Depp oder Brandstifter?
Cartoon: Rainer Hachfeld


Im bayerischen Erding sorgt Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler (FW), mit Angriffen auf die Berliner Regierung und grober Rhetorik für bundesweites Aufsehen sowie für Streit mit den anderen Parteien (die AfD ausgenommen). Kritisieren bedeutet für den rauflustigen Niederbayern in erster Linie Pöbelei, Beleidigung und Diffamierung, diesmal aber kam sein rustikaler (Eigeneinschätzung) bis vulgärer (mediale Wahrnehmung) Stil nur beim kleineren Teil der Öffentlichkeit gut an. Beobachter fragen sich, ob dem Viehzüchter Aiwanger sämtliche Gäule durchgegangen sind – oder ob er einer raffinierten Strategie folgt, die weit über den Freistaat hinaus zielt.


Duell der Populisten


Die bayerische Landespolitik wurde über Jahrzehnte von Populisten geprägt, die ihre natürliche Heimat in der nahezu allmächtigen CSU sahen. Auch der heutige Ministerpräsident Markus Söder ist ein Mann von großen Worten und Ankündigungen, denen er selten Taten folgen lässt, der es dennoch schafft, das bajuwarische Mia-san-mia-Gefühl zu bedienen und seine Landsleute gegen Ampel-Koalitionäre in Berlin (der Hauptstadt, in der er allzu gerne selbst regieren würde) aufzuwiegeln.


Dass vorerst die goldenen Jahre der Schwarzen vorbei sind und er sich die Deutungsmacht im Freistaat, aber auch die Gunst der aufgeputschten Massen mit einem Konkurrenten teilen muss, erfuhr Söder schmerzlich vor wenigen Wochen auf dem Erdinger Volksfestplatz: Die Kabarettistin Monika Gruber hatte zu einer Demonstration gegen Habecks Entwurf eines Gebäudeenergiegesetzes aufgerufen, und 13.000 empörte Bürger, darunter viele AfD-Anhänger und Querdenker, kamen. Eine solche Chance, den Volkszorn gegen die Bundesregierung weiter anzuheizen, mochte sich der Ministerpräsident im Landtagswahlkampf nicht entgehen lassen. Doch diesmal traf Söder auf härtere Kaliber rechtsradikaler Gesinnung und erntete Buhrufe, während sein Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger mit deftigen bis gefährlichen Sprüchen Beifall einheimste.


So forderte der, dass „die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss“, und zitierte damit sinngemäß einen Satz des damaligen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland aus dem Jahr 2017, der allerdings gleich das ganze Land zurückholen wollte. Dann versah Aiwanger seinen starken Tobak noch mit einem zünftigen Fäkal-Touch, als er vorgab, was man „denen in Berlin“ sagen müsse: „Ihr habt’s wohl den Arsch offen, da oben.“ Der Menge gefiel es, und Söder musste erkennen, dass die Geister, die er früher selbst rief und anfixte, nach immer stärkerem Stoff gieren.

















Während "die da oben" den Arsch offenhaben, reißt Hubsi sein Großmaul auf, bei beidem kommt in etwa das Gleiche heraus.


Die von Stoiber einst propagierte „Oberhoheit über den Stammtischen“ scheint in noch bedenkenlosere Hände gefallen zu sein. Wer, wie der Ministerpräsident in Erding, unter  einem Poster mit der sinnfreien Parole „Stoppt die Heizungsideologie!“ Schauermärchen über die Grünen erzählt, über „zwanghafte Veganisierung und Gendern“ fabuliert und doch das ganz rechte Lager nicht mehr erreicht, muss sich vom Münchner Merkur sagen lassen: „Söder weiß nun: Seine Methode, sein Fähnchen jeden Tag neu in den Wind zu hängen, hat sich erschöpft. Die Buhrufe verwundern nicht.“
Als klarer Sieger ging Hubert Aiwanger aus dem Populisten-Duell hervor, auch wenn sich später die Medien, Politiker der meisten Parteien und selbst Mitglieder seiner Freien Wähler über die Wortwahl und gewisse geistige Verwandtschaften empörten. Fragt sich nur, was der gelernte Agraringenieur mit seiner Krawall-Rhetorik bezweckt, wie er tickt, ob er nur unberechenbar oder auch gefährlich ist.


Huberts Feindbilder


Generationen bayerischer Kabarettisten und Comedians haben sich an Aiwangers zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftigem Dialekt abgearbeitet, der ein an sich helles A  wie ein dumpfes O klingen lässt. Besonders gern haben Imitatoren dem je nach politischer Couleur liebevoll oder spöttisch gerufenen Hubsi (Oiwonger) das wohltönende Wort Opfelsoft in den Mund gelegt. Genügt es aber, das Bild eines Politikers, der aneckt und polarisiert, auf eine Karikatur als Dorftrottel zu reduzieren? Etwas Inhalt sollte schon sein, und der in den Medien dokumentierte gibt Anlass zur Besorgnis.


Das Zurückholen der Demokratie (welcher und von wem?) erinnert nicht nur an AfD-Gauland, sondern auch an den Populisten-Champion Donald Trump. Im Stil dieser beiden, die wie er seit Langem zur Politikerkaste und zur Klasse der Bessergestellten gehören, denunziert Aiwanger das eigene Lager und gibt sich als volkstümlicher Rebell gegen Eliten und Amtsinhaber.
Das Aversionsrepertoire des FW-Vorsitzenden ist immens und umfasst u.a. Wölfe, die Grünen an sich, Klima-Aktivisten, queere Menschen, Befürworter des Genderns oder Vegetarier und Veganer. Jeder soll seinen Schweinsbraten und sein Hendl auf dem Teller haben, meint der Großbauer, und in Sachen Waffenbesitz gibt sich Aiwanger als Trump light (denn dieser hatte ganz im Sinn der Waffenlobby Schießeisen für Lehrer empfohlen). Der passionierte Jäger denkt mehr an seine Anhänger unter den Handwerkern, wenn er behauptet: „Bayern und Deutschland wären sicherer, wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte“.


Natürlich agiert Aiwanger taktisch und möchte Stimmen aus dem AfD-Spektrum abgreifen, aber bisweilen offenbart er eine glaubhafte Nähe zu den Querdenkern. So verweigerte er während der Corona-Pandemie lange die Vakzinierung und warnte stattdessen vor einer „Apartheidsdiskussion beim Impfen“ – eine verbale Entgleisung angesichts der langjährigen vom weißen südafrikanischen Regime verantworteten Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit.


Die Freien Wähler werden trotz Aiwangers Propaganda die AfD nicht stoppen können, aber sie eröffnen eine neue rechts-kleinbürgerliche Front gegen längst fällige gesellschaftliche und ökologische Maßnahmen, gegen eine angebliche Verbotskultur. Auf dem Land, in Kreis- und Mittelstädten werden die groben Attacken des FW-Chefs von Bauern, Selbständigen und Gewerbetreibenden durchaus für bare Münze genommen und häufig goutiert. Und das nicht nur in Bayern…


Ein Traum von Berlin


Die Liste der Erfolge, die Hubert Aiwanger vorweisen kann, ist nicht unendlich lang, aber sie ist auch nicht mickrig. Immerhin gelang es den Freien Wählern, sich der CSU als Koalitionspartner aufzudrängen, und vermutlich wird Söder auch im Herbst wieder die kleinere, mehr traditionalistisch geprägte Gruppierung zur Regierungsbildung benötigen. Sein jetziger Regierungsvize ist bereits seit 2006 FW-Landesvorsitzender und wurde 2010 auch zum Bundesvorsitzenden gewählt. Mittlerweile konnte die Partei in den Landtag von Rheinland-Pfalz einziehen und erreichte bei der Bundestagswahl 2021 immerhin 2,4 Prozent. Einige Gefolgsleute träumten im Vorfeld bereits von einem Vizekanzler und Außenminister Hubert Aiwanger (was sicherlich Panik unter den Synchron-Dolmetschern ausgelöst hätte).


Berlin ist weiterhin Aiwangers Traumziel, dafür hat er auch einige FW-Anhänger, die sich auf den Freistaat beschränken wollten, verprellt. Aber selbst in Bayern liegen nach den meisten Umfragen neben der noch immer mächtigen CSU auch die Grünen und die AfD vor seiner Partei. Dafür hat diese die kränkelnde SPD und die schwindsüchtige FDP hinter sich gelassen.


Dürftiger sieht Aiwangers Erfolgsbilanz als Wirtschaftsminister aus: So verhinderte er den Ausbau von Leitungen, die den in Offshore-Windparks erzeugten Strom in den Süden transportieren sollten. Damals sprach er von „Monstertrassen“, heute wird in München lamentiert, Bayern werde bei Energiezuteilung aus dem Norden vernachlässigt. Den Bau von Windrädern im Freistaat hätte Aiwanger hingegen gern forciert, wurde aber von Söder mit der 10H-Regelung ausgebremst.


Die Ambitionen des FW-Chefs, republikweit eine wichtigere Rolle zu spielen, sind weiter ungebrochen. Dazu benötigt er nationale Aufmerksamkeit, die er notfalls auch durch Verbalinjurien und gedankliche Anleihen bei ausgewiesenen Rechtsradikalen erreichen will. Und es gibt genügend Leute, die ihm zugutehalten, er rede halt, wie ihm der Schnabel gewachsen sei, auch wenn seine Wortwahl nicht eben fein wirke. Vielleicht glaubt Aiwanger, so neben der AfD eine weitere Kraft am immer größer werdenden rechten Rand des Politikspektrums etablieren zu können: weniger ideologisch definiert, dafür eher folkloristisch, schlitzohrig und hemdsärmelig, in jedem Fall aber intolerant…


06/2023


Dazu auch:


ystem Bayern I und II im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund (2013)