| Mindestalmosen Bislang fiel Hubertus Heil, Bundesminister für Arbeit und Soziales, nicht so unangenehm wie etliche Kabinettskollegen auf, etwa durch Tölpelhaftigkeit (Habeck), Naivität und Penetranz (Baerbock) oder Lobbyismus im Amt (Lindner, Wissing). Doch jetzt hat auch der SPD-Politiker im Rahmen der Mindestlohnsteigerung für 2024 eindrucksvoll bewiesen, dass in der Berliner Regierung starken Worten selten entsprechende Taten, sondern meist Torheiten folgen. Eine Erhöhung, die noch ärmer macht Was Bundeskanzler Scholz in seinem Faible für Infantil-Sprache als „Doppelwumms“ bezeichnet hätte, kündigte Heil vor wenigen Wochen gegenüber dem Leib- und Magenblatt führender Sozialdemokraten, der Bild am Sonntag, in wohlgesetzten Worten an: Die „ordentlichen Tariferhöhungen“ der letzten Zeit sowie die Inflation sollten sich in einer deutlichen Erhöhung des Mindestlohns niederschlagen. „Arbeit muss sich wieder lohnen!“ forderte der Minister kämpferisch. Na ja, in erster Linie wird sie sich weiter für die Arbeitgeber rentieren, denn trotz der Forderungen von Sozialverbänden, das niedrigste noch statthafte Entgelt wenigstens von 12 auf 14 Euro anzuheben, gibt es ab 1. Januar 2024 lächerliche 41 Cent mehr für die Ärmsten unter den sozialpflichtig Beschäftigten. Ein Jahr später soll es noch einmal derselbe Betrag obendrauf sein, damit sich Malocher mit einem Stundenlohn von 12,82 brutto auch 2025 wieder gesundes Bio-Essen, erholsame Urlaubsreisen und ambitionierte Bildungsausgaben leisten können… Eingebrockt hat uns diese soziale Unverschämtheit, die von der Bundesregierung zügig umgesetzt wird, eine im Gesetz vorgesehene fünfköpfige Mindestlohnkommission, der je zwei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter angehören. Können diese sich nicht auf eine gemeinsame Empfehlung in puncto Höhe der Anhebung einigen (wie im aktuellen Fall geschehen), entscheidet der oder die Vorsitzende des Gremiums, derzeit die Juristin Christiane Schönfeld. Obwohl 2004 von der SPD in die Bundesversammlung zur Wahl des Präsidenten unseres Landes entsandt, scheint sie doch eher den nationalen Kapitaleignern zuzuneigen. Jedenfalls wurde sie vor vier Jahren auf Vorschlag der Arbeitgebergruppe vom Verwaltungsrat in den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit gewählt. So erscheint es logisch, dass sie sich in der Frage der künftigen Kleinverdiensthöhe auf die Seite der Bosse schlug, deren bloße Anwesenheit in der Kommission ohnehin so manchen Laien verwundert: Gäbe es doch nach deren Gusto überhaupt keinen Mindestlohn – und damit auch keine Steigerung desselbigen. Hubertus Heil zeigte sich enttäuscht über die Knausrigkeit, berief sich aber auf das Mindestlohngesetz, dem zufolge die Bundesregierung nur den Vorschlag der Kommission umsetzen könne, wenn nicht jegliche Erhöhung ausfallen solle. Wie wir später sehen werden, entsprang diese Behauptung entweder einem partiellen Gedächtnisverlust oder dem latenten Hang zur politischen Notlüge. Simple Rechnungen Dass 82 Cent mehr pro Stunde über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg nur eine nummerische Erhöhung des Lohns, de facto aber eine spürbare Verschlechterung der Lebenssituation für Geringverdiener darstellen, lässt sich leicht ausrechnen. Ab 1. Januar 2024 sollen nun die Mindestlöhne für die Dauer eines Jahres um 41 Cent aufgestockt werden. Dies entspricht einer Erhöhung um etwa 3,4 Prozent. Für dieses Jahr wird aber eine durchschnittliche Inflationsrate von sechs Prozent erwartet, die auch 2024 kaum nennenswert zurückgehen wird. Dies bedeutet, dass sich für gut sechs Millionen Wenigverdiener die Situation weiter verschlechtern wird. Noch deprimierender gestaltet sich die Perspektive für 2025: Dann steigen nach den jetzigen Plänen die Mindestlöhne von 12,41 auf 12,82 Euro. Das sind nur noch 3,3 Prozent mehr, während allenfalls die leichtsinnigsten Marktoptimisten für das übernächste Jahr eine Inflation von unter 4 Prozent erwarten. Statt langsam Anschluss an den unteren Mittelstand zu finden, wird sich für die Bezieher prekärer Löhne die Lücke vergrößern, sie verlieren an Kaufkraft, und ihre Renten werden dereinst immer dürftiger ausfallen. Doch das ist noch nicht die ganze Wahrheit. Nach Abzug von Miete oder Energiekosten bleibt ärmeren Arbeitnehmern ein bescheidener Betrag, den sie zum großen Teil für Lebensmittel ausgeben müssen. Genau aber hier liegt die Inflationsrate locker im zweistelligen Prozentbereich. Zwar trifft die Teuerung alle Bürger, aber für Menschen, die sich nur das Nötigste leisten können, fällt sie doppelt hart aus. Den Heil in Ausflüchten suchen… Er hätte gern einen höheren Mindestlohn gesehen, doch die böse Kommission habe nicht mitgezogen, und so seien ihm die Hände gebunden, lamentiert Hubertus Heil und wäscht damit seine Zunge in einer Unschuldsbehauptung, die sich als schlicht falsch erweist. Im § 11 des einschlägigen Gesetzes ist nämlich lediglich vom Vorschlagsrecht des Gremiums die Rede: „Die Bundesregierung kann die von der Mindestlohnkommission vorgeschlagene Anpassung des Mindestlohns durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates für alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich machen.“ Die Regierung kann der Empfehlung der Kommission folgen, aber sie muss nicht. Die Ampelkoalition hat schon einmal bewiesen, dass sie das seltsam zusammengesetzte Quintett einfach ignorieren kann, wenn sie denn will: Zum 1. Oktober 2022 erhöhten SPD, Grüne und FDP den Mindestlohn von 10,45 auf 12 Euro, und zwar ohne das Votum der Kommission einzuholen. Geht doch! Eigentlich hätte er schon gedurft, aber getraut hat er sich nicht. Lieber schiebt Hubertus alles auf die Kommissionschefin Chrissie Schönfeld. Angesichts des Unmuts der Betroffenen und Sozialverbände und des Umstands, dass die Sozialdemokraten in den Meinungsumfragen mittlerweile nur noch die Schlusslichter des AfD-Express sehen, fordert der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil nun eine deutlichere Anhebung des Mindestlohns im nächsten Jahr. Jetzt fällt den Genossen plötzlich ein, dass die Bundesregierung mit ihrer Entscheidung die Europäische Mindestlohnrichtlinie reißt, und sie reden unversehens von 13,50 bis 14 Euro pro Stunde. Es steht aber zu befürchten, dass für die Partei angesichts ihrer falschen und fahrlässigen Weichenstellungen der Zug schon abgefahren ist. 07/2023 Dazu auch: Ein Traum von Heil im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2022) |
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