| Money for Nothing Manchmal sehen sich die Helden unserer Gegenwart einem besonders bösartigen Feind oder einer erdrückenden Übermacht gegenüber und strecken die Waffen, bevor der Kampf überhaupt noch begonnen hat. Cem Özdemir, der Berliner Agrarminister, ist so ein vorsichtiger Recke. Vor den aggressiv vorgebrachten Forderungen der Heerscharen vom Land weicht der sich sonst in den Vordergrund drängende Sonnyboy des grünen Opportunismus zurück und überlässt den Schutz der Natur, ihrer Arten sowie des Klimas dem lieben Gott. Allein ist er bei dieser entschlossenen Rückwärtsbewegung nicht: Die EU-Kommission hat sich schon vor ihm auf die Flucht begeben. Kniefall vor den Bauernkriegern Überall in der Europäischen Union begehren die Landwirte auf, blockieren Straßen, umzingeln Regierungsgebäude mit Traktoren oder werden gegen Politiker handgreiflich. Die Gründe für die rabiaten Kundgebungen haben oft nationale Ursachen, in einer Sache aber sind sich die Bauernkrieger über die Grenzen hinweg einig, in der Ablehnung der von Brüssel verordneten Stillegungspflicht für vier Prozent der Ackerfläche. Ausgerechnet eine der wenigen positiven Umweltschutz-Initiativen, nämlich die Renaturierung vertrockneter und durch Monokulturen ausgelaugter Böden, wird von den (pekuniär) unmittelbaren und (ertragsmäßig) perspektivischen Nutznießern wie die Pest bekämpft. Denn die Bauern würden sofort Öko-Prämien für ihren Verzicht einstreichen und später vom Erhalt der Artenvielfalt, dem Schutz ihrer Felder durch Vogelschutzhecken, dem Aufforsten der Ackerraine mit Bäumen, der CO2-Bindung durch intakte Moorflächen etc. profitieren. Wollen sie aber nicht, sie möchten lieber unter Glyphosat-Einsatz ihren Bruchteil noch ein paar Jährchen intensiv bewirtschaften, auch wenn der danach zu Ödland verkommen sein sollte. Vor den teils gewaltsamen Aufmärschen des Bauernvolkes, gesponsert durch die Großagrarier-Lobby und angeheizt von Rechtsradikalen, knickte die EU ein und stellte es den einzelnen Mitgliedstaaten anheim, eine „Ausnahmeregelung zur Aussetzung der Pflichtbrache“ zu erlassen. Und das gab Landwirtschaftsminister Özdemier die Chance, sich als Übererfüller umweltschädlicher Forderungen zu profilieren. Wohltaten ohne Gegenleistung Auf den ersten Blick könnte man/frau meinen, die Bauern seien bislang nicht schlecht mit der Freigiebigkeit der EU-Behörden gefahren. Etliche Milliarden an Subventionen flossen in den vergangenen Jahrzehnten in die europäische Landwirtschaft. Allerdings sorgte der Verteilungsschlüssel bald für Unmut: Wer besonders viel Getreide mittels hohem Einsatz von Herbiziden und rigoroser Reinkultur über Jahre hinweg auf weiten Flächen erzielte, wer die meisten Rinder zusammenpferchen und die größten Mengen an Milch produzieren konnte, erhielt die höchsten Beihilfen aus Brüssel – egal wie die Ergebnisse zustande gekommen waren. Angesichts einer auf Produktionssteigerung um jeden Preis fixierten Agrarindustrie waren die kleinen Bauern im Hintertreffen und müssen auch heute und künftig um das Überleben ihrer Höfe kämpfen. Kein Wunder, dass der Berufsstand in seiner Mehrheit wütend auf die deutschen oder supranationalen Politiker und Bürokraten war und weiterhin ist, nur richtet sich der Zorn nicht gegen die eigentlichen Verursacher der Misere, sondern gegen die staatlichen Ordnungshüter. Die Verantwortlichen der Bundesregierung hatten die Steuerbefreiung für Agrar-Diesel wieder gestoppt, welche ohnehin nur befristet zum Ausgleich der diversen Krisenfolgen verkündet worden war. Obwohl das Ende der Förderung eines umweltschädlichen Kraftstoffs per se zu begrüßen ist, kann man den Unmut der Bauern angesichts einiger Ungerechtigkeiten teilweise verstehen, so geht doch u. a. die Subventionierung des Kerosins für zahllose unnötige Flüge scheinbar ad infinitum weiter. Cem Özdemir jedoch biederte sich sogleich bedenkenlos bei den Aufsässigen an und klagte, mit ihm sei der Schritt nicht besprochen worden. Tatsächlich war die Beendigung des Steuerprivilegs für die Landwirte nur der Tropfen, der das Fass ihres Unwillens zum Überlaufen brachte. Viel entscheidender für ihre berufliche Existenz ist eigentlich das Level der Erzeugerpreise, und das bestimmen die großen Milch- und Fleischverarbeiter, die Lebensmittelkonzerne und Handelsketten, also die Gier der neoliberalen Marktwirtschaft zusammengenommen – und nicht die Ampel-Koryphäen. Zusätzlich ärgerten sich vor allem die ländlichen Familienbetriebe über den dokumentarischen Aufwand, den der (belohnte) Naturschutz mit sich bringt. Über Cem Özdemir allerdings müssen sie sich nicht mehr echauffieren. Der setzte die EU-Ausnahmeregelung, mit der die Stilllegung von vier Prozent der Anbaufläche für dieses Jahr eins zu eins um und verzichtete darauf, den Bauern die Direktzahlungen, die eigentlich für die Renaturierung vorgesehen waren, auch nur um einen Euro zu kürzen. Während seines tapferen Zurückweichens vor dem Zorn des Landvolks lehnte er auch noch die Implementierung von drei neuen Regelungen ab, mit denen seine Kabinetts- und Parteikollegin Steffi Lemke (Umweltressort) wenigstens ein paar Öko-Standards retten wollte. Da klingt einem der Song „Money for Nothing“ der britischen Rockband Dire Straits aus den 1980er Jahren in den Ohren, dessen Lyrics auf dem neiderfüllten Selbstgespräch eines Elektrogeräte-Verkäufers basieren, demzufolge Popstars Geld scheffeln würden, ohne etwas dafür zu leisten. Das mag eine polemische Sichtweise sein, in unserem Fall aber ist es Tatsache, dass der deutsche Landwirtschaftsminister Bauern fürstlich für die Weigerung belohnt, ihren Teil zur Klimarettung, zum Erhalt der Böden und Schutz der Arten, somit auch für einen mittelfristigen Fortbestand der Gesellschaft unter erträglichen Lebensbedingungen, beizutragen: In der Tat bedeutet das "Geld für nichts". Es ist natürlich ein multinationales Phänomen, dass die EU-Kommission Angst vor der eigenen Courage bekommt, sobald sie den ökologischen Umbau der Landwirtschaft oder soziale Reformen ernsthaft angehen will. Frappierend aber ist, dass sich gerade die deutsche Ampel-Regierung in Brüssel als Bremsklotz hervortut, ob es sich um das Lieferkettengesetz, das Verbot von Glyphosat oder jetzt den Erhalt naturbelassener Flächen handelt. Der vom selbsternannten Klimakanzler Scholz für die „Zeitenwende“ angekündigte „Doppelwumms“ entpuppt sich als mehrfacher Rohrkrepierer, und es sind längst nicht mehr nur die Liberalen, die verzögern und verhindern, auch die Grünen spielen mittlerweile auf Zeit – die wir nicht mehr haben. Lob erhielt Cem Özdemir vom Präsidenten des Deutschen Bauernverbandes, vom CDU-Mitglied Joachim Rukwied, der in der Fachzeitschrift agrarheute feststellte: „Die Bundesregierung hat verstanden, dass wir Bauern keine weitere Benachteiligung und damit Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit akzeptieren werden." Rukwied gibt vor, für alle Landwirte zu sprechen, doch sein Markt-Jargon, in dem der Konkurrenzgedanke Platz findet, nicht aber die ökologische Perspektive, entlarvt ihn als typischen Agrarfunktionär, als Teil des Problems somit: Der Schwabe bewirtschaftet bei Heilbronn ca. 360 Hektar mit Acker- und Weinanbau und erhielt allein 2022 von der EU 107.000 Euro an Subventionen. An die 200.000 Euro pro Jahr verdient er als Mitglied in diversen Aufsichts- und Verwaltungsräten (etwa bei Monopolisten wie Südzucker, BayWa oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau) hinzu – alles in Nebentätigkeit, versteht sich. Bauernpräsident Rukwied hat es gern, wenn der getreue Cem sein Säckel füllt. Ganz anders urteilt der Greenpeace-Agrarreferent Martin Hofstetter, für den die Entscheidung des Ministers katastrophale Folgen zeitigen wird: Mit Özdemirs Segen würden in diesem Jahr wichtige Rückzugsräume für Arten vernichtet und zugleich Steuergelder verschwendet, konstatiert der Umweltschützer. Denn nun müssten die Landwirte mit hohen Subventionen dazu animiert werden, Brachflächen bereitzustellen. In der Süddeutschen Zeitung charakterisiert Michael Bauchmüller die Feigheit der Bundesregierung treffend: „Es mangelt weder an Ideen noch an Geld – schließlich werden jedes Jahr an die sieben Millionen Euro an die deutschen Landwirte verteilt. Was fehlt, ist der Mut, das Geld anders zu verteilen als bisher.“ Der Kommentator registriert, dass Özdemir und seine Kollegen offenbar konfliktscheu geworden sind. „Die Ampelkoalition hat sich entschieden, den Landwirten lieber nicht mehr zu widersprechen.“ 03/2024 Dazu auch: Krieg gegen die Natur im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund (2021) |
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