Grüner Schlussverkauf

Cartoon: Rainer Hachfeld


Sale! Alles muss raus! Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe! Dieses oder Ähnliches künden allerorten Schilder in den Innenstädten und Einzelhandelszentren. So könnte es auch vor der Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Berlin prangen, denn die Partei trennt sich derzeit von den letzten Resten ihrer Glaubwürdigkeit, leert die Archive des Aufbruchs und verramscht Überzeugungen, Prinzipien sowie die Inhalte einer inzwischen verleugneten Vergangenheit. Schnäppchen sind dabei allerdings nicht zu machen, denn nach den sogenannten grün-gelb-roten Koalitionsgesprächen blieben nur noch Scherben und Fetzen übrig. Robert Habeck & Co werden von ihren „Regierungspartnern“ zunehmend der Lächerlichkeit preisgegeben.


Das Klima kann warten


Nach den Marathonverhandlungen, die den Kurs der Republik in eine ökologisch und sozial verträglichere Zukunft weisen sollten, schrieb Alexander Neubacher, gewöhnlich ein unheilbarer Marktoptimist, im SPIEGEL: „Und in der Ampelregierung stehen Klimaschutzminister Robert Habeck und die Grünen da wie gerupfte Hühner.“ Tendenziell richtig beobachtet, allerdings haben die VertreterInnen, anders als das Federvieh, nicht versucht, sich der Zwangsentblößung durch Schnabelhiebe oder Flucht quer über den Hof zu entziehen, sondern nur gegackert.


Wie die FAZ berichtete, hatten Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Lindner mit offensichtlich abgesprochenen Impulsreferaten zu Beginn den „ergebnisoffenen“ Gesprächen die Richtung gewiesen und die Grünen überrumpelt. Und diese begaben sich – zwar ungern, aber letztendlich gehorsam – auf den langen Marsch zurück in eine Umweltpolitik, die lediglich kosmetische Akzente setzt und so eine Feigenblattfunktion erfüllt, statt den ökologischen Wandel durch systemische Änderungen einzuleiten.


Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kommentierte das kollektive Versagen der Ampel drastisch, aber durchaus zutreffend: „FDP und SPD wollen gemeinsam Klimaschutz verhindern und die GRÜNEN können oder wollen nicht dafür kämpfen. Erneut zeigt sich, wer in Deutschland die Grundzüge der Politik festlegt – es sind die großen Industriekonzerne mit ihren Wirtschaftsinteressen.“


Das am 24.06.2021 (Das genaue Datum ist wichtig, wie wir sehen werden!) vom Bundestag beschlossene Klimaschutzgesetz hatte das Minderungsziel für Treibhausgase (vor allem CO2) auf ein Minus von 65 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 angehoben. Jährlich sollten in den verschiedenen Sektoren, von der Landwirtschaft über den Verkehr bis hin zur Energiewirtschaft, die Einsparungen überprüft werden. Es war die FDP, die jetzt mit Unterstützung des neoliberalen Kanzlers im SPD-Mäntelchen das Gesetz kastrierte. Die Ziele werden „entschärft“, die Sektoren, für die jeweils ein Ministerium verantwortlich zeichnete, lösen sich in eine breiige Gesamtmasse auf, die jährliche Kontrolle fällt flach. Ziele, die man reißen würde, werden so auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben, Klima und Natur können warten.



















Da klatscht der Kanzler, und die Liberalen freuen sich: "Unsere grünen Freunde fliegen wie die Vöglein oder Schmetterlinge, nachdem ihnen der Wissing-Highway (to hell) die blühenden Landschaften unter den Füßen weggebeamt hat..."


Verkehrsminister Wissing, der jegliche Bemühungen gegen den Klimawandel durch engagiertes Nichtstun sabotierte, reüssiert auf breiter Front: So sollen 144 Autobahnprojekte beschleunigt durchgesetzt werden, während der dringend notwendige Bahnausbau in die ferne Zukunft entschwindet. Als Trostpflaster fließt ein wenig LKW-Maut an die DB, die aber mit diesen 5 Milliarden Euro höchstens ein bis zwei Jahre an ihrem Gigantomanie-Irrsinn Stuttgart 21 weiterbauen oder ein paar Tausend marode Schwellen sanieren kann. Und natürlich wird es kein Tempolimit auf Autobahnen geben. Mithilfe der SPD haben die Liberalen die Vorfahrt freier SUV-Bürger bei gleichzeitigem Stopp für den ÖPV durchgesetzt.


Vorwärts Genossen, wir wollen zurück!


Als das ZDF Robert Habeck auf das peinliche Nachgeben seiner Partei anspricht, offenbart der einstige Hoffnungsträger ein bemerkenswertes Gemisch aus Euphemismus, Realitätsferne und Masochismus: „Aber selbst wenn es so wäre, dass die Grünen nachgegeben hätten, was ich an vielen Stellen anders bewerten würde, selbst, wenn es so wäre, wäre das so schlimm? … Ist es nicht vielmehr so, dass irgendjemand mal einen halben Schritt auf die anderen zugehen müsste? Und ist es nicht vielmehr so, dass man vielleicht sogar fast stolz darauf sein kann, dass wir die Kraft haben, eine Regierung wieder mit zum Arbeiten zu bringen?“


Wäre im Mittelalter der ehemalige Öko-Rebell Robert Habeck anstelle des grünen Outlaws Robin Hood gewesen, hätte er sich dem Sheriff Lindner von Nottingham ergeben und wäre sogar ein bisschen stolz darauf gewesen, dass dieser nun ohne den Widerstand der Geächteten seine Arbeit wieder hätte aufnehmen und die Axt an den Sherwood Forest legen können. Heutzutage nennt man einen solchen Opportunisten Realo.


Es ist müßig, nur auf die Grünen zu schimpfen, und die Rolle, die Olaf Scholz und seine Partei bei der „Klima-Kapitulation“ (Kampagnen-Plattform Campact) gespielt haben, zu vernachlässigen. Irgendwie dienen die Sozialdemokraten den Grünen als historisches und aktuelles Vorbild. Seit ihrer Gründung sprang die SPD als sozialistischer Tiger, um als Schmusekätzchen auf dem Schoß des Großbürgertums zu landen – ob es sich 1914 um die Bewilligung der Kriegskredite, 1919 um den Pakt des Genossen Noske mit rechtsradikalen Junkern und Militärs zur Niederschlagung der Arbeiterunruhen oder 2002 um die Ablehnung der Vermögenssteuer durch Gerhard Schröder handelte.


Unter Olaf Scholz aber schaffte die SPD etwas Einmaliges: Auf seine Initiative hin wurde nun das von der Union und ihr selbst 2019 in der Großen Koalition durchgesetzte und im Juni 2021 verschärfte sowie konkretisierte Klimaschutzgesetz zu Makulatur. Der „Kanzler für den Klimaschutz“ (Scholzens Eigenlob im Wahlkampf) verfügt zur Freude der Liberalen und zur Verzweiflung der wenigen ernsthaften Grünen in den jüngsten Verhandlungen die völlige Verwässerung des eigenen Gesetzes. Die Sektorenziele (s. o.) sollen zwar weiterhin erreicht werden, aber der genaue Beitrag (oder das Versagen) der einzelnen Ressorts wird nicht mehr überprüft. Für das – im wahrsten Sinne des Wortes – todsichere Scheitern aller hochfliegenden Pläne und Intentionen kann dann niemand zur Verantwortung gezogen werden. „Ego te absolvo, Volker“, sprach der beste und einzige FDP-Kanzler, den es je gab, zu seinem Verkehrsminister Wissing.


Nun war Olaf Scholz schon immer dem Kapital mehr zugetan als irgendwelchen Arbeitertraditionen seiner Partei, in seinem Faible für die große Wirtschaft ähnelt er dem CDU-Kontrahenten Friedrich Merz. Nur kann er es vor allem mit dem hanseatischen Geldadel, während der Unionist Favorit der US-Investoren ist. In den Liberalen sieht Scholz die natürlichen Verbündeten für seinen Rechtskurs, zumal die Grünen von gelegentlichen ökologischen Anwandlungen heimgesucht werden. Trotz Unmuts in Teilen der SPD hat Scholz keine Rebellion zu befürchten, während Merz es in seiner Partei mit Andreas Jung oder Norbert Röttgen, die dem Kanzler die „Aufweichung“ des Klimaschutzgesetzes vorwerfen, zu tun hätte, würde er einen ähnlichen Kahlschlag riskieren. Der Lindner-FDP, für die Umwelt eine Spielwiese des „freien“ Marktes darstellt, beweist der Hamburger so, dass er im Grunde der bessere Merz ist.


Bis zur Selbstaufgabe taktieren?


Manche hoffen jetzt, dass die „Reform“ des Klimaschutzgesetzes, mit der gemäß dem Wissenschaftler Niklas Höhne die Ampel „eines der wirksamsten Instrumente der Klimapolitikgestaltung abschafft“, vom Bundesverfassungsgericht gestoppt wird. Den Grünen wurden indes für ihre selbstmörderische Zustimmung zwei Zuckerl hingeworfen, die sich bei näherem Hinsehen als Giftköder entpuppen.


Die Umrüstung der deutschen Haushalte von fossiler zu nachhaltiger Energie, von Öl- oder Gasheizung zu Wärmepumpen, die schon längst beschlossen war, wurde nicht wie so vieles Wichtigeres bei den Verhandlungen nachträglich gekippt. Vermutlich wollen SPD und FDP Habeck nochmals ins Messer laufen lassen, denn so sinnvoll das Primat erneuerbarer Ressourcen in der Wärmegewinnung auch sein mag, so schlecht vorbereitet ist die Umsetzung, so viele Fallgruben pflastern den Weg. In den Fachfirmen sind Tausende Stellen für Heizungsinstallateure unbesetzt, und für die vorhandenen Mitarbeiter gibt es zu wenige einschlägige Fortbildungen. Es fehlt an Geräten wie Ersatzteilen, und die Wärmepumpen benötigen so viel (sauberen) Strom, dass Stadtvierteln, in denen zeitgleich PKW-Batterien aufgeladen werden, regelmäßig der Blackout droht. Da auch viele Haus- und Wohnungseigentümer zu hohe Kosten fürchten und nach Ausnahmeregelungen suchen werden, ist die Blamage für Habeck & Co vorprogrammiert.


Geradezu lächerlich nimmt sich ein weiteres Zugeständnis an die Grünen aus. Im am dichtesten versiegelten Flächenstaat Europas wird Umweltfrevler Wissing nun beschleunigt 850 Kilometer neuer Autobahntrassen durch die Landschaft schlagen lassen. Links und rechts dürfen dann Windräder und Solarpaneele platziert werden, die insgesamt dürftige fünf Gigawatt erbringen sollen. Das mutet an, als wolle man mit Alleebäumen an den Rändern neuer Großflughäfen das Klima retten.


Die Frage ist nicht mehr, ob sich die Grünen von ihren „Partnern“ demütigen lassen, sondern lediglich, wie weit nach unten es mit der Erniedrigung noch geht. Eitle HohlsprecherInnen wie Habeck oder Baerbock scheinen so sehr von der eigenen Bedeutung überzeugt, dass sie sich auf jede neoliberale umweltfeindliche Zumutung einlassen, nur um die eigenen Posten zu retten. Diese Koalition unter solchen Prämissen fortzusetzen, hat etwas von Selbstaufgabe. Petra Kelly, Hans-Christian Ströbele und etliche verblichene Öko-Aktivisten der ersten Stunde müssen diese Situation zum Glück nicht mehr miterleben.


04/2023


Dazu auch:


Grünes Atom-Faible im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund (2021)