Lust auf Abstieg
Cartoon: Rainer Hachfeld


Parteien und Politiker klammern sich an die Macht, selbst wenn ihnen jede Legitimation dazu abgesprochen wird - so geht jedenfalls Volkes Meinung. In Berlin allerdings gibt eine Sozialdemokratin, die sich zuvor gegen allgemeine Skepsis die Chefposition im eigenen Haufen und das oberste Amt der Hauptstadt gesichert hat, den Anspruch auf die Führung der Regierungsmehrheit mit rätselhafter Begründung auf. Ist es das Symptom einer in der SPD nicht seltenen Links-Allergie? Steht ihr generell die schwarze Reaktion näher als rot-grünes Gewusel? Werden wir Franziska Giffeys Motive je korrekt deuten und ihre Genossen in ihrem Hang zur Selbstaufgabe irgendwann verstehen können? Ein Versuch ohne viel Hoffnung:


Qualifikationen einer Kandidatin


Spätestens seit dem Schwank um den uns sehr teuren Hauptstadtflughafen BER mutmaßten wir Provinz-Deutschen, dass sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit einst mit der Klassifizierung der Kapitale als „arm, aber sexy“ vertan haben musste, dass „arm und gaga“ zielführender gewesen wäre. Zumindest die Berliner SPD beweist uns auch heute, dass Unvernunft und Wahnwitz rund um das Rote Rathaus grassieren.


Ohne Not dienen die Genossen, gedrängt von ihrer First Lady, die lokale Macht dem CDU-Vorsitzenden Kai Wegner an, der selbst in den eigenen schwarzen Reihen nicht immer als lupenreiner Demokrat wahrgenommen wird. So warf Mario Czaja, inzwischen immerhin Generalsekretär der Bundes-Union, Wegner einen „riskanten Rechtskurs“ sowie ideologische Nähe zu Hans-Georg Maaßen, dem Ex-Verfassungsschutzchef und völkischen Populisten, vor.


Franziska Giffey, die als Spitzenkandidatin die Januar-Wahl für die SPD krachend versemmelt hatte, stört dies nicht weiter, gehört sie doch selbst der rechten Mehrheit ihrer Partei an und schlug als Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln einen strikten Law-and-Order-Kurs ein. Dass sie sich in einer Koalition mit der Linken und den in der Hauptstadt relativ aufmüpfigen Grünen nicht wohlfühlen würde, war schon vor der Wahl 2021 klar. So muss es wohl eine gewisse Untergangssehnsucht gewesen sein, die den Sozialdemokraten nahegelegt hatte, Giffey für das Spitzenamt zu nominieren, zumal sich die ehrgeizige Dame damals bereits deutlich auf dem absteigenden Ast befand.


Als sie 2021 bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus, die jetzt wegen Spreeathener Pfuschs wiederholt wurde, antrat, galt sie nämlich außerhalb Berlins bereits als untragbar. Den Job als Bundesfamilienministerin, den sie 2018 im Kabinett Merkel übernommen hatte, musste sie aufgeben, weil ihr der Doktortitel aberkannt worden war – die Quellen, die sie abschrieb, zitierte sie nicht, und die angegebenen hatte sie ignoriert. Was man aber den Restdeutschen nicht zumuten wollte, nämlich eine Politikerin, die beim Täuschen und Tricksen ertappt worden war, in einem Amt mit hoher Verantwortung, schien den Genossen für Berlin gut genug. (Man stelle sich nur das Gelächter vor, hätte der gegelte Freiherr zu Guttenberg, ebenfalls des exzessiven Kopierens überführt, nach seinem Rücktritt als Bundesverteidigungsminister Anspruch auf das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten angemeldet!)


Im Bund mit dem Wahlsiegerlein


Die gefallene Doktorin war bei dem später für ungültig erklärten Stimmgang von 2021 mit 21,4 Prozent der Stimmen noch einmal 0,2 Prozent unter dem Ergebnis von 2016 geblieben, bis dato das schlechteste Resultat der SPD. In der Wiederholungswahl vom Februar dieses Jahres schaffte sie es, ihre Partei um weitere drei Prozent herunterzufahren. Da sich aber die Verluste der Linken und der Grünen in Grenzen hielten, wäre die Koalition immer noch auf eine stabile Regierungsmehrheit im Abgeordnetenhaus gekommen: Mit 90 von 159 Sitzen gegenüber der CDU (52) und der AfD (17) hätte sie bequem weiterregieren können.


Insofern klangen die Beteuerungen Wegners, die Union habe die Wahl gewonnen und müsse deshalb jetzt die Regierung bilden, zunächst ein wenig absurd, zumal kein möglicher Bündnispartner in Sicht schien. Aber der CDU-Spitzenkandidat hatte wohl klammheimlich auf Franziska Giffey gesetzt, die den Selbstzerstörungsmechanismus der SPD in Gang setzte und sich ihm als Junior-Gehilfin anbot. Natürlich tobten die Jusos, selbstverständlich lehnten Bezirksverbände wie Neukölln (ihr eigner!) oder Steglitz-Zehlendorf die Mesalliance ab. Aber nachdem der Berliner Landesvorstand seiner Katastrophenkandidatin mit Zweidrittelmehrheit das Placet erteilt hatte, in Verhandlungen zur Bildung einer Rechtsaußen-Koalition einzutreten, war es wie immer in der SPD: Nach kurzem Tumult kuscht die Partei und schluckt die nächste Kröte.






















"Oh Herr Wegner, welch stramme und volksgesunde Aussicht! Da könnte man ja glatt die eigene kränkelnde Partei darüber vergessen..."


Rätselhaft bleibt nur das Motiv für Giffeys Fahnenflucht. War sie beleidigt, weil die Wähler ihr illustres Wirken nicht gebührend honoriert hatten? Wollte sie – nachdem die Sozialdemokraten lediglich eine Handvoll Stimmen vor den Grünen lagen – künftige Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe vermeiden? Ist sie masochistisch veranlagt, oder fühlt sie sich politisch in Stegers Umarmung besser aufgehoben als im ständigen Disput mit Rot und Grün?


Ab jetzt schwarze Inhalte


Schließlich teilt sie weitgehend die Ansichten des rechten CDU-Randes, wenn es um die Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan und Syrien geht, und hält die grundgesetzliche Lyrik vom Eigentum, das verpflichten soll, von der Enteignung als legitimem Mitteln sozialer Korrektur für Gotteslästerung.


So begierig auf die bescheidene Teilnahme an einer rechten Stadtregierung war sie, dass sie nicht müde wurde, ihre Partei zu warnen, die neuen CDU-Freunde könnten auch mit den Grünen koalieren. Diese zeigen sich allerdings in ihrer Berliner Version als erstaunlich prinzipienfest, während sie doch im Bund – wie auch die Genossen – bisweilen an Lemminge erinnern, die ihrer Führung nachstürzen, wie tödlich der Kurs auch sein mag.


Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um der Berliner SPD ein Dahindämmern an der Seite der Union, die ihre Inhalte gnadenlos gegenüber dem geschwächten Sozius durchsetzen wird, sowie den weiteren Abstieg in der Wählergunst zu prognostizieren. Die Genossen sollten sich der mahnenden Beispiele einst stolzer Schwesterparteien erinnern, die jäh von den Regierungssitzen in die Anonymität von Splittergruppen verbannt wurden – etwa die PASOK in Griechenland oder die französischen Sozialisten…


03/2023


Dazu auch:


Die frohe Botschaft im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund (2018)