Posse mit Nancy
Cartoon: Rainer Hachfeld


Karl Marx hatte einst die Bemerkung Hegels, dass alle großen geschichtlichen Tatsachen und Personen sich zweimal ereignen, mit den Worten „das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce“ ergänzt. Nun hat man in der SPD den Trierer Philosophen nie gern gelesen, eher nach Kräften ignoriert. Das rächt sich jetzt: Nach der desaströsen Wahlniederlage in Berlin steuert die Partei nun in Hessen auf ein weiteres Debakel zu, wobei die beinahe tragikomisch anmutende Vorgehensweise nahelegt, dass die Genossen nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben. Wieder soll eine Galionsfigur aus der Bundesregierung eine Landtagsmehrheit erringen, nach Franziska Giffey darf jetzt Nancy Faeser krachend scheitern.


Ein Flop neu aufgelegt


Die Sozialdemokraten hatten 2021 die Chuzpe, den Berlinern eine Dame, die gerade erst als Bundesfamilienministerin hatte zurücktreten müssen, weil ihre Tricksereien bei der Doktorarbeit aufgeflogen waren, als Spitzenkandidatin zu präsentieren. Das Wahlvolk zeigte sich not amused, und Giffey fuhr das schlechteste Ergebnis ever in der Hauptstadt ein. Nachdem der Urnengang wegen einiger Ungereimtheiten wiederholt werden musste, unterbot sie ihr eigenes Debakel nochmals um drei Prozent. Vorbei war’s mit der SPD-Herrlichkeit, dennoch hätte Giffey die Koalition mit Grünen und Linken fortsetzen können. Sie entschied sich aber dafür, als Steigbügelhalterin für den CDU-Rechtsaußen Kai Wegner zu fungieren und dessen restriktive Migranten- und überholte Pro-Auto-Politik als Juniorpartnerin mitzutragen – inhaltlich waren die beiden ohnehin nie weit auseinander.


In diesem Herbst soll wieder frischer Wind aus der Bundesregierung ein SPD-Kabinettsmitglied auf den Chefsessel eines Bundeslandes tragen. Die Innenministerin Nancy Faeser, bislang weder durch große Erfolge noch durch überzeugende Expertisen aufgefallen, wurde auserkoren, den CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein in Wiesbaden abzulösen. Die Chancen tendieren nach jetzigem Stand gegen Null.


    Sportlich, sportlich, die Frau Faeser! Nach dem Ministersessel will sie nun den

    Landesthron besteigen. Vielleicht landet sie aber nur zwischen zwei Stühlen...


Immerhin hat sich Nancy Faeser bis dato noch keine ahndungswürdigen Verfehlungen à la Franziska Giffey geleistet, doch für eine Juristin offenbart sie bisweilen eine merkwürdige Auslegung von Gesetz und Vertragstreue. Zudem versucht sie, die ihr davonschwimmenden Felle durch handfesten Rechtspopulismus zu retten.


Ein seltsames Rechtsverständnis


Nur zwei Beispiele für Faesers laxen bis rechtswidrigen Umgang mit höchstrichterlichen Entscheidungen und verbindlichen politischen Entscheidungen:


Der Europäische Gerichtshof hat 2022 in einem Urteil die anlasslose Massenspeicherung von IP-Adressen verboten. Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde dementsprechend vereinbart, dass Daten nur „rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Nancy Faeser jedoch outet sich als Fan grenzenloser Überwachung und setzt sich weiter für das anlasslose und genehmigungsfreie Sammeln der Daten ein.


Im Koalitionsvertrag wurde auch zu Cyberangriffen im Ausland (sog. Hackbacks) festgehalten: „Hackbacks lehnen wir als Mittel der Cyberabwehr grundsätzlich ab.“ Doch was stört Nancy das Koalitionsgeschwätz von gestern? Sie will jedenfalls das Grundgesetz ändern, auf dass deutsche Geheimdienste künftig weltweit im Netz abhören und sabotieren können.


Um die schwindende Akzeptanz ihrer Partei in Hessen und anderswo zu kontern, begibt sich die Bundesinnenministerin, die wohl glaubt, mit links eins der wichtigsten Ressorts der Republik zeitgleich mit dem Wahlkampf in einem Bundesland führen zu können, auf die Argumentationsebene der AfD. Nach den Berliner Krawallen der letzten Silvesternacht erkannte Faeser ein Problem wegen „bestimmter junger Männern mit Migrationshintergrund“.


Offenbar kann sie sich gut in die Rabauken hineinversetzen, denn sie dozierte, diese verachteten den deutschen Staat, seien gewalttätig und mit Bildungs- und Integrationsangeboten kaum zu erreichen. Natürlich forderte die Law-and-Order-Politikerin eine rasche und empfindliche Bestrafung. Der Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter rechnet solche Äußerungen einem Publizitätsfeldzug hinsichtlich der anstehenden Landtagswahl in Hessen zu.


Mit dieser Totschlagsargumentation erspart man sich Differenzierungen sowie einige peinliche Nachfragen. Etwa, welche Integrations- oder Inklusionsprogramme die Migrationsjugendlichen überhaupt hätten erreichen sollen. Von der Bundesregierung kam so gut wie nichts, und kommunale oder von NGOs initiierte Ansätze waren chronisch unterfinanziert. Und an welche Art von Bestrafung denkt Frau Faeser denn bei den gewalttätigen und straff organisierten Hooligans ohne Migrationshintergrund, die Wochenende für Wochenende Randale rund um die Fußballarenen des Landes veranstalten?


Viele Urdeutsche mögen Ausländer nicht, in den sogenannten Clans aber sehen sie den schieren Untergang des Abendlandes. Es handelt sich hierbei nicht um die kriegerischen Sippen schottischer Hochländer, sondern um meist aus dem Nahen Osten eingewanderte Großfamilien, deren Mitgliedern eine Reihe von Eigentumsdelikten angelastet wird. Da Nancy Faeser intensiv am xenophoben Rand des Wählerspektrums fischen möchte, kündigt sie der Lieblingspostille aufrechter Sozialdemokraten, BILD, eine „harte Antwort des Staates“ auf die Clan-Kriminalität an und forderte konsequente Abschiebungen der Täter, aber auch von nicht kriminell gewordenen Angehörigen solcher Vereinigungen und Familien. Wehe dem, der einen falschen Nachnamen hat!


Himmelfahrtskommando mit Rückfahrkarte


Da war die Zunge der ehemaligen Wirtschaftsanwältin wohl schneller als das juristisch geschulte Gehirn: Ohne individuelle Tatbeteiligung sollen Menschen bestraft und um ihre Existenz gebracht werden? Der Fernsehsender n-tv weist auf ein anderes Ausschlusskriterium für Ausweisungen hin. Viele Mitglieder der Clans besitzen von Geburt an oder durch Einbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft, können also gar nicht abgeschoben werden.


Das Wochenmagazin der Freitag wiederum zitiert Experten, denen zufolge zehn Prozent oder weniger Angehörige von „Familien, die mit dem Begriff Clan bedacht werden“, straffällig sind. Zudem machen den Großteil der tatsächlich begangenen Vergehen Verkehrsdelikte, Beleidigungen oder Beförderungserschleichung (Schwarzfahren) aus, also nicht Verbrechen im Dunstkreis der „organisierten Kriminalität“, die Nancy Faeser so gern anführt.


Die Spitzenkandidatin und gleichzeitige Innenministerin buhlt offensichtlich um die Sympathien der AfD-Anhänger. „Und gießt eimerweise Wasser auf die Mühlen einer gefühlsduseligen, angstgetriebenen Debatte, an deren Ende Sippenhaft und willkürliche Deportationen stehen“, wie der Freitag urteilt.


Nancy Faeser wird die Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger und Neonazis durch solche Volkstümelei nicht vom rechtsradikalen Original abbringen können und erleben dürfen, wie die SPD bei der Wahl am 8. Oktober scheitert und möglicherweise sogar auf den dritten Platz in der hessischen Landesliga zurückfällt. Aber sie war vorsichtig genug, vorab zu erklären, dass sie dann als Bundesministerin weitermachen wird, quasi im ramponierten Status der lame duck, bis im Herbst 2025 womöglich auch die Abwahl der Ampelkoalition ansteht…


08/2023


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Lust am Abstieg im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2023)