| Land der AfD Die letzten Meinungsumfragen in den einzelnen Bundesländern lassen Schlimmes befürchten. Eine Partei, deren Mandatsträger vor allem durch Pöbeleien auffallen, die öffentlich als rechtsextrem und rassistisch eingestuft werden darf und keinerlei konstruktive Programmatik vorweist, schickt sich an, zur zweitstärksten parlamentarischen Kraft in den Parlamenten der Republik aufzusteigen, was die Medien ratlos macht, obwohl die Erklärung recht simpel ist: Die AfD kann weitgehend auf geistige Eigenleistung verzichten, die Ampel-Koalition und die unionschristliche Opposition bereiten den Boden für einen beispiellosen nationalistischen Coup schon selbst vor. Partei in erbärmlichem Zustand Auf den ersten Blick lassen sich die jüngsten AfD-Erfolge angesichts des Erscheinungsbildes der Partei kaum erklären: Das Personal, vor allem im Westen, ist heillos zerstritten, von Bremen, wo die Querelen die Aufstellung einer Landesliste für die Bürgerschaftswahlen verhinderten, bis nach Bayern, wo immer wieder Abgeordnete die eigene Fraktion verließen. Seit 2013 hat die AfD mit Jörg Meuthen, Frauke Petry und ihrem Gründer Bernd Lucke bereits drei Bundesvorsitzende in die Wüste geschickt, und das von Alice Weidel und Tino Chrupalla gebildete derzeitige Führungsduo strahlt nicht gerade intellektuelle Souveränität, geschweige denn Charisma aus. Die Strippen in der Partei zieht aber ein anderer, der Thüringer Landtagsabgeordnete Björn Höcke, den man nach Einschätzung der Frankfurter Staatsanwaltschaft ungestraft als Nazi bezeichnen darf. Der Mann ist tatsächlich eine Integrationsfigur – vor allem für Mitglieder rechtsextremer Gruppierungen, sog. Wutbürger und militante Rassisten. Dass er eine solche Rolle im Machtgefüge der AfD spielen kann, sollte eigentlich abschrecken, imponiert jedoch, ganz im Gegenteil, offensichtlich vielen Wählern, vor allem im Osten der Republik. Wenn eine Partei über so wenige Sympathieträger verfügt und eine so geringe personelle Kontinuität aufweist, müsste sie wenigstens mit Inhalten überzeugen können – sollte man meinen. Doch die AfD-Wahlprogramme fallen eher durch Kuriositäten und eine (bedrohlich wirkende) Ignoranz als durch ernstzunehmende Vorschläge und Ziele auf. So soll die Rentenversicherung weitgehend privatisiert bzw. mit den Beiträgen an internationalen Börsen spekuliert werden; eine Idee, mit der bereits Diktator Pinochet eine neue Dimension der Altersarmut in Chile herbeiführte. Mit erneuerbaren Energien hat die Partei wenig am Hut, verweist sie doch Klimawandel und Erderwärmung ins Reich der Phantasie. Zudem scheint die AfD sich weite Teile des Wirtschaftsprogramms von der neoliberalen Sturmspitze FDP geborgt zu haben – nur dass sie nicht bloß Steuererhöhungen für Selbständige und Besserverdiener ablehnt wie Lindner & Co, sondern die fraglichen Steuern gleich ganz abschaffen möchte, weil ihr die Sozialsysteme oder die Finanzierung der Kommunen völlig egal sind. Und dass alle deutschen Männer und Frauen ein Anrecht auf den Besitz einer Schusswaffe haben sollen, speist sich vermutlich aus Vorstellungen von arischer Überlegenheit, die hierzulande bis vor Kurzem schamhaft verdrängt wurden. Neonazis ante portas Im Grunde ist für die Linie der Partei eher wesentlich, wo die Aversionen angesiedelt sind: Ausländer insgesamt, besonders aber Flüchtlinge, sind unerwünscht. Ökos sowie die manchmal etwas übereifrigen Befürworter des Genderns in der hehren deutschen Sprache gelten als ebenso degeneriert wie die Regenbogen-Orientierten. Auf die drängenden Zukunftsfragen, den Umweltschutz, den Pflegenotstand, den Ausbau des ÖPNV oder das Armutsrisiko weiter Teile der Bevölkerung betreffend, hat und sucht die AfD keine ernsthaften Antworten. Konsequent zeigt sie sich nur bei zwei komplexen Problemstellungen: Ihre xenophoben Parteigänger lehnen jede Art von Migration ab und sie goutieren Putins autoritäre Herrschaft, billigen sogar seine großrussischen Rückeroberungspläne, ganz so, als feiere das Prinzip „Ein Volk, ein Führer!“ fröhlich Wiederauferstehung. Eine Partei, die solche Inkompetenz und Intoleranz offenbart, ist doch nicht wählbar, hätten noch vor wenigen Jahren bedächtige Beobachter abgewiegelt und dabei vergessen, dass ab den 1960er Jahren phasenweise und in bestimmten Regionen auch schon andere rechtsradikale Organisationen wie die NPD, die DVU und die Republikaner an der Zehn-Prozent-Marke geschnüffelt hatten. Die AfD aber erreicht noch ganz andere Ergebnisse, und sie ist kein kurzlebiges Phänomen, was beweist, dass Hass, Rassismus und Sozialdarwinismus, immer schon latent vorhanden, inzwischen offen in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Am 8. Oktober dieses Jahres werden in Bayern und Hessen die Landtage gewählt. Laut aktuellen Meinungsumfragen kommt die AfD im Freistaat auf 13,8 Prozent, liegt damit vor den Freien Wählern sowie der SPD und nur noch knapp hinter den zweitplatzierten Grünen. In Hessen, wo einst auch die NPD besonders stark war, könnten es sogar 17 Prozent werden (Spitzenergebnis im Westen). Noch erheblich schlimmer dürfte es 2024 werden, denn im Herbst des nächsten Jahres wird in Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt. In allen drei Bundesländern ist derzeit die AfD stärkste Partei mit jeweils 29, 32,5 und 34 Prozent Zustimmung. Ob dann die von CDU-Chef Merz beschworene Abgrenzung der Union von den Rechtsextremen noch funktioniert oder einzelne Landesverbände – wie auf kommunaler Ebene schon hie und da praktiziert – ein wenig kooperieren und damit zu Steigbügelhaltern apokalyptischer Reiter werden, steht noch in den Sternen. Inzwischen liegt die AfD nur noch in drei Bundesländern (Hamburg, Schleswig-Holstein und Berlin) unter zehn Prozent, auch in Mecklenburg-Vorpommern hat sie mittlerweile die SPD an der Spitze der Wählergunst abgelöst, im südthüringischen Sonneberg stellt sie ihren ersten Landrat in Deutschland, und in Raguhn-Jeßnitz, Sachsen-Anhalt, gewann erstmals einer ihrer Kandidaten die Wahl zum hauptamtlichen Bürgermeister. Für diese Erfolge gibt es mehrere Gründe. Nicht der unwichtigste dürfte sein, dass der evidente inhaltliche Dilettantismus der Rechtsextremen von der Unfähigkeit der etablierten Parteien, verantwortlich zu agieren, verständlich zu kommunizieren und sich argumentativ von menschenfeindlicher Propaganda zu distanzieren, überdeckt wird. Wacklige Phalanx Die Unionsfürsten Merz und Söder machen die erratische Politik der Ampel-Regierung für den Aufstieg der AfD verantwortlich, während die Koalitionäre die schwarze Opposition beschuldigen, den rechtsradikalen Bestrebungen durch üble Rhetorik und destruktives Handeln Vorschub zu leisten. In diesem Streit lässt sich etwas sehr Seltenes konstatieren: Beide Seiten haben recht. Wenn die AfD-Vorsitzende Alice Weidel im Bundestag AusländerInnen als „Kopftuchmädchen“ und „Taugenichtse“ diffamiert, ist sie damit ganz in der Nähe von Friedrich Merz, der über „kleine Paschas“ schwadroniert. Markus Söder wiederum unterstellt seinen neuen Lieblingsfeinden, den Grünen, eine Verbots- und Reglementierungssucht, die er unter dem Poster-Slogan „Gegen die Heizungsideologie!“ mit frei erfundenen Beispielen zu belegen sucht. Das freut die Chauvinisten vom rechtesten Rand, ist solcher Unsinn doch dem AfD-Fundus entlehnt. Die Grünen sorgen aber auch tatsächlich für Verunsicherung in der Bevölkerung, etwa wenn sie die durchaus löbliche Absicht, so schnell wie möglich aus der fossilen Energieversorgung auszusteigen, mit handwerklich schlecht gemachten Gesetzesentwürfen und unrealistischen Vorgaben selbst desavouieren. Und dann haben sie auch noch mit einer neoliberalen Fundamentalopposition im eigenen Kabinett zu kämpfen: Die FDP sabotiert Klimaschutzmaßnahmen nach Herzenslust und kann dabei auf den Bundeskanzler als klammheimlichen Sympathisanten zählen. Was allerdings die Flüchtlingspolitik angeht, sind sich die drei Regierungsparteien weitgehend darin einig, die AfD-Forderungen umzusetzen, um so den Ultra-Nationalisten ihr liebstes Wahlkampfthema zu nehmen. Die bürgerliche Phalanx gegen die rechte Front stützt sich auf ziemlich morsche Krücken. Natürlich sind das miserable Bild, das die Ampel abgibt, und der unverhohlene Populismus der Union nicht die einzigen Gründe für das Erstarken des Chauvinismus. In den Frühzeiten der Bundesrepublik saßen Altnazis in den Ministerien, Behörden und Geheimdiensten, lehrten an den Universitäten und in den Schulen, infiltrierten die Parteien. Ein konsequenter Bruch mit der braunen Vergangenheit war so nicht möglich, und auch die spätere Aufarbeitung des NS-Regimes blieb oberflächlich; jedenfalls scheint sie die Hirne und Herzen vieler Bürger nie erreicht zu haben. Die heutige Fremdenfeindlichkeit speist sich auch aus diesem nicht bewältigten Erbe. Das Land, wo Hass und Unmut fließen Dass der deutsche Osten (mit Ausnahme Berlins) zum gelobten Land für die AfD wurde, hat zwei weitere historische Ursachen. Da war einmal ein pedantischer Staatsbürokratismus, der die Denk- und Bewegungsfreiheit seiner Bürger einschränkte, ihnen aber hehre Ziele wie Solidarität, Antifaschismus oder Internationalismus aufoktroyierte. Viele Menschen empfanden die staatlichen Parolen als Leerformeln, ihrer Führung glaubten sie ohnehin nichts. Also wurden auch an sich sinnvolle und humane Ansätze trotzig abgelehnt. Die SED verstärkte diesen Widerstand noch, indem sie Arbeitskräfte aus Vietnam oder Mozambique in Wohnghettos unterbrachte und so allzu enge Kontakte der exotischen Brüder und Schwestern mit der deutschen Bevölkerung erschwerte. Lange vor der Wiedervereinigung gab es bereits Rassismus im Osten. Was den Westdeutschen die „Kanaken“, waren den DDR-Bürgern die „Fidschis“.
Chemnitz, Halle, Rostock oder andere Tatorte: Der Ostdeutsche Michel galoppiert von rechts gegen Fidschis, Homos und sonstiges Gesocks. Übervorteilung, partielle Entmündigung der „Befreiten“ nach dem Zusammenschluss der beiden deutschen Staaten (der eher eine nur mäßig freundliche Übernahme der DDR durch die BRD war) und die Treuhand, die für die Raubzüge westlicher Manager und Rechtsanwälte und damit eine weitgehende Deindustrialisierung des Ostens zuständig war, schürten die ohnmächtige Wut vieler Menschen zwischen Mecklenburg und Thüringen weiter, eine Wut, die zu artikulieren sie nicht gelernt hatten. Dumpfer Groll, der im Verborgenen siedet, bahnt sich seinen Weg nach draußen, wenn ihn geschickte Demagogen legitimieren und ihm eine Richtung weisen: gegen Dunkelhäutige, Schwule, Linke, Schwache, anonyme „Eliten“ oder Feministinnen. Die mit dem Gift der Intoleranz gedüngte Saat ist aufgegangen, die AfD kann ernten. 07/2023 Dazu auch: Björn und die Doofen im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2020) Zwei Seiten der AfD im Archiv der Rubrik Medien (2020) |
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