Ein Gas- und Waffenmakler
Cartoon: Rainer Hachfeld


Spitzenpolitiker begeben sich gern auf ausgedehnte Auslandsreisen, wenn sie ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben und daheim nichts vorangeht. So konnten wir Olaf Scholz auf Tour durch Südamerika beobachten, wo er einerseits als selbsternannter EU-Emissär Waffen für die Ukraine anmahnte und zum andern versuchte, das deutsche Energieverlangen zu stillen, indem er die Sünden wider Klima und Umwelt auf den fernen Subkontinent abwälzte. Doch ob er nun in Argentinien, Chile oder Brasilien vorsprach – er wurde von den dortigen Regierungen als ein heikler Gast empfangen, dem neben merkantilen Zugeständnissen auch geopolitische Ablehnung zuteilwurde.


Ausgebeutete wollen nicht mit ins Boot


In drei Tagen besuchte Scholz drei Länder und versuchte im Stil eines eiligen Handelsvertreters, den Regierungen dort drei Anliegen der EU-Wirtschaft und der NATO schmackhaft ans Herz zu legen: Waffen für die Ukraine, Wirtschaftssanktionen gegen Russland und Gas für das sarbende Westeuropa.


Beim Versuch, die dem Westen so wichtige, aber faktisch nicht existente globale Einheitsfront der demokratischen Staaten gegen Russland im Ukraine-Krieg auszuweiten, blamierte sich der deutsche Kanzler gründlich.
Schon die Administration in Washington hatte vergeblich eine militärische Kooperation Argentiniens mit Kiew ins Spiel gebracht und Buenos Aires aufgefordert, einst gekauftes Kriegsgerät aus Russland bzw. der UDSSR ins Kampfgebiet zu liefern, obwohl dafür modernerer Ersatz aus US-Produktion in Aussicht gestellt wurde (vermutlich zu kleinem Aufpreis). In seiner  Funktion als eifriger Sendbote Bidens hatte Scholz das Thema nochmals aufs Tapet gebracht und sich eine krachende Abfuhr durch den Gastgeber eingehandelt: Es sei notwendig, „so bald wie möglich wieder Frieden herzustellen“, erklärte Präsident Alberto Ángel Fernández, aber „Argentinien und Lateinamerika denken nicht daran, Waffen zu schicken, weder an die Ukraine noch an einen anderen Konfliktort“.


Die Bitte, der Ukraine Panzergeschosse zu liefern, wurde Scholz auch in Brasilien abgeschlagen. Präsident Lula stellte unmissverständlich klar, sein Land habe „kein Interesse, die Munition weiterzugeben, damit sie im Krieg zwischen der Ukraine und Russland eingesetzt wird“. Zumal für ihn die Kriegsschuld trotz der russischen Invasion nicht eindeutig geklärt ist: "Ich glaube, Russland hat den klassischen Fehler begangen, in das Territorium eines anderen Landes einzudringen. Aber ich denke immer noch: 'Wenn einer nicht will, streiten zwei nicht.'" Lula schloss jegliche Beteiligung am Krieg aus und erklärte seinem Staatsgast kategorisch: „Brasilien ist ein Land des Friedens“. Das hätte Scholz angesichts des martialischen Auftretens der Grünen, Liberalen und etlicher Genossen aus der eigenen Partei über Deutschland nicht ohne Weiteres sagen können.


Es sind die Scheinmoral und Doppelzüngigkeit, mit der die USA und die westeuropäischen Staaten seit jeher in Lateinamerika ihre Ziele ohne Rücksicht auf Menschenrechte, eine friedliche und soziale Entwicklung sowie die nur verbal beschworenen demokratischen Werte verfolgten, die fast alle Staaten der Weltregion davon abhalten, sich einer von der NATO dominierten Kriegskoalition anzuschließen.


Zu gut erinnert man sich auf dem Subkontinent an die postkoloniale Geschichte, als zunächst das britische Empire die Länder ausplünderte, ihnen eigene Produktion untersagte und blutige Konflikte wie den „Salpeterkrieg“ zwischen Chile, Peru und Bolivien anzettelte; als später die USA nach Gusto militärisch intervenierten, von Mexiko über Nicaragua bis Grenada, oder ihre Geheimdienste in Argentinien, Uruguay und Chile brutale Militärregimes an die Macht hievten; als deutsche Firmen wie Siemens, Daimler oder VW dort uniformierte Folterer auf ihr Firmengelände einluden, um sich unbequemer Gewerkschafter zu entledigen, oder Farmen in Amazonien von Zwangsarbeitern betreiben ließen.


Putins Überfall auf die Ukraine und seine auch Zivilisten nicht schonende Kriegsführung lehnen die Regierungen von Mexiko-Stadt bis Santiago unisono ab, aber deshalb wollen sie noch lange nicht gemeinsame Sache mit den skrupellosen Profiteuren der Vergangenheit machen, die auch jetzt wieder die interkontinentale Marktdominanz anstreben.


Deutschland vergibt Drecksarbeit


Auch das Ansinnen, die beiden Länder in den Sanktionskrieg gegen Russland einzubinden, scheiterte, ist doch Brasilien Moskaus Partner in der Wirtschaftsunion BRICS (Kürzel für Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika), bei der nun auch Argentinien die Mitgliedschaft anstrebt. Ungeachtet der (egoistischen) strategischen Interessen der beiden Atommächte im Verbund, wird die Gemeinschaft als eine Art Gegengewicht für Schwellenländer zur ökonomischen Dominanz des Westens angesehen.


















Vergeblich versuchte Olaf, aus dem fröhlichen Männerquintett ein Quartett zu machen.


Seit mehr als zwei Jahrzehnten versucht die EU, ein Freihandelsabkommen mit der Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR, der Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay angehören, in Gang zu bringen. Über 90 Prozent der Zölle würden dann für europäische Exporteure von Fertigprodukten wegfallen, und Investoren aus der Alten Welt könnten sich die Filetstücke der südamerikanischen Rohstoff- und Agrarpotentiale ohne gesetzliche Schranken sichern. 


Doch die Regierungen in Buenos Aires und Brasilia fürchten ein ökonomisches Déjà-vu, ein Szenario, in dem die Industrie ihrer Länder vor den Importen aus Europa auf die Knie geht und sie ihre Mineralien und Ernten für geringen Erlös losschlagen müssen, um Fabrikate aus Übersee teuer ankaufen zu können. Das Freihandelsabkommen zwischen Chile und der EU ist ihnen Warnung genug: Auf Export spezialisierte Konzerne zahlen praktisch keine Zölle mehr, Bergbau-Giganten wie die deutsche Wintershall-Dea wiederum beuten die Lithium-Vorkommen aus und steuern die Weiterverarbeitung. Das Land aber darf den Europäern laut Abkommen keinen Rohstoff verweigern.


Angesichts der Windstille in den supranationalen Verhandlungen mit Mercosur und des militärpolitischen Misserfolgs hat Olaf Scholz seine kurze Reise zur Shopping-Tour umgestaltet, zum Wohle der deutschen Wirtschaft, aber nicht der Südamerikaner und des Weltklimas. So wird Chile grünen Wasserstoff liefern, wobei Siemens eine Hauptrolle übernehmen soll. Andere deutsche Unternehmen sind für die Ausbeutung der Kupfer- und  Lithiumvorkommen des Landes zuständig – und für die Weiterverarbeitung, was der Intention der Regierung in Santiago, die Industrialisierung mithilfe der Wertschöpfung aus dem Abbau und der Veredelung der Bodenschätze voranzutreiben, widerspricht.


Einen besonders perfiden Coup hat Scholz jedoch in Argentinien gelandet. Wie sein kongenialer Wirtschaftsminister Habeck versucht der Kanzler, verflüssigtes Fracking-Gas nach Deutschland zu holen. Nun wurde er am Fuß der Anden fündig: In der westargentinischen Region Vaca Muerta wird seit einigen Jahren Schiefergas mit der Fracking-Methode gefördert, beteiligt ist wieder einmal die deutsche Wintershall-Dea, deren Anteilsmehrheit übrigens BASF hält. Lecks an den Bohrstellen und andere Pannen beeinträchtigten die Gesundheit der Einheimischen und ihrer Nutztiere; die Gegend, die zuvor als erdbebensicher galt, verzeichnete seit 2018 rund 400 schwache Erdstöße, neunzig Prozent davon während größerer Fracking-Operationen. Die kritische Web-Plattform German-Foreign-Policy zitiert einen argentinischen Aktivisten zur Rolle von Wintershall-Dea: „Das Unternehmen begeht Umweltverbrechen mit Fracking, was es im eigenen Land nicht praktizieren darf.“ Scholz und sein Kabinett aber lassen sich feiern für einen Gas-Beutezug, der eine zerstörte Landschaft und Bewohner in permanenter Gefahrenlage hinterlässt.


Der Markt floriert, die Umwelt verkommt


Das ist eben das Fatale an der westlichen Marktideologie: Was den führenden Nationen nützt, darf anderswo unter umwelt- und klimaschädigenden Bedingungen gefördert, hergestellt oder verklappt werden. Grüne und SPD lehnen mit gutem Grund Fracking in Deutschland ab, kaufen das Endprodukt der riskanten Technologie aber in Argentinien ein, wo ein ganzer Landstrich durch die Gewinnung bedroht wird. Man kann hehre Klimaziele propagieren, aber zur Sicherung der eigenen Energieversorgung und zum Vorteil der heimischen Wirtschaftskonzerne in anderen Ländern die Zerstörung der Natur in Auftrag geben. Dem (rhetorisch) eindringlichen Bekenntnis der bundesdeutschen Regierung zur Verantwortung für das Weltklima spricht das allerdings hohn.


Das gilt auch für die angeblich symbiotischen Freihandelsabkommen der EU mit Entwicklungs- oder Schwellenländern. Diese Verträge werden vornehmlich geschlossen, um der Auto-, Pharma-, Agrar- oder Elektroindustrie günstige Absatzmöglichkeiten zu eröffnen, in deren Folge die Umweltbelastungen dramatisch ansteigen – und um Europas Bedarf an Viehfutter, Rindersteaks oder Bodenschätzen zu decken, auch wenn dafür die artenreichsten Waldgebiete der Erde unwiederbringlich verlorengehen. Die Deutsche Umwelthilfe warnt deshalb vor dem nächsten Teufelspakt:


„In dieser Woche ging es für Bundeskanzler Scholz nach Brasilien, um über einen Neustart des zwischenzeitlich auf Eis gelegten Handelsabkommens zwischen der EU und der lateinamerikanischen Freihandelszone Mercosur sprechen. Redebedarf gibt es da aus unserer Sicht eine Menge. Denn wenn die Zölle auf Importprodukte wie Fleisch, Soja sowie Autos aus der EU wie geplant gestrichen werden, rücken die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens und des Weltnaturschutzvertrags von Montreal in weite Ferne. Die Folgen für Natur und drohende Menschenrechtsverletzungen vor Ort wären hingegen verheerend.“


Die besonders in unserem Land weit verbreitete Scheinheiligkeit bezüglich der internationalen Verpflichtung, den Klimawandel zu bekämpfen und damit auch die Schadstoffemissionen durch Renaturierung signifikant zu verringern, entlarvt sich durch schlichte Versäumnisse: Während die Bundesregierung nicht müde wird, die Abholzung der ökologisch und klimaschutztechnisch essentiellen Regenwälder Amazoniens anzuprangern, schafft sie es nicht, den bescheidenen Vorgaben der EU nachzukommen, die sich verpflichtet hat, bis 2030 mindestens 30 Prozent ihrer Land- und Meeresflächen unter Naturschutz zu stellen. Deutschland weist derzeit gerade einmal 3,6 Prozent seiner Flächen als Naturschutzgebiete aus.


Und das Ganze exemplarisch auf Bundesländerebene heruntergebrochen: Der bayerische Ministerpräsident Söder, dem es einst opportun schien, Bäume zu umarmen, lässt weiter die höchst naturschädliche künstliche Beschneiung in der Alpenregion zu, weigert sich, den Steigerwald, das wohl wichtigste Buchenhabitat Mitteleuropas, zum Nationalpark zu erklären, und hat bislang noch kein wirksames Gesetz gegen den vehementen Fortschritt der Bodenversiegelung im Freistaat auf den Weg gebracht. Obwohl das alles leichter zu bewerkstelligen wäre, als den brasilianischen Urwald vor unserer Gier zu schützen…


02/2023


Dazu auch:


Ende der Allmacht (2022), Krieg gegen die Natur (2021) und Von Bayern lernen? (2020) im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund