Braver Trotzkopf!
Cartoon: Rainer Hachfeld
Eine typische Szene aus dem Familienalltag: Der kleine Sohn, im Geiste noch nicht ausgereift, soll etwas tun oder unterlassen, in jedem Fall aber „Vernunft an den Tag legen“. Doch auf alle Vorhaltungen, Ermahnungen, gütlichen Zureden und Bitten antwortet das Leichtgewicht kategorisch: „Nein, ich will nicht!“ Aber es wäre doch gut für alle, die Eltern, Geschwister und Nachbarn, auch für ihn selbst, wird verzweifelt appelliert, doch der Knirps bleibt stur. Exakt so verhält sich derzeitig Verkehrsminister Volker Wissing im Angesicht der EU und des Klimawandels. Allerdings ist zweifelhaft, ob hinter der Verweigerungshaltung nur infantiler Eigensinn steckt, oder ob der FDP-Mann nicht von „höheren“ Interessen geleitet wird…
Bis zur letzten Tankfüllung!
Erst kürzlich hatte die FDP im Bundeskabinett die Genehmigung zum Verkauf rein synthetischer Kraftstoffe, sogenannter E-Fuels, an deutschen Tankstellen durchgesetzt. Für Verkehrsminister Wissing, der zuvor nie als Umweltexperte auffiel, war das ein „wesentlicher Schritt“ zur Vermeidung klimaschädlicher CO2-Emissionen im Autoverkehr und damit zur Erreichung der ambitionierten (jedoch angesichts der Berliner Trödelei obsoleten) Klimaziele der deutschen Bundesregierung. Andere sehen das anders.
E-Fuels werden mittels viel Strom aus Wasser sowie Kohlenstoff hergestellt, mit ihnen könnten Kraftfahrzeuge wie mit Diesel oder Benzin fahren, aber ohne den Ausstoß von Kohlendioxid. Der Energieaufwand zur Herstellung ist allerdings enorm, und der Bedarf an grünem Wasserstoff könnte nur durch (die Umwelt belastende) Importe von weit her gedeckt werden. Auf der Internetplattform heise online gibt der Kommentator Daniel AJ Sokolov weiter zu bedenken: „Offen ist, woher leistbarer synthetischer Treibstoff aus überflüssigem Ökostrom in namhafter Menge kommen soll.“ Greenpeace beurteilt die E-Fuels-Alternative, die übrigens extrem kostspielig wäre, als „eine Verschwendung sauberer Energie“, die man sich nicht leisten könne, und der BUND rechnet vor, dass „hinsichtlich ihrer Energieeffizienz Elektrofahrzeuge klar im Vorteil gegenüber Fahrzeugen mit E-Fuels“ sind, die letztendlich das Mehrfache an Strom für dieselbe Fahrstrecke verbrauchten.
Also handelt es sich bei der liberalen Präferenz um ein Öko-Strohfeuer, das vor allem Aufmerksamkeit generieren soll? Nicht ganz, es geht schließlich um ein letztes Gefecht für den vom Aussterben bedrohten Verbrennungsmotor. Um die fossilen Treibstoffe aus dem Straßenverkehr zu nehmen, hat die EU nämlich beschlossen, die archaische Antriebsmaschine bis 2035 zu verbieten. Nicht mit uns! tönt jetzt aber Verkehrsminister Wissing, man müsse allen emissionsmindernden Technologien gegenüber offen sein. Und damit hat er zumindest die Verschiebung einer richtungsweisenden gesamteuropäischen Umweltmaßnahme bereits bewirkt – als hätte die Erdbevölkerung noch jede Menge Zeit.
His Master’s Voice
Mindestens 15 der 27 Mitgliedstaaten müssen nämlich der Gesetzesvorlage zustimmen, und diese wiederum haben mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung zu repräsentieren. Hatten bislang erst zwei große Länder, der Öko-Dinosaurier Polen und Italien als Nation der Fiat-Fans und Ferraristas, angekündigt, den Antrag abzulehnen, so könnte sich nun Deutschland als Heimat von Porsche und anderen Nobel-Protzkarossen dazu gesellen. Damit wäre die Sperrminorität von mehr als 35 Prozent locker erreicht.
Wissing möchte weiterhin nicht auf den satten SUV-Sound und das Aufheulen hochfrisierter Boliden verzichten, nur sollen diese künftig mit E-Fuels gefüttert werden. Dass eine solche Ausnahme, die den Verbrenner-Autos für Betuchte eine Überlebensnische sichern würde, umwelttechnisch wenig Sinn macht, ficht den Verkehrsminister nicht an – und wieder fühlen wir uns an das eingangs erwähnte kindische Querulantentum erinnert. Doch man sollte die FDP nicht unterschätzen, die Motive dieser zur Partei mutierten Wirtschaftslobby sind vielleicht nicht lauter, dafür aber von raffiniertem Vorteilsdenken geprägt.
Porsche-Chef Oliver Blume hatte es letztes Jahr vor Mitarbeitern ausgeplappert, und ZDF-Reportern war es zu Ohren gekommen: „Fast stündlich“ sei er von Wirtschaftsminister Lindner in Sachen Synthetische Kraftstoffe „auf dem Laufenden“ gehalten worden, und so sei es ihm gelungen, das Ding mit den E-Fuels quasi im Alleingang zu „wuppen“, will sagen: eine überflüssige Antriebsvariante vor dem endgültigen Aus zu retten. Selbst andere Autokonzerne, etwa Audi, lehnen diesen Anachronismus ab, aber die haben ja im Gegensatz zu Porsche auch kein Geld für eine Pilotanlage zur Produktion der Kraftstoffe in Chile gesteckt, das nun zu verbrennen droht. Der Konzern hatte von vornherein bei dieser Investition natürlich nie das Klima im Sinn, sondern stets die eigene Rendite.
"Das Klima kann warten. Erstmal Prösterchen auf das Gelingen unserer Rettungsaktion für bedrohte Luxus-Verbrenner!"
Ob der passionierte Porschefahrer Christian Lindner aus freien Stücken dieser Aufweichung des Verbrennerverbots den Weg ebnete oder erst von Oliver Blume „überredet“ werden musste, können wir nicht mit Sicherheit sagen, weigern sich doch die beiden Beteiligten, ihre sicherlich interessante (und irgendwie doch dienstliche) Korrespondenz der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dagegen glauben wir recht zuversichtlich, dass Volker Wissing nicht in einem Anfall von Regression als renitenter Wicht, sondern im Auftrag seines Meisters und Parteichefs halb Europa lahmlegt.
Narrenlob
Der Aufschrei in der Bundesregierung fiel relativ kleinlaut aus, obwohl doch neben den EU-Maßnahmen auch die Koalitionsvereinbarungen blockiert wurden. Und wer sich ein wenig Richtlinienkompetenz von Olaf Scholz erwartet hätte, wurde eines Schlechteren belehrt.
Als die Kommissionspräsidentin von der Leyen den Bundeskanzler auf dem zweitägigen Kabinettstreffen im Meseberg auf den europaweiten Stau, den das am Verbrenner festklebende enfant terrible verursacht hatte, ansprach, fand der nur Lob für seinen Untergebenen: Volker Wissing sei „ein sehr, sehr guter Verkehrsminister“.
Olaf Scholz ist nicht der Schnellste, und so scheint ihm entgangen zu sein, dass der Karneval vorüber ist. In einer Kölner oder Mainzer Prunksitzung des Elferrats hätte er sich allerdings für diese brillante Büttenpointe einen donnernden dreifachen Tusch verdient gehabt. Applaus! Applaus!
03/2023
Dazu auch:
Saubere Regierung im Archiv der Rubrik Medien (2022)