Die Asozialen
Cartoon: Rainer Hachfeld


Sich noch mit der geistigen Verfassung der Ampelkoalition insgesamt auseinanderzusetzen, scheint verlorene Liebesmüh, lohnender dürfte die Beschäftigung mit den speziellen Absichten der drei feindlichen Partner sein. Während die (jeweils nach eigener Farblehre so deklarierten) Roten und Grünen mehr oder weniger glaubwürdig den Kampf gegen Klimawandel und Umweltzerstörung, für mehr ÖPNV und bessere Absicherung ärmerer Mitbürger propagieren und nach dem regelmäßigen Scheitern ihrer Projekte leise grummelnd weitermachen wie bisher, torpediert die gelbe Gefahr im Trio alles, was ihrer marktbeherrschenden Klientel lästig fallen könnte.


Liberale Auslegung von Verträgen


Im Sinne der gesamten Gesellschaft zu agieren, gilt landläufig als soziales Handeln. Hingegen wird die Vernachlässigung gemeinschaftlicher Ziele zugunsten eigener Interessen gewöhnlich als unsozial eingestuft. Es geht aber noch schlimmer: Wer vorsätzlich und skrupellos Maßnahmen zur Daseinsvorsorge, Gesundheitsprävention, Gleichberechtigung, gerechteren Ressourcenverteilung etc. be- oder verhindert, muss sich den Vorwurf der Asozialität gefallen lassen, einer Sabotagehaltung, die leider nicht immer strafbar ist. Nach dieser Definition hat sich die FDP die Einordnung als asoziale Gruppierung redlich verdient.


Manchmal verteidigen die Liberalen ihre Funktion als fünfte Kolonne innerhalb einer desolaten Koalition mit formaljuristischen Argumenten, die aber sehr willkürlich eingesetzt werden. Als das Verkehrsministerium in Berlin, sozusagen der Umwelt-Saustall innerhalb der Bundesregierung, aufgefordert wurde, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen einzuführen, das die Schadstoffemissionen sofort reduziert, für eine entspanntere Atmosphäre auf den Schnellstraßen gesorgt und etliche Menschenleben gerettet hätte, verweigerte Ressortchef Volker Wissing dies mit dem Hinweis, dass ein solches Vorhaben nicht in der Koalitionsvereinbarung stünde. Beim von der EU angestrebten Ende des Verbrennungsmotors bis 2035 hingegen blockierte die FDP in Brüssel den Beschluss lange, obwohl dieses Ziel im Ampel-Kompromiss festgeschrieben war. Erst als die in der Herstellung enorm energieintensiven und teuren E-Fuels zugelassen blieben, gaben die deutschen Liberalen ihren Widerstand gegen das Gesamtpaket auf.


Über das heroische Veto schüttelten selbst die Verantwortlichen der Autokonzerne Daimler und BMW verständnislos die Köpfe, obwohl sie der tapfer gegen strengere Abgasnormen, wie sie das EU-Parlament fordert, kämpfenden FDP ansonsten überaus gewogen sind. Den Nobelkarossenbauern war entgangen, dass Kollege und Konkurrent Oliver Blume von Porsche – die Firma errichtet gerade eine Produktionsstätte für E-Fuels - emsige Überzeugungsarbeit bei den Ministern Wissing und Lindner geleistet hatte. Und wenn ein Alphamännchen wie der Finanzminister etwas selbstlos liebt, dann ist das sein Porsche-Sportflitzer…


Auch bei anderen Gelegenheiten hat die FDP dafür gesorgt, dass das strahlende Image des deutschen Musterknaben in der EU bis zur Unkenntlichkeit zerkratzt wurde. Sie riss innerhalb der Ampel eine Sperrminorität an sich, mit der sie in Brüssel nicht nur die eigenen Partner, sondern auch ganze westeuropäische Mehrheiten bei Vorhaben stoppen darf. Als Dritter im Bunde der großen Verhinderer neben Lindner und Wissing tat sich dabei Bundesjustizminister Marco Buschmann hervor.


Europas Ausbremser


Endlich wollten die Abgeordneten des EU-Parlaments etwas gegen die zumeist in der Dritten Welt von Konzernen aus Mitgliedsländern begangenen Schweinereien unternehmen. Durch strengere  Lieferkettengesetze sollte verhindert werden, dass die Produktion für Europas Wohlstand in Afrika, Asien oder Lateinamerika von Kindern, unterbezahlten oder sogar in sklavenähnliche Lebensverhältnisse gepressten Arbeitern unter Gefahr für Leib und Leben, in einstürzenden und höchst brandgefährdeten Bruchbuden sowie von durch Insektizidteiche watenden Plantagen-Tagelöhnern geleistet wird.


Gut, die europäischen Hersteller und Landwirtschaftsgiganten hätten ebenso wie die Transporteure, die Groß- und Einzelhändler die Mehrkosten eingepreist und am Ende an die Kunden weitergegeben, aber vor so viel bürokratischem Aufwand wollten die deutschen Liberalen ihre Gönner schützen und legten sich quer. Was sind angesichts der Gunst und der Zuwendungen aus der Wirtschaft schon erhöhte Sicherheit und ein paar Cent mehr für einen Lohnempfänger in Hinterindien? Der kann sowieso nicht FDP wählen.


Vor Kurzem machte Buschmann dann deutlich, dass selbst ein Tatbestand von Menschenrechtsformat von seiner Schrumpfpartei gekippt werden kann, wenn ihr danach ist. In Straßburg verabschiedeten die Abgeordneten ein Gewaltschutzgesetz für Frauen, das allerdings das gravierendste Delikt, nämlich das der Vergewaltigung, ausklammert. Zwar war eine vernünftige Definition gefunden worden, der zufolge die fehlende Einwilligung der springende Punkt sei, doch der deutsche Justizminister wollte in der Klausel eine Kompetenzüberschreitung der EU erkannt haben. Hier sei die nationale Gesetzgebung zuständig. Wir erinnern uns daran, dass unlängst der Präsident des EU-Beitrittsaspiranten Türkei den Austritt seines Landes aus der Frauenrechtskonvention von Istanbul verkündete, weil er die Ahndung von „Vergewaltigung in der Ehe“ für eine Kompetenzüberschreitung von Juristen hielt. Gab das einen demokratischen Shitstorm aus allen Staaten der Europäischen Union!


Doch ein Marco Buschmann in destruktiver Höchstform macht auch vor Maßnahmen zum Schutz von Leben und Auskommen deutscher Bürger nicht Halt, wenn es gilt, die Ansprüche von Rüstungsproduzenten oder Hausbesitzern zu bedienen. Seit Winnenden, Erfurt oder Hanau weiß man, dass Massaker durch den Gebrauch von Schusswaffen, seien sie in Schulen, auf offener Straße oder in Gaststätten begangen, kein Monopol der hochmilitarisierten US-Gesellschaft mehr sind. Auch hierzulande befinden sich zu viele Todeswerkzeuge in privater Hand oder können ohne größere Schwierigkeiten erworben werden. Doch während in den Vereinigten Staaten die mächtige NRA (National Rifle Association) alle Versuche, die Verbreitung von Schusswaffen durch Gesetze zu erschweren, vereitelt, versteht sich hierzulande offenbar die FDP als Rifle Lobby. SPD, Grüne, Kriminalpolizei, Verfassungsschutz und fast alle Experten fordern unisono eine Verschärfung des Waffenrechts. Doch die Liberalen und das von ihnen geleitete Justizministerium lehnen das ab. Sie halten die Evaluierung der Fakten für nicht ausreichend. Fragt sich nur, wie viele Tote es noch geben muss, bevor die FDP die Statistiken für valide genug hält, um ihrer Industrieklientel ein Abebben der Waffenströme in dunkle (oft rechtsradikale) Kanäle per Gesetz aufzuzwingen.


Sabotage in Gelb


Eifer kann sich auch in Nichtstun manifestieren, wie Buschmann gerade wieder demonstriert. Seit mehr als zwei Jahren warten Sozialdemokraten und Grüne auf die Mietrechtsreform, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde. Doch das Justizministerium war mit Wichtigerem beschäftigt, etwa der Neubewertung von Fahrerflucht, so dass Maßnahmen zum Schutz von Mietern bedauerlicherweise noch nicht erarbeitet werden konnten. Aber da handelt es sich ja ohnehin um eher ärmere Menschen, also nicht gerade die Zielgruppe einer Partei für Besserverdienende, die sich ja schließlich vorrangig um Immobilienkonzerne und Investoren kümmern muss.


Diese Liste des Grauens ließe sich noch eine Weile fortsetzen, doch können nicht alle inhumanen Aktionen der Ampelkoalition als Alleinstellungsmerkmale der FDP zugeschrieben werden. Die Aushöhlung des Asylrechts etwa oder die weitgehende Abwälzung der durch Krisen entstandenen Belastungen auf Rentner sowie Minderverdienende haben die grünen und sozialdemokratischen Partner mitzuverantworten.


Dass jedoch Schädliches nicht verhindert und Sinnvolles nicht getan wird, darf man getrost dem kleinsten Koalitionspartner anlasten, dem anscheinend von seinen Mäzenen aus der Wirtschaft die Rolle der Blockade-Instanz um jeden Preis zugedacht wurde. Warum aber wehren sich die beiden anderen Parteien nicht gegen die Störmanöver und Zumutungen des mit ihnen „verbündeten“ Feindes? Es ist wohl eine Art Schicksalsgemeinschaft entstanden, denn wenn von den drei „Partnern“ einer ausschert, gehen die beiden anderen mit unter. Das Kleben an einem Fetzen Macht hält Scholz, Habeck und Lindner noch zusammen.


Hätte Robert Habeck statt Kinderbüchern Ratgeber für Hundeführer geschrieben und sich Olaf Scholz mit Dog Coaches zum Tee getroffen anstelle von zwielichtigen Bankiers, würden die beiden viel besser mit ihrem ungebärdigen Markt-Zerberus umgehen können.


Offenbar haben aber die Wähler, die das Polit-Geflecht in der Republik sonst nur noch teilweise zu durchschauen scheinen (s. Aufstieg der AfD), hinsichtlich der FDP den richtigen Riecher. Jedenfalls verdammen sie die Liberalen nach derzeitigem Stand ins Reich des Vergessens. Und Christian Lindner, der einst zum selbstverliebten Senkrechtrechtstarter aufstieg, dürfte vor einem schweren Sturz stehen. Wir wollen nicht hoffen, dass er direkt ungebremst vom Himmel fällt wie ein illustrer FDP-Grande vor ihm.


02/2024


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