler Hybris und kollektiver Vergesslichkeit hat Deutschland mit Olaf Scholz den Kanzler, den es verdient. Wie gut aber die Bundesrepublik wirklich aufgestellt ist, lässt sich erst erahnen, wenn man in Betracht zieht, dass der Oppositionsführer auf ähnlichem Niveau agiert: Nun hat CDU-Chef Friedrich Merz, der sonst eindeutig Unterirdisches von sich gibt, etwas so Zweideutiges gesagt, einen derart schiefen Vergleich gezogen, dass selbst in seiner eigenen Partei die Alarmglocken schrillen.


Blödsinn oder Freud’scher Versprecher?


Friedrich Merz, einst deutscher Statthalter des weltweit größten Vermögensverwalters und Unternehmensinvestors BlackRock, ist der personifizierte Beweis für die These, dass Geld zwar einflussreich, aber nicht unbedingt klug macht. Schon früher fiel der Hochsauerländer durch launigen Blödsinn auf, etwa wenn er die Steuererklärung des deutschen Bürgers auf ein Bierfilzgekritzel herunterzubrechen versprach oder sich selbst, einen mehrfachen Millionär also, in falscher Bescheidenheit dem Mittelstand zurechnete.


Im ZDF-Sommerinterview schockte er kürzlich Parteifreunde, als er plötzlich ohne Not erklärte, auf Kommunalebene müsse mit demokratisch gewählten Amtsträgern der extremen Rechten pragmatischer umgegangen werden. „Wenn dort ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man dann nach Wegen sucht, wie man in dieser Stadt weiter gemeinsam arbeiten kann.“ Während die etwas Weltoffeneren in der Union und die Medien argwöhnten, der CDU-Chef wolle die Brandmauer gegen die Ultra-Chauvinisten einreißen, lachten sich etliche schwarze Mandatsträger in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt ins Fäustchen, paktieren sie doch schon seit geraumer Zeit mit dem bräunlichen Polit-Mob. Dass Merz eilig zurückruderte und wieder von Unvereinbarkeit sprach, dürfte sie kaum beeindruckt haben.


Nur vier Tage vor dem ZDF-Auftritt hatte der eloquente Experte für heiße Luft seinen Parteifreunden indes das größte Rätsel aufgegeben, als er auf einer Pressekonferenz sagte, er wolle deutlich machen, dass CDU und CSU „eine Alternative für Deutschland mit Substanz sind“. Und jetzt fragen sich die Unionschristen in den social media oder im stillen Kämmerlein, was Fritz mit diesem überraschenden Vergleich wohl gemeint haben könnte. Und die Journalisten raten munter mit…


Fröhliches Merz-Interpretieren


Die TV-Journalistin und Twitter-Bloggerin Nicole Diekmann vermutet, dass Merz am rechten Rand fischen möchte. Der hessische CDU-Bürgermeister Alexander Heppe empörte sich auf der Internetplattform: "Ich bin nicht Mitglied einer 'Alternative für Deutschland'. Ich bin christlich, nicht fundamentalistisch, sozial, nicht sozialistisch, liberal, nicht libertär, konservativ, nicht reaktionär…“ Die stellvertretende Parteichefin Karin Prien stellt lapidar fest: "CDU mit Substanz, sonst nix."


Der große Vorsitzende scheint aber zu denken, dass für Deutschland etwas anderes her muss, eine Alternative zur derzeitigen Parteienlandschaft somit. Will uns Merz klarmachen, dass die CDU eine Art AfD ist, nur mit mehr Inhalt und Schmackes? Deutet er an, dass die Union durchaus so fremdenfeindlich, reaktionär und nationalistisch sein kann wie die Höcke- und Weidel-Mannschaft, aber dank ihrer Mandate, Posten und Pfründen sowie ihrer guten Beziehungen zur Wirtschaft über viel stärkere Ressourcen als diese verfügt?


Berührungsängste? I wo, man wird doch noch ein Stückchen mit gewählten Repräsentanten altdeutschen Gedankenguts zusammenarbeiten dürfen!  


In den letzten Monaten hatte sich Merz bemerkenswert zurückgehalten und die Blamagen dem Ampel-Hühnerhaufen überlassen, jetzt ist er wieder ganz der Alte Fritz. Und so plappert er wieder wie früher Unausgegorenes daher und macht en passant die AfD salonfähig. Da konnte deren Co-Chefin Alice Weidel ganz genüsslich kommentieren: „Auch wenn sich Herr Merz noch so verbiegt, das Original bleiben wir.“


Ein wenig vom Original abkupfern


Im Grunde wirkt die Empörung der Partei-Spitzenfunktionäre über die Äußerungen des CDU-Vorsitzenden etwas heuchlerisch. Längst praktizieren Orts- und Kreisverbände der Union vor allem im Osten, was Merz anregt, eine punktuelle Zusammenarbeit mit den Rechtsextremen auf kommunaler Ebene. Schon seit geraumer Zeit nähert sich die Wortwahl von schwarzen Spitzenpolitikern den Hetzreden der AfD-Xenophobiker an, etwa wenn Merz Knaben mit Migrationshintergrund als „kleine Paschas“ beschimpft. Und auch Markus Söder ist (wieder einmal) umgeschwenkt. Bäume umarmen war gestern, jetzt wirft er – ganz im Stil der Verschwörungstheoretiker – den Grünen vor, die Bürger „umerziehen“ zu wollen, und bezichtigt sie der "zwanghaften Veganisierung" sowie des "zwanghaften Genderns", wie unlängst in Erding geschehen.


Auch die Partner der Ampelkoalition können sich kaum reinen Herzens über die Entgleisungen des CDU-Chefs aufregen, lassen sie sich in der Flüchtlings- und Asylpolitik doch längst von der AfD vor sich her treiben und setzen deren Parolen zumindest teilweise in Regierungshandeln um. Ehrliche Sorgen machen sich hingegen erzkonservative Journalisten, für die Friedrich Merz lange der neoliberale Hoffnungsträger war.


Merz bleibe in seinen Äußerungen so vage, dass sich der jetzige Kanzler womöglich bei den nächsten Bundestagswahlen wieder durchsetzen könnte, befürchtet beispielsweise Christoph Schwennicke, einst bei Cicero, jetzt bei t-online-news die Edelfeder des rechten Halbbildungsbürgertums. Zu sicher sollte sich Olaf Scholz aber dennoch nicht sein, läuft sich doch in NRW der smarte Hendrik Wüst als potentieller Unionskandidat warm. Und aus dem Land Mordor Bavaria fällt der unheilverkündende Schatten des Sauron-Sohnes Söder erneut über die ganze Republik.


07/2023


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Ein stiller Genießer und Armselige Moralisten in der Rubrik Helden unserer Zeit