| Braune Schatten
Großes Bundesverdienstkreuz wieder lesen Bei Durchsicht meiner Bibliothek stieß ich dieser Tage auf den Bestseller Großes Bundesverdienstkreuz von Bernt Engelmann. Ein Buch, das einst Furore machte und das man heute als Faction einordnen würde, denn es verknüpft genau recherchierte Fakten mit einer erfundenen Handlung, einer Fiktion. Der Roman erschien erstmals 1974 als Hardcover in der AutorenEdition, die ich mit ins Leben gerufen hatte, und erreichte, Raubdrucke nicht mitgerechnet, bis zum Jahre 2002 vier verkaufte Auflagen von insgesamt über 500.000 Exemplaren. Aufklärung dank Bertelsmann Die AutorenEdition (AE) war ein ambitioniertes Unterfangen im C. Bertelsmann-Verlag München. Der Konzern versuchte damit zweierlei: zum einen den Gütersloher Ruch eines Verlags mit brauner Vergangenheit loszuwerden, zum anderen, in den Bereich seriöser deutschsprachiger Literatur vorzudringen. Das war insofern riskant, als nach den Studentenunruhen in den Siebzigern fast nur noch Sachbücher verkauft wurden, kaum Romane und Erzählingen. Engelmann war unter Studenten bereits Kult durch sein ebenfalls 1974 erschienenes „Deutsches Anti-Geschichtsbuch Wir Untertanen“ – ein dickleibiges Werk, das sehr lesbar Geschichte von unten vermittelt, statt nur die Genealogie von Dynastien herunterzubeten. Diesmal wollte der Autor jedoch auch ein nicht-akademisches Publikum erreichen, und so begeisterte er sich für die AutorenEdition, Slogan „Autoren verlegen Autoren“. Am Ende wurde er sogar Autorensprecher der AE und wachte darüber, dass bei C. Bertelsmann gute Manuskripte nicht länger wegen mutmaßlicher Unverkäuflichkeit abgelehnt wurden. Eine Zeitlang herrschte bei C. Bertelsmann tatsächlich Mitbestimmung. Bei erneuter Lektüre des Tatsachenromans „Großes Bundesverdienstkreuz“ fällt vor allem auf: Es ist noch immer brandaktuell! Nicht etwa, weil so viele 68er überlebt hätten, sondern weil auch aus heutiger Sicht immer noch verblüfft, wie viele Ex-Nazis in der BRD bis weit nach Kriegsende kräftig mitmischten. Vor allem in der Großindustrie. Eine deutsche Karriere in der Nazi-Zeit Da war zum Beispiel der hochdekorierte Unternehmer Dr. Fritz Ries. Wer kannte sie nicht, die genoppten Flughafen-und Großraum-Büro-Fußböden der Pegulan-Werke, die einst unsere Flughäfen und Großraumbüros so modern aussehen ließen? Die Fabrikationsanlagen hatte sich Ries schon zur Nazizeit zugelegt, indem er jüdische Betriebe „arisierte“ – will sagen, er kaufte sie für'n Appel und 'n Ei, als deren rechtmäßigen Besitzer um ihr Leben bangen mussten. Durch die „Arisierung“ rettete er ihnen das Leben. Zunächst. Doch solche Rettung hatte natürlich ihren Preis. Sein rasanter Aufstieg geschah im damals großdeutschen Osten, in Polen. Und seine Arbeitskräfte waren polnische Zwangsarbeiter, vornehmlich jüdische. Woran er sich später nicht erinnern mochte: Sie kamen entweder durch Arbeit um oder wurden am Ende doch vergast. Doch 1944 ereilte der ungünstige Kriegsverlauf auch den Unternehmer Ries. Seine Immobilien gingen verloren. Jedoch dank seiner guten Beziehungen konnte er Inventar, Maschinen, Patente noch rechtzeitig in den Westen verlagern – für die Nazis offenbar kriegswichtige Produktion. Ries im Widerstand – gegen Brandt! Schon bald dem Krieg erhob sich, wie Phönix aus der Asche, seine Pegulanwerke AG in Frankenthal aufs Wunderbarste zu neuer nationaler Größe. Endlich, 1972, erhielt Ries das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. (Exkurs: hätten die neuen Chefs der schwedischen Tarkett GmbH 1987 die Pegulanwerke übernommen, wenn ihnen diese Vorgeschichte bekannt gewesen wäre? Vermutlich ja. Der Widerstand gegen die Nazis hielt sich in Schweden zeitweise durchaus in Grenzen. So fand die schwedische Regierung nichts dabei, noch 1942, also nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, im Berliner Olympia-Stadion gegen die deutsche Nationalmannschaft offiziell Fußball spielen zu lassen. Und mit der Schweiz, mutmaßen nicht wenige Historiker, tauschte sie sogar „arisiertes“ Gold, vulgo, Zahngold aus deutschen KZ’s.) Doch zurück zu Phönix Ries: Weil wir ja auch Bundespräsidenten hatten, die in der Reiter-SS waren oder an KZ-Bauten mitgewirkt hatten, erklärt sich seine Wiederauferstehung aus der damaligen bundesdeutschen Normalität. Allerdings blieben Irritationen nicht aus. Zwischenzeitlich war es nämlich auch zum Aufstieg des Vaterlandsverräters Willy Brandt gekommen. Der war 1970 in Warschau vor den Opfern der Nazimorde in die Knie gegangen, also ganz anders mit den Polen umgegangen als er selber. Solches war einem gestandenen Nazi-Deutschen wie ihm, 1942 mit dem Kriegsverdienstkreuz ausgezeichnet, natürlich ein Dorn im Auge, und so beteiligte er sich tatkräftig an den diversen Versuchen, Brandt zu stürzen. Erst im Jahre 1974 gelang es Bernt Engelmann, mit seinem Buch Großes Bundesverdienstkreuz diese Zusammenhänge aufzudecken, und Ries sah sich gezwungen, gegen diesen vaterlandslosen Schmieranten Klage einzureichen. Gleich zu Prozessbeginn trug er er seinem Rechtsanwalt auf, „Warnschreiben“ an die deutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten verschicken, in ihre Berichterstattung ja nicht die Engelmann-Argumente einfließen zu lassen. Um die Klage zu verschlanken, ließ er etliche Darstellungen in dem Buch als „gröblich unwahr“ und „nicht entfernt der Wirklichkeit entsprechend“ zurückweisen. Engelmann erhob Gegenklage, brachte zusätzliches, bis dato nicht publiziertes, Material ein, das er schlauerweise zurückgehalten hatte, und bekam schließlich in ca. 97 % der Anklagepunkte in allen Instanzen Recht. DIE ZEIT kommentierte, mit seiner Publikation hätte der Autor selbst das Große Bundesverdienstkreuz verdient. Ein Altnazi bereut? Jedoch Bernt Engelmann erhielt es nie und starb 1994 nach langer Krankheit in seinem Haus am Tegernsee. Dr. Fritz Ries erschoss sich 1977 in seinem Haus in Frankenthal. Warum begeht ein Erfolgsmensch wie Ries Selbstmord? Er, der im Laufe des Prozesses bekundet hatte, er halte sein damaliges großdeutsches Verhalten moralisch nicht für verwerflich, schien wohl doch Grund zur Reue gehabt zu haben. Daran ändert auch nicht, dass er königlich-marokkanischer Honorarkonsul wurde, etliche Hotels und Burgen sanierte und die CDU/CSU mit beträchtlichen Geldsummen bedachte. Auch dies natürlich nicht ohne Gegenleistung. So soll er über Helmut Kohl gesagt haben: „Auch wenn ich ihn nachts um drei anrufe, muss er springen.“ Der SPIEGEL schreibt im Oktober 1972 unter der Überschrift „Korruption. Besuch im Schloss“, dass im Ries-Hotel Schloss Pichlarn / Österreich die Machtübernahme der CDU geplant wurde. Dazu sollten gezielt FDP- und SPD-Politiker zum Überlaufen bestochen werden, wie Wikipedia bekräftigt. Das Internet-Lexikon Wikipedia ist insofern ein weitgehend verlässlicher Zeuge, als es meist die Quellen aller Beiträge nachweist. Korruption in der Politik: einst und jetzt Wie standen unterdes maßgebliche Regierungspolitiker zu Industriellen und Konzernen, die ihre Größe im Tausendjährigen Reich erlangt hatten? Wie der Volksmund richtig sagt: Eine Hand wäscht die andere. Noch bis zu seinem Tod hat zum Beispiel Helmut Kohl sich geweigert, die Namen der Spender für seine Staatsbürgerliche Vereinigung zu nennen. Es war dies die euphemistische Umschreibung für eine Geldwaschanlage. Das Große Bundesverdienstkreuz beschreibt einen exemplarischen Fall von Verstrickung in der Vergangenheit und jene Korruption, die bis in die Gegenwart reicht. Man könnte nun sagen, all dies geschah im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts, indes, kaum etwas deutet darauf hin, dass heute alles anders sei. Es gibt fragwürdige Beschaffungsmaßnahmen für Corona-Masken und plötzlich mögliche Bürgschaften, obwohl die BRD erkennbar pleite ist. Es gibt Hilfen für die Autoindustrie, obwohl die Bahn das probate Mittel wäre, dem Kampf gegen den Klimawandel gerecht zu werden. Für atavistische politische Entscheidungen dieser Art braucht man die richtige Lobby, anders gesagt, man muss wissen, wie man die Türen zu den Politikern möglichst geräuschlos öffnet. Die besten Lobbyisten sind natürlich die Politiker selber, besonders die, die gerade regieren. Verkehrsminister Wissing (FDP) zum Beispiel treibt unverhohlen den Autobahnbau voran, statt marode Gleise instandsetzen zu lassen. Und natürlich fördert er auch die volkswirtschaftlich wichtige Autoproduktion, sowohl von Verbrennern wie auch von E-Autos. Sein oberster Boss ist Finanzminister Lindner, dem man besondere Nähe zu Porsche nachsagt. Als begeisterter Sportwagenfahrer fährt er nicht nur selber einen, sondern stimmt sich auch bei gewissen Fragen mit Porsche-Chef Oliver Blume ab, zumindest telefonisch. Äußerst hilfreich in Sachen Verkehrspolitik ist die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller. Unter Bundeskanzlerin Merkel war sie Staatsministerin, weiß also genau, wie man auf der Überholstrecke zu Politikern vordringt, und findet auch nichts dabei, als Lobbyistin tätig zu sein. Für sie ist die Beeinflussung der Politik durch Lobby-Arbeit gelebte Demokratie: Woher sonst sollten junge Politiker ihr Fachwissen beziehen? Am besten, man schreibt ihnen auch noch die Bundestagsreden oder zumindest Teile davon. Und damit werden sie allesamt Teil des deutschen Wirtschaftswunders. Manche Politiker bringen es durch ihren Pensions-Nebenjob als Lobbyisten zu erstaunlichem Privatbesitz. Fazit: Der von Engelmann so anschaulich beschriebener Filz ist keineswegs aus der Welt, ja inzwischen begegnet man ihm sogar auf EU-Ebene. Oder globalisiert, nämlich dann, wenn es um sogenannte Naturschätze geht, also um fossile Energie. Industrienationen wie die USA, Deutschland, Südafrika, Russland etc. brauchen eben seltene Erden, Öl, Erdgas, Kohle. Ganz ohne Unterfütterung wachsen die Villen an der Côte d'Azur nicht aus dem Boden. Mafia? Mag sein. Aber es geht auch ohne. 10/2024 Dazu auch: Coburger Schande, Dossier von 2015 in der Rubrik Medien: Es geht um Nazi-Verbrechen und Nutznießer in bundesdeutschen Konzernen; insbesondere Kapitel 2 (Stadt der Schande) und Kapitel 3 (Professor Persil) beschäftigen sich auch mit der Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkriegs. |
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