Verfemte der Wüste
Cartoon: Rainer Hachfeld


Man könnte meinen, die Bundeswehr sei einem windigen Reiseveranstalter aufgesessen. Kaum bezieht sie ein Quartier und versucht, sich dort gemütlich einzurichten, muss sie Unterkunft und Land auch schon wieder wechseln. Zwar sollen die Soldaten Präsenz zeigen und den Anspruch Berlins untermauern, überall auf der Welt auch militärisch im Kreis der Großen mitreden zu können, doch bleibt am Ende nur festzustellen: Außer Spesen nichts gewesen. Und diese Reisekosten summieren sich auf etliche Milliarden Euro, die Toten und traumatisierten Opfer wollen wir da gar nicht erst anführen.


Reisewarnung für Niger


Am blutigsten verlief die zwanzig Jahre dauernde „Mission“ in Afghanistan: Die Bundeswehr verlor 59 Mann, mehr Opfer hatte allerdings die einheimische Bevölkerung zu beklagen, weil Oberst Klein 2009 bei Kunduz Bombenangriffe auf Bauern, die illegal Benzin abzapfen wollten, anordnete: Mehr als hundert Zivilisten kamen ums Leben. Der Einsatz der Deutschen und ihrer NATO-Verbündeten erwies sich am Ende als vergeblich. Als die Taliban 2021 auf Kabul vorrückten, flohen die westlichen Alliierten Hals über Kopf. Die Bundesregierung ließ es sich  je nach Quelle zwischen 17,3 Milliarden (ZEIT) und 47 Milliarden Euro (ZDF) kosten, um „die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch zu verteidigen“ (Ex-Verteidigungsminister Struck) und um „unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege…“ (Ex-Bundespräsident Köhler).


Die meisten anderen Reiseziele deutscher Truppenkontingente lagen in Afrika, doch auch hier lässt sich mittlerweile resümieren: Misserfolge pflasterten ihren Weg. Während der 1990er Jahre sollten Bundeswehrsoldaten helfen, in Somalia die Macht der Warlords und den Terror der Islamisten einzudämmen – heute gilt das Land als failed state. Dann kam die Beteiligung an der von Frankreich initiierten UN-Mission MINUSMA in Mali (rund 3,5 Milliarden Kosten für den Bundeshaushalt), die damit endete, dass die deutschen Einheiten derzeit das Feld räumen müssen, weil die nach einem Putsch an die Macht gekommenen Militärs im Kampf gegen Islamisten und Tuareg-Rebellen lieber mit russischen Wagner-Söldnern kooperieren.


Kurz vorher war Reiseleiter Frankreich – um bei der Tourismus-Begrifflichkeit zu bleiben – schon nach Niger ausgewichen. Als aber die Bundeswehr folgen wollte, wiederholte sich das Desaster von Mali: Auch in Niamey, der Hauptstadt Nigers, putschte das Militär, sagte sich von den westlichen Verbündeten los und wird wohl jetzt russische Söldner ins Land lassen.




















"Au revoir Messieurs, wir versuchen es jetzt mal mit Gospodin Prigoschin."


So weit und so karg waren die Fakten in den deutschen Medien zu lesen oder zu hören. Doch unterblieben Analysen und Hintergrundberichte, die deutlich gemacht hätten, warum sich die zentrale Sahelzone derzeit beinahe geschlossen gegen die EU wendet und warum sich diese wiederum so intensiv in einer der ärmsten Regionen der Erde engagiert hatte.


Interessen statt Moral


Den Takt in der westlichen Sahel-Politik gab stets Frankreich vor, aus historischen Gründen, vor allem aber zur Wahrung seiner wirtschaftlichen Interessen. Als einstige Kolonialherren fühlten sich die Regierungen in Paris weiterhin verantwortlich für das Gebiet, mischten beim Aufstieg und Fall dortiger Regierungen mit und verbündeten sich – ja nach Opportunität – mit Schlächtern wie Kaiser Bokassa in der benachbarten Zentralafrikanischen Republik oder forderten demokratischen Wandel ein. Zugleich aber griffen die Franzosen nach den riesigen Uranvorkommen in Mali sowie Niger und wollen zudem vom Bau einer Pipeline profitieren, die Erdgas aus Nigeria durch die Sahara bis an die nordafrikanische Küste transportieren wird, von wo es in die EU weitergeleitet werden soll.


Auch um die Routen des Drogenschmuggels nach Europa, die hauptsächlich durch Niger und Mali führen, zu unterbinden und den islamistischen Terror zu bekämpfen, entsandte Frankreich Truppen und suchte sich Alliierte. Und so trotteten bald deutsche Militärs den Postkolonialisten hinterher, ohne klar definiertes Ziel und ohne strategische Vorgaben. Als einzige Begründung fiel den Verantwortlichen ein, man wolle die „Flüchtlingswellen“ nach Europa stoppen. Zu diesem Zweck verbündet sich die EU im Augenblick mit Diktatoren wie Ägyptens as-Sisi und Autokraten wie Erdoğan, alimentiert die libysche Küstenwache, die Geflohene in die Sklaverei verkauft, oder schiebt dem rassistischen tunesischen Präsidenten Sayed, der Schwarzafrikaner in der Wüste verdursten lässt, damit die EU sie nicht im Mittelmeer ertrinken lassen muss, hundert Millionen Euro zu.


Die Bundeswehr aber hat in Mali weder Fluchtrouten verlegt noch Jihadisten gejagt, sie hat schlicht nichts getan (auch nicht, als in der unmittelbaren Nachbarschaft „ethnische Säuberungen“ stattfanden), und nun wird ihr verwehrt, ihr löbliches Werk in Niger fortzusetzen…


Abschied von den alten Herren


Natürlich ist ein Militärputsch per se nichts Erfreuliches, hohe Offiziere streben nach der Macht, wollen sich bereichern,  oder – wie jetzt in Niamey – ihrer Degradierung zuvorkommen. Doch im Niger steht nach übereinstimmenden Medienberichten die Bevölkerungsmehrheit hinter der Revolte. Zu unfähig hatte sich die Regierung unter Präsident Mohamed Bazoum beim Kampf gegen die Islamisten gezeigt, zu brutal hatte sie Sozialproteste unterdrückt und zu korrupt hatte sie im Sinn von Reichen und ausländischen Prospektoren agiert.


Doch nun mobilisiert Frankreich seine Hilfstruppen: Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS hat in der  nigerianischen Hauptstadt Abuja den Putschisten mit militärischer Intervention für den Fall gedroht, dass sie nicht Bazoum und seine Regierung bis zum 6. August wieder ins Amt brächten (was nicht geschah). Paris hatte „fest und entschlossen“ Unterstützung zugesagt. Die neuen Machthaber in Niamey erwägen im Gegenzug, die Wagner-Truppe zu Hilfe zu holen, ungeachtet der Rolle, die Russlands Söldner derzeit bei der brutalen Ausplünderung der Zentralafrikanischen Republik spielen.


Schon haben Burkina Faso und Mali angekündigt, die Junta im Niger militärisch zu unterstützen – ein multinationaler Krieg im Armenhaus der Erde droht, eine chaotische Gemengelage, die von den jihadistischen Milizen ausgenützt würde und zugleich zu einer weiteren West-Ost-Konfrontation führen könnte. Die Katastrophen in Syrien und im Jemen sollten Mahnung genug sein. Die Staaten der zentralen Sahelzone von Mauretanien bis zum Tschad warnen vor einem Angriff auf den Niger, der nigerianische Senat desgleichen, und Abdelmadjid Tebboune, Präsident Algeriens und damit ein politisches Schwergewicht in der Region, erklärte laut der Zeitschrift Jeune Afrique, Algier lehne „jede Militärintervention kategorisch ab“, weil sie „den gesamten Sahel in Brand stecken würde“, und warnte vor Folgen, wie man sie heute in Libyen sehe.


Die offensichtlich breite Zustimmung für die neue Junta im Niger erklärt sich auch daraus, dass Bazoum als Mann Frankreichs und der EU galt. Die Menschen sind der alten Herren müde, sie wollen nicht mehr vom Westen bevormundet werden. Ob sie mit den neuen Partnern aus Russland und demnächst wohl auch China besser fahren, sei dahingestellt, zu rigoros setzen auch diese ihre ökonomischen und strategischen Interessen durch. Aber der düpierte Westen hat eigentlich kein Recht, den Sahel-Staaten zu verbieten, andere Erfahrungen zu machen.


Annalena Baerbock wird sich als Befürworterin der globalen Vorwärtsverteidigung sicherlich bald wieder an „demokratische Werte“ und „Menschenrechte“ entsinnen, die ihr in der Flüchtlingsfernhaltepolitik kurz entfallen waren, jetzt aber prächtige Interventionsgründe darstellen könnten, und Herrn Pistorius mehr militärisches Engagement im Sahel dringend anraten. Mithilfe eines weiteren Sondervermögens ließe sich dann die Truppe auf weitere Reisen in Weltgegenden, wo sie unerwünscht ist, entsenden.


So könnten sich die Soldaten plötzlich auf dem afrikanischen Kriegsschauplatz wiederfinden, ohne klare Aufgaben, sinn- und erfolglos wie gehabt.


08/2023


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Dabeisein ist alles  in der Rubrik Helden unserer Zeit