| Der Vollblutpolitiker
Er hat sogar den Jagdschein Was haben wir gelästert über den Liberalen, der nach eher ernüchternden Versuchen, in der Wirtschaft zu reüssieren, lieber in die Politik ging, um als Finanzminister von Grund auf zu lernen. Wir hielten ihn für den Chef-Lobbyisten der Automobilindustrie und den skrupellosen Fürsprecher der Schützenvereine sowie des Bundesverbands der Deutschen Büchsenmacher und Waffenfachhändler. Als nach dem Amoklauf von Hamburg Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine Verschärfung des Waffenrechts ankündigte, legte er sich nämlich mit der Forderung quer, man müsse erst einmal die Resultate früherer Gesetzesänderungen evaluieren. Einfach nur die Toten zu zählen und daraus eine Pflicht zum Einschreiten abzuleiten, genügt dem differenziert denkenden Beau, der mit Robert Habeck um den Titel des „Mister German Policy“ buhlt, bei weitem nicht. Doch kürzlich berichtete der SPIEGEL, dass Lindner passionierter Jäger ist und seine beiden teuren Gewehre ganz arg lieb hat. Deshalb also wirft er sich in die Bresche und verteidigt das freie Feuer für freie Schützen gegen den dumpfen Ruf des niederen Volkes nach mehr Sicherheit. Lindner unterscheidet auch penibel zwischen guten und bösen Totmachern. Man müsse erst noch Statistiken erstellen, ob die eigentliche Gefahr von legalen oder illegalen Waffen ausgehe, gibt er zu bedenken. Eine Kurzerhebung könnte ihn schon mal darüber in Kenntnis setzen, dass bei den Massakern von Hanau (9 Tote) und Hamburg (7 Tote) die tödliche Gefahr aus den Läufen „legaler“ Schusswaffen kam, jedenfalls waren die Mordwerkzeuge ordnungsgemäß gekauft und angemeldet worden, denn weder die Psychosen noch die Nazi-Gesinnung der Täter stellten einen Hinderungsgrund für die Ausstellung eines Berechtigungsscheins dar. Freiheitssymbol Porsche Außerdem sollte sich der Christian bei all der glühenden Solidarität mit Schießprügelbesitzern im Klaren darüber sein, dass aus „legalen“ Waffen leicht „illegale“ werden, etwa wenn der Sohn des rechtmäßigen Besitzers einer Beretta 92 diese aus dem väterlichen Waffenschrank entwendet und 2009 in Winnenden 16 Menschen erschießt. Wem würden solch lässliche Ungereimtheiten nicht unterlaufen, wenn er doch ein hohes Gut, nämlich die Freiheit im Allgemeinen gegen sozialdemokratische Regulierungssucht verteidigen muss, im Besonderen die Freiheit der Besserverdienenden, besser Bewaffneten – und der besser Berittenen. Denn wenn Lindner mit Hunderten von Pferdestärken über die als Autobahnen deklarierten Rennpisten der Republik braust, will er sich natürlich nicht zu kleinlichen 130-km/h oder gar zur 100-km/h-Zeitlupe nötigen lassen. Fälschlicherweise haben wir geglaubt, der bekennende Porsche-Fan habe auf den Boss seines Lieblingskonzerns gehört, als er die EU-Klimabemühungen, Verbrennermotoren zu verbieten, so lange sabotierte, bis Stinker, die mit E-Fuels fahren, ausgenommen wurden. Zwar prahlte Porsche-Chef Oliver Blume damit, er habe dies durch ständigen Kontakt mit dem Wirtschaftsminister erreicht, doch hatte Lindners uneigennütziger Einsatz nichts damit zu tun, dass die Firma in die energieintensive Produktion des teuren und überflüssigen Kraftstoffs investiert hatte. Letztendlich war es Lindners ureigenste Liebe zu sattem Motorsound und irrer Beschleunigung, die ihn zum Verteidiger der Dino-Technik werden ließ – rein ehrenamtlich natürlich; er hat ja schon bei seinen Ausflügen in die Wirtschaft bewiesen, dass er von Geld wenig hält oder zumindest wenig versteht. Geht er an die Front? Doch zurück zum Freischützen Lindner, der unlängst bei dpa auftauchte: Während des Osterfestes hatten sich einige führende deutsche Politiker publikumswirksam in den Dienst (oder was sie als einen solchen ansahen) des Volkes gestellt. So leistete der jeden Mitgefühls unverdächtige CDU-Chef Merz eine Frühschicht auf der Intensivstation des Klinikums Hochsauerland ab, was uns in Sorge versetzt, dass bei einigen Patienten schwere Traumata zurückblieben, nachdem sie in das ungeschminkte Antlitz des Kapitalismus blicken mussten. Cem Özdemir hingegen, der grüne Landwirtschaftsminister, für wenig durchdachte Anregungen und gründliches Scheitern beim Einhegen der Agrar-Industrie bekannt, übte vier Tage mit der Bundeswehr und betätigte sich anschließend per Twitter als Barras-Werber. Das mochten die FDP-Spitzen, allen voran die nur äußerst Gebildeten bekannte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, Justizminister Marco Buschmann und eben unser Christian Lindner, nicht auf sich sitzen lassen. Eifrig twitterten sie ihrerseits, dass sie Anno Dunnemals auch schon an Wehrübungen teilgenommen hätten. Freischütz Lindner mit seinen Lieblings-Guns und seinem vor dem Aussterben bewahrten Verbrenner auf dem Weg zur Pirsch. Oder doch an die Front? Für die beiden anderen war das wohl eine PR-Pflichtübung, aber bei dem Vollblutpolitiker Lindner beschleichen mich Ängste, dass er sich in der ihm eigenen selbstlosen Aufopferung für die Sache seine beiden Büchsen über die Schulter hängt, gen Front in die Ukraine entschwindet und als Scharfschütze die Russen Mores lehrt. Nur haben die auf der anderen Seite auch Sniper, und wir sehen Christian vielleicht nie wieder… 04/2023 Dazu auch: Artenschutz à la FDP im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund (2022) |
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