Weißheit des Alters
Cartoon: Rainer Hachfeld


Eigentlich gehöre ich nicht zu den bis zum Exzess woken und zensurgeneigten Menschen, vielmehr befleißige ich mich angesichts rechter Fortschrittsgegner und Populisten einer resigniert gemäßigten Denkungsart und Wortwahl. Doch selbst im fortgeschrittenen Alter läuft es mir derzeit eiskalt den Rücken runter, wenn von alten weißen Männern die Rede ist. Schuld an diesem Unbehagen sind zwei Greise, die sich in den USA, dem Land der durch keinerlei Vernunft begrenzten Möglichkeiten, um die 47. Präsidentschaft bewerben.


Kalauer wie im Bauernschwank


Nun sollen in diesem Beitrag keineswegs intellektuelle Fähigkeiten, Erinnerungsvermögen oder Entschlusskraft betagter Männer (und Frauen) pauschal angezweifelt werden, verfügen diese Frühgeborenen doch über viel Lebenserfahrung und manchmal auch Weisheit. Zudem hüten sich der Autor und der Zeichner angesichts der selbst durchlebten Anzahl an Jahren, im Glashaus der zynischen Kritik mit Steinen zu werfen. Außerdem weisen Forscher darauf hin, dass zwar im Laufe des Lebens graue Zellen absterben, wiegeln aber gleichzeitig ab, wir Menschen würden ohnehin nur einen Bruchteil des Bestands zum Denken nutzen. Reserven wären also auch im Alter locker vorhanden.


Doch wenn offenbar kaum mehr ein Eckchen des siechenden Gehirns zur Formulierung logischer Sätze oder Bewältigung komplexer Aufgaben eingesetzt wird und die handelnden Personen dennoch nach dem Schalthebel der Macht greifen bzw. sich daran festkleben wollen, ist es durchaus legitim, Phänomene wie Senilität, Alzheimer oder Demenz zumindest in Betracht zu ziehen. Einen Geisterfahrer lässt man auf der Autobahn ja auch nicht den Gegenverkehr ungestört abräumen, nur weil er seinen Führerschein vor siebzig Jahren mit Bravour gemacht hat.


Zugang zum Inner Circle der beiden Kandidaten haben wir leider nicht, und so  können wir nur mutmaßen, dass es sich beim Team des Titelverteidigers um die engere Führung der Demokratischen Partei handelt und bei Trump um einen volatilen Haufen, da er ständig Berater sowie „engste Vertraute“ heuert und feuert. Für das Aufspüren symptomatischer Fehlleistungen sind wir daher auf die Äußerungen der beiden Wahlkämpfer angewiesen.


Und diese ähneln den Kalauern im Komödienstadl des Bayerischen Fernsehens eher als substanziellen Aussagen während eines politischen Schlagabtauschs. So hat der amtierende US-Präsident Joe Biden in mindestens zwei Reden die Ukraine mit dem ziemlich weit entfernten Irak verglichen. Doch die Ukraine ist für ihn scheinbar überall, bei der traditionellen Ansprache zur Lage der Nation sagte er nämlich am 1. März 2022: „Putin mag Kiew mit Panzern einkreisen, aber er wird niemals die Herzen und Seelen des iranischen Volkes gewinnen.“


Erst vor wenigen Tagen hielt Biden den französischen Präsidenten Macron für den vor 30 Jahren verstorbenen Vorgänger Mitterand. Kann passieren bei den french frogeaters, schließlich beginnen beide Namen mit M und enden ähnlich. Und dass er aus einem Gespräch mit Helmut Kohl, das tatsächlich mit Angela Merkel stattgefunden hatte, zitierte, war wohl der Tatsache geschuldet, dass in der CDU ohnehin alle gleich daherreden. Aber auch mit der eigenen Person hatte der Senior vom Weißen Haus schon seine Schwierigkeiten.


Als 79-jähriger kündigte Biden an, dass er demnächst seinen 58. Geburtstag feiern werde, und als ihm der Name des australischen Premierministers entfiel, titulierte er ihn als den „Kerl aus Down Under“. Bei seinem durchaus löblichen Versuch, die US-Waffen-Lobby einzubremsen, verwechselte er im vorigen Jahr die Begriffe für Strafverfolgung (prosecution) und käufliche Dame (prostitute).


Narzisst gegen Mann des Apparats


Dass aber ausgerechnet Donald Trump seinem Kontrahenten nun kognitive Aussetzer und Altersschwäche vorwirft, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Während nämlich Biden tatsächlich sein bescheidenes Quantum an Umsicht und Allgemeinbildung zu entgleiten scheint, hat der testosterongesteuerte Choleriker über beides nie verfügt und müsste sich über eine stattliche Sammlung von Patzern in Grund und Boden schämen – wenn er denn zur Selbstreflexion fähig wäre.


Dass er seine republikanische Mitbewerberin Nikki Haley des Öfteren mit seiner Lieblingsfeindin in der Demokratischen Partei, Nancy Pelosi, vertauscht, mag man ihm als Freud’schen Lapsus durchgehen lassen; dass er von Obama spricht, wenn er Biden meint, wiegt da schon schwerer. Ein seltsames Geschichtswissen offenbarte Präsident Trump 2019 in seiner Rede zum Unabhängigkeitstag, als er fabulierte, die Rebellen um George Washington hätten „die Kontrolle über Flughäfen übernommen“, was im Juni 1775 eine wahrhaft zukunftweisende Heldentat gewesen sein muss. Als Corona ausbrach, schickte er vom Weißen Haus aus die Börsen weltweit in den Keller, indem er vom Manuskript abwich und frei phantasierte, die damals verhängten Einreisesperren für Europäer schlössen auch Fracht- und Handelsgüter ein. Die Märkte gerieten angesichts der vermeintlichen Aussetzung des internationalen Warenaustauschs in Panik, und Aktienindizes wie der Dow Jones fielen auf den niedrigsten Stand seit 33 Jahren.


Es ließen sich ganze Stammtisch- oder Comedy-Abende mit den verbalen Fehlleistungen der beiden Herren bestreiten, doch lenkt das vom eigentlichen Problem ab: Wie kann solch geistig schwankenden Gestalten die Machtfülle und Verantwortung eines solchen Amtes übertragen werden? Gut, der Eine ist noch 77, der Andere wird kurz nach der Wahl im November 82 Jahre alt, aber das müsste nicht unbedingt ein fatales Zeichen sein. Nelson Mandela etwa trat als Präsident Südafrikas mit 80 Jahren im Vollbesitz seiner beträchtlichen Verstandeskräfte ab, doch der war von einem anderen geistigen und menschlichen Format als Biden und Trump, zudem gehörten Machtgier und Rachsucht nicht zu seinen bestimmenden Charakterzügen.


Was die US-Wähler, aber auch den Rest des Globus mehr umtreiben sollte als die Frage nach der individuellen Kondition: Die Kandidaten repräsentieren zwei bis aufs Blut verfeindete Lager, deren letzte Klammer der Glaube an den allmächtigen Markt bildet. Die wirre Schattenwelt der gewaltbereiten Rassisten, Verschwörungstheoretiker, bis an die Zähne bewaffneten Milizionäre, Social-Media-Junkies, von den ebenso mächtigen wie erbarmungslosen evangelikalen Großsekten mit bizarrer Moral und lächerlicher Menschheitslegende (Intelligent Design) versorgt, schickt den pathologischen Narzissten Trump in den Kampf. Auf der anderen Seite haben die Lenker der Finanzwirtschaft sowie des klassischen Industrie- und Handelskapitals alle einigermaßen progressiven und sozialen Ansätze innerhalb der Demokratischen Partei, vertreten u. a. durch Bernie Sanders, in den letzten acht Jahren eifrig (auch durch Vorwahl-Tricksereien 2016 und 2020) zunichte gemacht. Stattdessen haben sie einen Mann ohne Eigenschaften und viel Intellekt, einen Diener des Apparats nominiert, damit sie sich auch weiterhin die Märkte und damit die Gesellschaften national wie international untertan machen können.


Kein Platz für kritischen Verstand


Wieder einmal muss das abgedroschene Gleichnis von der Wahl zwischen Pest und Cholera für einen politischen Urnengang herhalten. Tatsächlich wird man wohl eine Machtübernahme durch den Hysteriker Trump mehr fürchten, weil ein unberechenbarer Egomane ganz andere Eskalationen in Gang setzen könnte als sein vom Partei-Establishment kontrollierter Rivale. Dass der wiederum notfalls die Kanonenboot-Politik vergangener Zeiten praktizieren würde und schon jetzt zum Showdown mit der zweiten imperialen Supermacht China rüstet, deutet andererseits darauf hin, dass auch die Cholera als weniger tödliche Seuche nicht ohne Tücken ist.


Immerhin redet Biden ab und zu vom Klimawandel und schützt von Zeit zu Zeit ein Stückchen Natur, während Trump in beiden Sujets nur per se wertlose Hindernisse für die freie Entfaltung der Produktivkräfte (wie zerstörerisch diese auch sein mögen) wittert. Seiner Meinung nach liegt das eigentliche Risiko nicht in der Umweltzerstörung, sondern in der Vereitelung von Gewinnmaximierung durch grüne Spinner.





















Eigentlich ist Björn Höcke ja ganz zufrieden mit dem amerikanischen Artgenossen Trump. Wenn der sich nur nicht so undiszipliniert aufführen würde...


Und damit wenden wir uns Deutschland zu, wo wir uns mit der Frage beschäftigen müssen, wie viel Trump in der AfD steckt. Auch diese Partei leugnet sämtliche Gefahren für die globalen Öko-Systeme, gestaltet eine eigene „Realität“ mithilfe von Fakes, Hasstiraden sowie konkreten Drohungen gegen weite Bevölkerungsgruppen und spielt mit jenen latenten Vorurteilen, die am besten in Bierdunst und Deutschtümelei gedeihen. Allerdings gibt es einen Unterschied: Höcke folgt diszipliniert einer althergebrachten braunen Tradition, während Trump ein faschistoider Autodidakt mit Amok-Potential ist. Und so wird er auch noch dem übelsten Klischee vom weißen alten Mann gerecht.


02/2024


Dazu auch:


Trump zum Letzten und Unsinn von Uncle Joe im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (beides 2020)