Hofberichterstattung

Cartoon: Rainer Hachfeld

 
Zwar hat der SPIEGEL, von vereinzelten Gastbeiträgen abgesehen, nie ernsthaft systemische Kritik geübt, doch immerhin wahrte er meist eine gewisse Distanz zu den Protagonisten des Staates. Mit leichtem Spott wurden die Politiker auf ihren Irrwegen begleitet, wobei allerdings der süffisanten Pointe oder dem verkürzenden Clou manchmal wichtige Inhalte und die Tiefe der Betrachtung geopfert wurden. Nun aber hat sich das Hamburger Magazin mit einer oberflächlichen Eloge unter die erstaunlich große Menge der Pistorius-Fans gemischt.


Der nächste Hoffnungsträger


Die Ampel-Koalition hat ihre Stars schnell verschlissen: Robert Habeck musste sich für eine Handvoll Erdgas orientalischen Potentaten andienen und ist mit seinen Maßnahmen gegen die Erderwärmung über die lokalen Gegebenheiten gestolpert. Annalena Baerbock setzt sich überall dort für Menschenrechte ein, wo sie politische Gegner an der Macht sieht, zu Massakern in zeitweilig befreundeten Ländern wie Äthiopien oder Mali schweigt sie ebenso wie zur Rechtsbeugung durch die britische Regierung im Fall von Julian Assange. Und der blasse Wahlsieger Olaf Schulz, Lindners Co-Bremser im Kabinett, wird gerade von seiner skandalösen Cum-Ex-Vergangenheit eingeholt.


Da tut es gut, wenn ein neuer Hoffnungsträger die Regierungsbühne betritt und mit markigen Worten sowie martialischer Kostümierung die Sympathien des Volkes im Handumdrehen gewinnt. Sechzig Prozent der deutschen Bürger finden Boris Pistorius toll und küren ihn damit zum mit Abstand beliebtesten Politiker des Landes, obwohl er außer vollmundigen Ankündigungen à la Söder und geschickt arrangierten Fototerminen noch nicht viel vorzuweisen hat. Es sei denn, man hält es für eine Großtat, dass er mit Nils Hilmer und Christian-Hendrik Heusermann zwei SPD-Vertraute aus der niedersächsischen Heimat in die Leitung des Ministeriums holt, die von der Bundeswehr etwa ebenso wenig Ahnung haben wie er selbst und sein neuer Sprecher, der ihm gewogene ARD-Journalist Michael Stempfle. Dazu schart er immerhin noch zwei Generäle zwecks fachlicher Kompetenz um sich.


„Minister Perfect?“ fragte – rein rhetorisch – der SPIEGEL auf seiner Titelseite und ergänzte in der Unterzeile „Was Deutschlands beliebtester Politiker bei der Bundeswehr ausrichten kann“. Um es vorwegzunehmen: Die beiden Redakteure Matthias Gebauer (einst Polizeireporter bei BILD) und Konstantin von Hammerstein können die zweite Frage sachlich nicht beantworten, die erste aber bejahen sie mit einer Inbrunst, die ihre journalistische Sorgfalt in verzückter Emphase schlicht untergehen lässt.


Frauen können es halt nicht


Wie alle seine VorgängerInnen hat Pistorius gleich nach dem Amtsantritt die Bundeswehrmannschaft über den grünen Klee gelobt und viel mehr Geld gefordert. „In der Truppe kommt das an“, schreibt der SPIEGEL, als wäre das bei früheren KriegsministerInnen nicht goutiert worden. Doch das Blatt liefert eine Begründung für die plötzliche Begeisterung der SoldatInnen: „Da scheint seit Langem mal wieder ein Mann an der Spitze des Ministeriums zu stehen, der zu schätzen weiß, was die Männer und Frauen der Bundeswehr leisten.“


Nun waren Ursula von der Leyen, die ihr Amt zur lukrativen Spielwiese für Unternehmensberater machte, Annegret Kramp-Karrenbauer, die im Beschaffungsschlamassel unterging, und die chronisch überforderte Christine Lambrecht tatsächlich glatte Fehlbesetzungen, aber aus kompetenz- nicht aus geschlechtsbedingten Gründen (was der Artikel suggeriert). So wird geschildert, wie Pistorius nach Litauen fliegt, dort die Kompanie eines deutschen Jägerbataillons trifft, mit ihnen zwei Stunden durch den verschneiten Wald stapft und Krieg spielt. „So nah an den Soldaten waren seine Vorgängerinnen nie“, lautet der Kommentar zu dieser fürs heimische Publikum inszenierten Darbietung.


Als wolle man den großen kleinen Unterschied im militärischen Gehabe visualisieren, veröffentlicht der SPIEGEL auch noch ein Foto von Christine Lamprecht, wie sie ungeschickt auf hochhackigen Pumps aus der Militärmaschine in die malische Wüste stöckelt. Auf der Seite davor steht Pistorius, lässig mit Kampfstiefeln, Jeans und Khakihemd angetan, im Sahara-Sand desselben Landes. So passend gekleidet also, dass man ihn glatt für einen der berüchtigten Afrika-Söldner halten könnte, hätte er nicht das harmlose Gesicht seines physiognomischen Zwillingsbruders Armin Laschet auf…
















Die beiden Hofberichterstatter des SPIEGEL wissen: Den Wüstenkrieg gewinnt Mann nur im Herrenstiefel! 


Noch nicht geliefert…


Erstaunlich ist, mit welch rätselhaften Beispielen die SPIEGEL-Autoren die angebliche Entschlusskraft des neuen Superstars beschwören. Im Sudan tobt ein Krieg zwischen der Armee und brutalen Milizen (die früher von der BRD zur Flüchtlingsabwehr instrumentalisiert wurden), in der Falle sitzen Hunderte von Zivilisten aus Deutschland und anderen westlichen Staaten. Die Bundeswehr soll evakuieren. „Pistorius ist bereit. Das macht er schnell klar.“ Dann schieben Gebauer und Hammerstein ein abgedroschen klingendes, an Obama erinnerndes O-Zitat des Osnabrückers nach: „Wir können das.“


Andere konnten es aber schneller. Ehe die ersten Maschinen der Bundesluftwaffe starteten, flogen die Streitkräfte Frankreichs und der USA bereits Eingeschlossene aus. Und die Frage, ob die Bürger aus dem Westen zum Flughafen kommen oder auf einen geschützten Konvoi aus der Stadt hinaus warten sollten, beantwortete Pistorius wenig risikobereit: Sie sollten sich selbst zum Rollfeld durchschlagen. Im Sudan ging es gut, in einem anderen Bürgerkriegsland, in Afghanistan, hingegen erreichten viele Verzweifelte die rettende Oase nie.


In schütterem Deutsch prophezeien die beiden Hof-Journalisten Boris Pistorius auch künftiges Ungemach: „Es ist ein Mörderprogramm, das den Neuen erwartet.“ Ein mörderisches Programm hätte ich gerade noch durchgehen lassen, was aber ist bitte ein Mörderprogramm? Ein Konzept für Mörder, eins zur Rekrutierung oder eins zur Abwehr von Mördern?


Pistorius jedenfalls vertieft sich in den „Blankeneser Erlass“ von 1970 seines Vorgängers, des SPD-Rechtsaußen Helmut Schmidt, kommt aber nicht weit: „Der erste Satz gefällt ihm, er könnte von ihm sein. ´Die bisherige Organisation des Ministeriums hat sich als nicht klar und eindeutig genug herausgestellt`“. Dieser brillante Allgemeinplatz liest sich in etwa so tiefschürfend wie die ganze Hommage.


        Zwei, die sich mögen: Der Kriegsminister herzt seinen Papperberger

             

Dann steht doch noch etwas Positives über die Ministerinnen vor der Pistorius-Ära im Artikel, ist aber ganz anders gemeint. Die drei kriegerischen Damen hätten Armin Papperger, Boss des größten nationalen Rüstungskonzerns Rheinmetall, gemieden. Boris Pistorius dagegen sucht ihn sogar auf, ein Vorgehen, das künftig die kostspielige Einschleusung von Lobbyisten in die Ministerien überflüssig machen könnte. Er möchte den Herrn der Vernichtungsproduktion zu erhöhtem Ausstoß animieren, ihn dazu überreden, die ohnehin gigantischen Profite noch ein wenig zu steigern. Vielleicht hat der Rettungsengel der Sozialdemokratie dem König der Todeslieferanten dafür auch das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik am Bande in Aussicht gestellt.


05/2023


Dazu auch:


Mutter der Beratung im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2019)