| Die Ignorantentruppe Angenommen, ein akribischer Zeitzeuge machte sich auf die Suche nach fachlichen Qualifikationen, persönlichen Eigenschaften oder perspektivischen Ideen, die einen Politiker zum Amt des Bundesverkehrsministers prädestinieren – er würde bei seinen Recherche-Ausflügen in die jüngere Vergangenheit schnell dem Trübsinn anheimfallen. Inkompetenz, Ahnungslosigkeit sowie beinahe kriminelle Destruktivität prägten die Charakteristika der letzten Inhaber eines Kabinettspostens, der in den Zeiten des spürbaren Klimawandels stark an Bedeutung gewonnen hat. Doch schon von den Gründungszeiten der Republik an verdaddelte eine selten unfähige Riege die Existenzgrundlagen künftiger Generationen. Aufbau und Abbruch
Adenauer hatte Seebohm 1949 zum Verkehrsminister ernannt, und das blieb er bis 1966, ein Rekord, der die Kontinuität nationalistischer Wirkmächtigkeit in der jungen Bundesrepublik symbolisiert. Bekannt wurde Seebohm von zahllosen Zeitungsfotos und aus häufigen TV-Sendungen als der „Mann mit der Schere“, weil seine Haupttätigkeit darin zu bestehen schien, weiße Papierbänder zu durchschneiden und so Autobahnen, Bundesstraßen oder Brücken für den Verkehr freizugeben. Gebaut wurde nämlich in den „Wirtschaftswunderzeiten“ pausenlos und überall, wenn auch nicht sehr nachhaltig. Die 19 folgenden Bundesverkehrsminister durften bis heute miterleben, wie Autobahnbrücken und Straßenränder zerbröselten, und die Bahn, die anfangs noch pünktlich und zuverlässig fuhr, durch fehlende Wartung der Waggons, rostende Schienen, faulende Schwellen und marode Weichen ausgebremst wurde. Unter den Nachfolgern Seebohms waren so illustre Figuren wie Matthias Wissmann (CDU), später führender Autolobbyist der Nation, oder Friedrich Zimmermann (CSU), der vorher durch einen Meineid Aufsehen erregt hatte. Dass man ein Land nicht mit Schnellstraßen asphaltieren, sondern statt dessen den ÖPNV stärken und der langsam wahrzunehmenden Umweltzerstörung Rechnung tragen sollte, fiel keinem dieser Ressortleiter auf. Es waren aber die drei aufeinanderfolgenden SPD-Minister Klimmt, Bodewig und Stolpe, denen es vorbehalten blieb, zusammen mit dem Master of Desaster Hartmut Mehdorn als Bahnchef eine besonders spektakuläre Lachnummer zu kreieren: den Börsengang der Deutschen Bahn. Schon in dieser Zeit zeichnete sich ab, dass im Schienenverkehr nichts lief, wie es sollte: Im Gegensatz zu den Nachbarländern kam die Elektrifizierung der Fernstrecken ebenso wenig wie die Entflechtung von Personen- und Güterverkehr in die Gänge, Reparaturen wurden outgesourct und so mitunter zum Sicherheitsheitsrisiko, und das Schienennetz verfiel zusehends – welch glänzender Zeitpunkt für eine Teilprivatisierung und die Gründung einer Aktiengesellschaft! So existiert also seit 2004 bis heute die DB AG, die allerdings noch nie eine Aktie an der Börse angeboten oder gar gehandelt hat. Das bayerische Horror-Trio Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo noch Schlimmeres her. Diese Abwandlung dieser Trostverse von Rilke machte Sinn, als zwischen 2009 und 2021 das Bundesverkehrsministerium fest in den Händen der CSU war. Der erste bayerische Christsoziale, der sich als Herr über Straßen und Schienen beweisen durfte, war Peter Ramsauer, ein eher einfach gestrickter Hardliner, der schon mal nach Deutschland kommende Fremde mit „Ungeziefer“ verglich. Gemeinsam mit seinem Chef Horst Seehofer initiierte er das Prestigeprojekt Ausländermaut, scheiterte aber bereits in der Planung, so wie er auch bei den Großbaustellen Flughafen Berlin Brandenburg und Stuttgart 21 nicht vorankam. Deshalb wechselte ihn der bayerische Ministerpräsident aus und entsandte stattdessen Alexander Dobrindt in die Berliner Regierung. Der war schon ein anderes Kaliber als Ramsauer: raffiniert, durchtrieben und ein echtes Ass in sinnfreier Polemik. Also schanzte man seinem Ministerium auch noch die Verantwortung für die digitale Infrastruktur zu. Damit wiederum tat sich Dobrindt recht schwer, wie auch heute noch am niedrigen EDV- und Hightech-Standard des Landes abzulesen ist, aber immerhin brachte er die Ausländermaut auf den Weg. Mit diesem bayerischen Herzensanliegen ins offene Messer laufen durfte jedoch später ein anderer. Nachdem Dobrindt das Amt aufgegeben hatte, wurde Parteifreund Christian Schmidt für ein paar Monate kommissarischer Bundesverkehrsminister, ehe Andreas Scheuer übernahm. Über Andis Unzulänglichkeiten viel zu schreiben, hieße Athen mit Eulen bombardieren. Bleibt nur die Frage, ob der Passauer im Vollbesitz seiner bescheidenen geistigen Kräfte war, als er Verträge mit Mautbetreibern zu einem Zeitpunkt abschloss, da ihm jeder juristische ABC-Schütze hätte sagen können, dass der Europäische Gerichtshof das ganze Vorhaben im bereits laufenden Verfahren restlos canceln würde. FDP-Top of the Flops Insgesamt war die CSU-Ägide im Verkehrsressort gekennzeichnet von einer Deutschen Bahn mit noch rissiger werdender Infrastruktur, deren Züge, wenn sie denn überhaupt ankamen, immer unpünktlicher wurden, während die Vorstände, meist abgehalfterte Politiker und Manager, sich horrende Gehälter und Boni zuschanzten. Zugleich wurden einsturzgefährdete Autobahnbrücken und löchrige Fahrbahndecken vernachlässigt, da ja blühende Landschaften versiegelt werden mussten, um Porsche-Fahrern wie Christian Lindner weitere Hochtempo-Strecken zu eröffnen. Vom steuerbefreiten Kerosin wollen wir erst gar nicht reden… Dann kam 2021 die Ampel-Koalition an die Regierung, und in der saßen auch die Klimaleugner von der FDP. Ausgerechnet deren verbohrtester Querdenker, Volker Wissing, wurde nun Verkehrsminister. Und er verhinderte so ziemlich alles, was kurz- und mittelfristig dem Kampf gegen die Erderwärmung dienlich gewesen wäre, wobei er immer wieder mit Unwahrheiten, falschen Zahlen oder lächerlichen Behauptungen auffiel: Tempolimit auf Autobahnen wollten die Deutschen nicht (obwohl sich 54 Prozent dafür ausgesprochen hatten), Schilder gebe es auch nicht genug und flächendeckend ließe es sich im Kabinett nicht durchsetzen (Unsinn! Die Majorität von SPD und Grünen war dafür). Das Aus für Verbrennermotoren konnte er in der EU abwenden, mittels der E-Fuels (deren Produktion ausgesprochen teuer und energetisch ineffizient ist). Die Bahn darbt weiter, während an tausend neuen Autobahnkilometern gebastelt wird. Bundesverkehrsminister Volker Wissing denkt eben an alle Deutschen, auch an Highspeed-Piloten wie seinen Parteifreund Christian Lindner. Mittlerweile muss das Verkehrsressort keine Schadstoffemissionen mehr einsparen, weil die grünen und sozialdemokratischen Partner zu Kreuze krochen und nun andere Ministerien für saubere Luft sorgen sollen – welch ein Armutszeugnis für den selbsternannten Klimakanzler und seine Öko-Alliierten! Wenn man abschließend die Reihe von Versagern im so wichtigen Verkehrsressort nochmals Revue passieren lässt, ahnt man langsam, welche Kriterien dessen jeweiliger Leiter idealerweise erfüllen sollte: Er (eine Sie gab es bislang nicht) hält Umwelt- und Klimaschützer generell für Hysteriker, pflegt engste und zweifellos lohnende Beziehungen zur Automobilindustrie, hat beunruhigende Nachrichten zur Naturzerstörung souverän zu ignorieren, geht andererseits beredt mit alternativen Fakten an die Öffentlichkeit und darf über keinerlei Verantwortungsbewusstsein verfügen. 04/2024 Dazu auch: Freie Fahrt für niemand im Archiv der Rubrik Medien (2021) Wie tickt der Andi? (2021) und Alexander der Doofe? (2017) im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit |
| |||