Angriff auf die ARD


Ein haltloses Gerücht besagt, Markus Söder setze oft die Schwerpunkte in der öffentlichen Diskussion. Tatsächlich aber folgt er nur wie ein Spürhund den Fährten der politischen Konkurrenz und eignet sich deren erfolgreiche Themen in Windeseile an: Als die Grünen noch Zuspruch für den ökologischen Umbau bekamen, umarmte der bayerische Ministerpräsident Bäume; dann kam der Aufschwung der AfD, und Söder vergaß die Wälder, stürzte sich auf die Migration und tobte an der Seite von Hubsi Aiwanger gegen die in ihrer Hilflosigkeit doch eher bemitleidenswerte Ampel. Und nun macht der von der SZ einer gewissen Kulturferne geziehene Franke an der Seite rechtsextremer Parteien in Europa Front gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.


Bekämpfen durch Nachahmen?


Man/frau darf dem ewigen, allerdings im Hinterhalt lauernden Kanzlerkandidaten durchaus abnehmen, dass er die AfD nicht mag. Das hat weniger mit deren von Hass und Rassismus geprägter Politik zu tun – Inhalte haben Söder nie interessiert – als vielmehr mit dem Umstand, dass von einer Partei rechts der Union sicher geglaubte Wählerstimmen abgegriffen werden. Statt die völkischen Fanatiker argumentativ zu bekämpfen, ihre Fakes aufzudecken und deutlich zu machen, wie verhängnisvoll sich ihre rassistischen Vorhaben auf die Zukunft unserer Gesellschaft auswirken würden, nimmt der CSU-Chef Schritt für Schritt die von ihnen eingezogenen Eskalationsstufen. (Dies gilt für die Mitglieder der Ampelkoalition ebenso, wenn auch auf trittschallgedämpfter Stiege.)


Gegen Kopftuch, aber für ein Kruzifix in bayerischen Amtsstuben und eine deutsche Leitkultur (was immer das sein mag), gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Verbotspartei der Grünen, die uns unseren täglich Braten von Qualzuchtschweinen madig reden (nicht verbieten) wollen, aber für das generelle Verbot des Genderns in Schulen und Behörden (wo eine maßvolle Variante, die ein Zerfleddern der Laut- und Schriftsprache bis zur Unkenntlichkeit hätte erörtert werden sollen) – auf zahllosen Sachgebieten gibt sich Söder so populistisch und intolerant wie die AfD und so volkstümelnd wie sein FW-Vize Aiwanger.


Und irgendwann musste so auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk an die Reihe kommen, von den Rechtsradikalen zum Hassobjekt erkoren und etlichen Erzkonservativen in der Union ein Dorn im Auge. In halb Westeuropa hetzen Neofaschisten und Verschwörungstheoretiker gegen ein Mediensystem, das sicherstellen soll, dass die Meinungshoheit im Äther und in der Öffentlichkeit nicht exklusiv von einer ausschließlich an Profit und Macht orientierten Gruppe von Multimillionären ausgeübt wird. Dass Vielfalt, Recherche und fundierte Kritik quasi vom Gesetzgeber geschützt werden sollen, passt Verschwörungstheoretikern, die ausschließlich abseitige Nischen des Internets für glaubwürdig halten, ebenso wenig wie Politikern, die Enthüllungen fürchten müssen oder mehr Einfluss auf die Programme verlangen.


Angriff auf die Öffentlich-Rechtlichen


Markus Söder ist nicht der Mann, der sich offen mit dem öffentlich-rechtlichen Journalismus anlegen würde, also greift er durch die Hintertür an und gibt sich als Alliierter der darbenden Bevölkerung, die ab Februar 2025 für eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags tief in den Beutel greifen soll. Im Gespräch sind 58 Cent im Monat, wobei davon auszugehen ist, dass sozial Schwache, die gebührenbefreit sind, von diesem exorbitanten Mehrbetrag verschont bleiben. Aber Geld ist immer ein Thema, mit dem man punkten kann, und jede Preissteigerung weckt den Widerstandswillen.
Und so will der bayerische Ministerpräsident sein Staatsvolk und die restlichen Deutschen davor bewahren, den letzten Heller für den Bedarf der ARD zu opfern, obwohl die ihre Mittel dafür einsetzen muss, den Programmaufträgen der Landesregierungen nachzukommen. Auf einer CSU-Klausurtagung im oberfränkischen Kloster Banz schlug Söder unlängst u. a. vor, nur noch die Hälfte der Big Bands und Rundfunkorchester zu alimentieren, die Verwaltungskosten um zehn Prozent zu senken und die Gehälter des Spitzenpersonals an die des öffentlichen Dienstes anzugleichen. Klingt erst einmal ganz vernünftig, doch der Teufel steckt in ganz anderen Details der propagierten Ausdünnung.


Markus Robin H. Söder: Genossenschafts- und Sozialwohnungen hat er zu Tausenden an Investoren verscherbelt, Mindestlohn und Grundsicherung sind seiner Partei zu hoch. Aber wenn der Rundfunkbeitrag um ein paar Cent steigen soll, wird er zum Rächer der Enterbten. 


So sollen nach Söders Dafürhalten mindestens 20 Sender eingespart werden, Hörfunkprogramme könnten wegfallen, 3sat und ARTE würden zu einem „internationalen Gemeinschaftsprojekt“ ausgebaut werden. Gerade die wichtigsten Sendeorte für Kunst und Kultur, kritische Dokumentation und fachlichen Diskurs darf man demnach zumindest teilweise ausradieren, für kritisches Hinterfragen und ambivalente Informationen wird nach dieser Sichtweise doch wohl ein Kanal reichen. Zudem will der lauteste Sänger des deutschen Föderalismus genau diesen in Teilen liquidieren – wenn es nicht um sein eigenes Bundesland geht. Söder würde gern das Ende von Radio Bremen und des Saarländischen Rundfunks verkünden – ungeachtet des ihm sonst so heiligen Lokalkolorits und der Programmqualität der beiden Anstalten. Bei den Radiosendern des Bayerischen Rundfunks, ob Info-, Sparten- oder Unterhaltungskanal, sind hingegen keine Einsparungen geplant.


Besonders tückisch ist seine Forderung nach mehr Information und weniger Unterhaltung in der ARD. Quizsendungen beispielsweise gehörten seiner Meinung nach nicht zum Kernauftrag öffentlich-rechtlicher Sender, für die er gerne „einen Informationsanteil von 60 Prozent festschreiben“ würde. Vorgeblich fordert Söder ein sachlicheres und didaktisch wertvolleres TV-Programm ein, tatsächlich aber schanzt er so das Monopol an Lockangeboten den privaten Anbietern wie RTL oder Pro7 zu. Er weiß genau, wie die meisten seiner Mitbürger ticken: Ein Programm, das nicht den Tatort, Das Traumschiff, Die Sportschau oder Wer weiß denn sowas? präsentieren kann, wird auch nicht mehr für Monitor, Aspekte oder den Weltspiegel eingeschaltet. Großverleger wie Springer-Chef Mathias Döpfner, die den Öffentlich-Rechtlichen am liebsten alle Ausstrahlungen außer der Tagesschau oder dem Wort zum Sonntag untersagen würden, freuen sich über Vorschläge, die das Non-Profit-TV unattraktiv machen sollen, sichern sie den privaten Sendern doch höhere Einschaltquoten und damit den Werbemarkt.


Was stört Politiker an der ARD?


Söder jedenfalls befindet sich mit seiner Offensive zur Beschneidung von ARD und ZDF, die nebenher belegt, wie sehr er sich als bundespolitischer Vordenker fühlt, in illustrer Gesellschaft. Großbritanniens irrlichternder Rowdy-Premier Boris Johnson hatte während seiner Amtszeit damit begonnen, die BBC zu demontieren. Nach seinem unrühmlichen Abgang versuchen die Tories, die eng mit den großen rechten Verlegersippen auf der Insel verbandelt sind, weiterhin, die wohl berühmteste Rundfunkanstalt der Welt zu zerschlagen. In der Schweiz, wo die rechtsradikale SVP nach Wahlen regelmäßig zur stärksten Partei wird, wehrten 72 Prozent der Teilnehmer einer Volksabstimmung deren Angriff auf das öffentlich-rechtliche System ab, indem sie gegen die Abschaffung der Rundfunkgebühren votierten.


Geschmeidiger geht die Rechtsaußen-Koalition in Italien unter Regierungschefin Meloni vor: Sie liquidiert den staatlichen Sender RAI nicht, sie okkupiert ihn vielmehr, indem sie die bisherigen Verantwortlichen nach und nach entlässt und die Posten mit eigenen Parteigängern besetzt – was hierzulande nicht so einfach möglich wäre, da die Rundfunkgesetze den Einfluss der Politik zwar nicht völlig unterbinden, aber zumindest teilweise beschneiden. In Österreich hingegen betreibt die stets skandalträchtige und dem Nazi-Brauchtum offen zugetane FPÖ brachial den Untergang der öffentlich-rechtlichen Medienlandschaft – ein Vorgehen, dem die AfD nacheifert.


Einen vorübergehenden Teilerfolg feierten die Rechtsextremen 2021, als Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, mit ihrer Hilfe im Landtag die erste Gebührenerhöhung seit sechs Jahren (86 Cent) vorläufig stoppte (bis das Bundesverfassungsgericht wiederum ihn ausbremste). Dabei hatten sich alle Bundesländer, also auch die von der Union regierten, zuvor auf diesen Anstieg geeinigt. Aber Markus Söder registrierte damals wohl, wie populär die Agitation gegen jede Art von Verteuerung ist, und will diesmal den Protest (und damit ein paar Wählerstimmen) nicht allein der AfD überlassen. Doch dies ist nicht der einzige Grund, warum Konservative und Ultra-Nationalisten am selben Strang ziehen - nur mit unterschiedlichem Kraftaufwand – , wenn es um die öffentlich-rechtlichen Medien geht.


Man kann ARD, ZDF und Deutschlandradio einige Ungereimtheiten und Versäumnisse bei der Programmgestaltung oder der Personalstruktur vorwerfen. Kritikwürdig sind die Selbstherrlichkeit der Intendanten, die bisweilen merkwürdige Themengewichtung, das beklagenswerte Niveau der TV-Unterhaltung und vieles mehr. Auf der anderen Seite recherchieren erfahrene Journalisten dort oft sorgfältiger, unter geringerem Zeitdruck und mit weniger Rücksicht auf kommerzielle Interessen oder politische Vorlieben als ihre Kollegen in den privaten Publikationen, die oft genug die Ansichten ihrer Verleger und die Empfindlichkeiten der Werbekunden ins Kalkül ziehen müssen. Wenn deutsche Bürger heute etwas über die Blutspuren, die sich entlang der Lieferketten hiesiger Textil- und Lebensmitteldiscounter ziehen, oder über die Affinität unserer Automobilindustrie zu Folterdiktaturen erfahren – dann meist in den Öffentlich-Rechtlichen. Dort wird auch nachvollziehbar vorgerechnet, wie dürftig es sich mit Grundsicherung lebt und wie es um unsere Wirtschaft und Gesellschaft ohne ausländische Arbeitskräfte bestellt wäre. Man hinterfragt zwar die systemischen Verwerfungen unserer Realität nixht grundsätzlich, liefert aber oft genug Fakten für die kritische Auseinandersetzung damit. Konservative Politiker mögen das gar nicht, sind sie doch im ökonomischen und sozialen Status quo  fest verankert und zählen die Repräsentanten der Finanz- und Marktwirtschaft zu ihren Gönnern.


Für alle Verschwörungstheoretiker, Chauvinisten, Neonazis, Leugner des Klimawandels, Prepper etc. gelten wiederum nur sorgsam nach Gusto gefilterte Erzählungen aus den social media als glaubwürdig. Fakten, wie sie die ARD-Nachrichten häufig dokumentieren, Widerlegungen gängiger Dystopien in TV-Magazinen oder Rundfunkreportagen hingegen verwirren nur, bringen vom rechten Weg ab, passen nicht in die düstere hausgemachte "Wirklichkeit".


Öffentliche Sender sind alles andere als perfekt oder auch nur qualitativ zufriedenstellend, aber ohne ihre Programme würden wir den einen oder anderen Anhaltspunkt im Chaos der von Krieg und Krisen geprägten Jetztzeit vermissen. Markus Söder allerdings sieht das anders. Als er ein schmissiger Teen war, bestimmte Franz Josef Strauß, wie der Schwarzbayerische Rundfunk zu ticken hatte. Widerspruch wurde nicht geduldet, die wichtigen Positionen besetzte man ganz offen nach Sympathie – in Bayern konnte man als Unionschrist auf Diskretion diesbezüglich verzichten, wusste man doch absolute Mehrheiten hinter sich. Unliebsame TV-Sendungen strahlte der BR einfach nicht aus.
Die Zeiten änderten sich, die Mehrheiten wurden relativ, und plötzlich wagten die Reporter Kritik. Sogar an der Landesregierung. Gut, Söder, einst als BR-Volontär jeglichen journalistischen Talents unverdächtig, durfte dann als Minister in der beispiellos seichten Vorabend-Endlosserie „Dahoam is dahoam“ auftreten, dort den politisch vorbildlichen Freistaat bewerben und ist heute noch in den Nachrichten überlebensgroß sowie in frappierender Redundanz präsent, aber im Info-Rundfunksender Bayern5 (später BR24) wurden seine Fehler, Übertreibungen, Unterlassungen und alternativen Fakten des Öfteren detailliert offengelegt, und im TV-Programm von Bayern III macht sich Quer-Moderator Christian Süß erbarmungslos über seine Eitelkeiten lustig.


Da muss sich der Markus an jene Jahre erinnert haben, als jede Unbotmäßigkeit einer BR-Redaktion in der Staatskanzlei gemeldet und geahndet wurde. Doch die seligen Zeiten, sie kehren nimmer wieder. Da ist es denn doch einfacher, sich seine Alliierten in den konservativen Verlagen Springer, Burda oder Bauer zu suchen und für diese den Weg zum Medienoligopol von öffentlich-rechtlichen Stolpersteinen zu säubern.


02/2024


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