Das fünfte Rad

Cartoon: Rainer Hachfeld



Sie versucht es wieder: Nachdem Sahra Wagenknecht bereits 2018 die Sammlungsbewegung aufstehen gegründet hat, die Massen mobilisieren sollte, im darauffolgenden Jahr jedoch sanft entschlief, versucht sie es nun eine Spur kleiner, allerdings auch zielgerichteter. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird bei der Geburt einer neuen Partei assistieren, die „eine Rückkehr zur Vernunft in der Politik“, was immer man darunter verstehen mag, einleiten soll. Nach ersten vagen Aussagen der Chefin ist programmatisch nicht viel Neues zu erwarten, es scheint eher, als werde an einem Karren mit genügend asynchron laufenden Rädern, Symbol für die jetzige Parteienlandschaft, ein weiteres unrund eierndes angebracht.


Die kalte Egomanin


In den letzten Tagen der DDR und in den Anfangszeiten der vereinigten Republik wurde Wagenknecht viel Respekt ob ihrer Unabhängigkeit gezollt. Sie hatte sich nicht von der SED vereinnahmen lassen, sie ließ sich zunächst auch nicht vom bundesdeutschen Polit-Mainstream umgarnen. Ihr schien jeglicher Opportunismus fremd, sie eckte an und sprach Unbequemes offen aus. Erst als sie mit ihrer Partei, der Linken, fremdelte, weil sie sich in ihrer Star-Rolle zu wenig hofiert fühlte, und gemeinsam mit dem umtriebigen, aber ein wenig wetterwendischen Ehemann Oskar Lafontaine begann, neue Forderungen, die eher vom rechten Rand der Gesellschaft und aus dem AfD-Vokabular zu stammen schienen, zu propagieren, nahm man wahr, dass sie sehr wohl den Trends nachjagte – wenn es persönlichen Erfolg versprach.


In der Tat ist für Sahra Wagenknecht, die als teamunfähig und eigenbrötlerisch gilt, das eigentliche Programm schlicht Sahra Wagenknecht – in ihrem Ego-Hype dem bayerischen Narziss Markus Söder sehr ähnlich. So erklärt sich auch die Benennung des neuen Bündnisses, was wiederum an andere Selbstdarsteller und Namensgeber wie den niederländischen Rechtsaußen Geert Wilders oder den konservativen Chef Jürgen des Team Todenhöfer gemahnt. Wagenknecht wirkt bei Interviews irgendwie gefühlsarm, scheint in einem Kokon zu leben, in den sie nur Fragmente der vorherrschenden Volksmeinung einlässt, die sie auf Brauchbarkeit für die eigene Kampagne prüft. Nach Empathie oder Verantwortungsbewusstsein sieht das nicht gerade aus.


So wirken die Inhaltsfetzen, mit denen sie die neue Parteigründung rechtfertigt, auch wie Bestandteile eines Potpourris aus historischen Forderungen der Sozialdemokratie, aggressivem Öko-Bashing, vagen Entspannungsvorschlägen und rigider Flüchtlingsabwehr. Zudem spricht sie sich für einen breiteren „Meinungskorridor“ in Deutschland aus – lobt damit also doch die reaktionären Meinungsmacher, die nach dem Motto „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!“ gern Ausländer, queere Menschen und eifrige Klimaschützer diffamieren.


Totengräberin der Linken


Unter den paar Brocken, die uns die Unnahbare zur Begründung für ihren nächsten politischen Ego-Trip hinwirft, sind auch solche, die man akzeptieren kann, etwa wenn sie eine deutliche Anhebung des Mindestlohns oder „mehr soziale Angleichung“ fordert, auch wenn sie nicht sagt, wie Letzteres zu erreichen wäre. Scheinbar konzentrieren sich die  Bundestagsabgeordneten der Linken (unter ihnen immerhin die Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamad Ali), die aus der Partei ausgetreten sind, um Wagenknecht ins neue Glück zu folgen, auf solche unverdächtigen Aussagen. Was die Abtrünnigen vom Klischee „ungeregelte Zuwanderung“ und von dem die Verantwortlichkeit der Industrienationen ausklammernden Allgemeinplatz, Migration sei nicht die Lösung für Armut in der Welt, halten, ist bis dato nicht bekannt. Eigentlich sollten sie aus der linken Kinderstube noch wissen, dass es auch nicht wirklich zielführend ist, die Menschen im Mittelmeer ertrinken oder im Sahel verhungern zu lassen.


Nichts an dem, was uns da aufgetischt wird, klingt wirklich originell. So ähnlich haben wir das alles schon mal gehört, mal von der AfD, mal vom Bundeskanzler, seit Kurzem auch von grünen Vordenkern. Ein weiteres Etikett für Ausschussware, das Wagenknecht einer überlebenswichtigen Initiative anheftet, indem sie von „blindem Öko-Aktivismus“ schwadroniert, belegt angesichts der sich häufenden Umweltkatastrophen einen bislang unentdeckt gebliebenen Hang zum blanken Zynismus.


Die Linke, die in ihrer Mehrheit eine differenziertere Haltung zu diesen Themen einnimmt, wird wohl das erste Opfer von Sahra werden. Mit Recht verweigert die Restpartei den Dissidenten den Verbleib (und die Pfründen) in der Bundestagsfraktion, was bedeutet, dass sich diese auflöst, und die Ex-Mitglieder auf Mittel, Referenten, Redezeit und Gremiensitze verzichten müssen. Und das ist schade, denn die Bundestagsabgeordneten der Linken waren die fleißigsten Initiatoren parlamentarischer Anfragen und die gründlichsten Kontrolleure in den Untersuchungsausschüssen. Zwar ist es positiv zu bewerten, dass die Partei nun rechtslastigen Ballast abwirft, ob sie aber überhaupt noch den Absturz in die Bedeutungslosigkeit vermeiden kann, ist äußerst fraglich.

















Akribische Arbeit, öko-soziale Politik und Solidarität mit Geflüchteten zählen für Sahra nicht mehr - sie bevorzugt Kraftmeierei unterhalb der Gürtellinie.


Koalition aus Vernunft und Populismus?


Laut einer aktuell von t-online-news bei Civey in Auftrag gegebenen Umfrage können sich 44 Prozent der Linken-Anhänger vorstellen, für die Partei von Sahra Wagenknecht, die Anfang 2024 endgültig aus der Taufe gehoben werden soll, zu stimmen. Vor allem im Osten der Republik dürften es Unzufriedene ohne dezidierte politische Grundeinstellung sein, die zur neuen Partei abwandern. Zugleich erwägt fast ein Drittel der AfD-Wähler laut Civey-Erhebung, das Kreuzchen bei der neuen Partei zu machen, was für den Wiedererkennungswert der alten Parolen in neuer Verpackung spricht.


Doch Sahra Wagenknecht darf sich nicht zu sicher fühlen. Zwar wird ihr ein Potenzial von 20 Prozent der bundesweiten Wählerstimmen bescheinigt, doch da spielt sicherlich der gegenwärtige Hype um sie eine entscheidende Rolle. Was aber wird geschehen, wenn der Glamour angesichts aktueller Ereignisse verblasst, BILD sich auf andere Themen kapriziert und die kurzfristig entzückten AfD-Sympathisanten sich wieder dem Original zuwenden? Dann reichen ein paar vernünftige Ansichten, die sich schlecht mit dem restlichen rechtspopulistischen Getöse paaren, kaum dazu aus, andere Unterstützer zu rekrutieren.


Denn die Konkurrenz ist unter den Epigonen der xenophoben AfD-Programmatik zu groß. Seit Kanzler Scholz, seine FDP, die beiden anderen Ampel-Parteien und die Union ankündigen, das Asylrecht ähnlich wie die Rechtsradikalen einschränken oder ganz aushebeln zu wollen, und bisweilen sogar Anleihen bei deren Rhetorik machen, dürfte es für eine weitere migrationsfeindliche Kraft schwer werden, sich von den Mitbewerbern abzuheben, sich als fünftes Rad am rückwärts rollenden Wagen zu profilieren.


Doch selbst wenn es Sahra Wagenknecht nicht gelingen sollte, genügend Wähler zu mobilisieren, ist ihr eine gewisse historische Rolle möglicherweise nicht abzusprechen: Sie könnte am Todesstoß für die einzige bundesdeutsche Partei, die sich nicht der Ressentiments der Gosse bediente, maßgeblich beteiligt haben.


10/2023


Dazu auch:


Sahras rechter Flirt im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2018)