Spanische Skizzen


 

I.  Ist der Kampfstier die ärmste Sau?

II. Die Ruhe nach dem Sturm

III. Die Pilgerplage

IV. Kanarische Lehren

V. Die Gauner von Madrid

VI. Ein kleiner Franco

VII. Banksy versus Franco

VIII. Vom Umgang mit Heroen 

 

 

I. Ist der Kampfstier die ärmste Sau?

 

 

Stierhatz durch die Straßen von Teruel

Stierhatz durch die Straßen von Teruel

Die Provinz Teruel im südlichen Aragon ist die am dünnsten besiedelte Region Spaniens. Mit neun Einwohnern pro Quadratkilometern gilt sie als die Gegend mit den vergleichsweise wenigsten Menschen in Europa, Tendenz weiter sinkend, denn die jungen Leute ziehen in die großen Städte. Dort gibt es zwar auch kaum Arbeit, aber in Teruel existiert überhaupt keine Perspektive. In diesem überwiegend ländlichen Gebiet sind die Möglichkeiten, sich zu vergnügen oder – wie es mittlerweile heißt – an einem Event teilzuhaben, dünn gesät.  

  

Am ersten Samstag im Juni war es endlich wieder einmal so weit, und die halbe Bevölkerung von Teruel, der 35000 Seelen zählenden Provinzmetropole, UNESCO-Menschheitserbe aufgrund des Mudejar-Architekturstils, wartete auf den Straßen und Gassen. Ein Stier wurde durch die Stadt gehetzt, von einem Seil, an dem mutige junge Männer hingen, gebremst; nur dass er sich immer wieder losriss und seinerseits blindwütig und laut brüllend alles attackierte, was im Weg stand. Für Frauen und Kinder waren an strategisch wichtigen Plätzen Käfige zur Sicherheit aufgebaut worden, die meisten Eltern aber zogen es vor, sich mit ihren Sprösslingen auf der plaza zu postieren und sich bei Herannahen des toro hinter erhabene Säulen zurückzuziehen.

  

Eine Tierquälerei? Gewiss, aber eine unblutig verlaufene und eine bei der das Risiko hauptsächlich auf Seiten der zweibeinigen Kontrahenten des edlen Bullen lag. Und doch führt uns diese Massen-Corrida, dieses Pamplona des keinen Mannes, zum ewig jungen Konfliktthema, das da lautet: „Spanien und der Stierkampf“.

 

Die corrida sei wie der Flamenco ältestes iberisches Kulturgut, behaupten die Liebhaber des blutigen Kampfsports – und liegen falsch damit. Es waren die Mauren, die den Stierkampf und den Kastagnetten-Tanz auf die Halbinsel brachten. Die Arena sei die Bühne kastilisch-spanischer Herrschsucht und Grausamkeit, argumentieren die  Separatisten – und vergessen dabei, dass es nirgendwo mehr fanatische afficionados des blutigen Geschehens gibt als im auf Autonomie bedachten Baskenland. Der Stierkampf sei schlicht die schlimmste Misshandlung eines unschuldigen Lebewesens, sagen die Kämpfer für Tierrechte – und haben damit nur bedingt recht.

  

Die folgenden Erwägungen sind für überzeugte Vegetarier und radikale Tierschützer eigentlich nicht geeignet! (Lesen sollten sie den Text aber schon, da sich Fleischverzehr und Viehzucht in den nächsten Jahren nicht abschaffen, sondern höchstens modifizieren lassen werden.)           

  

Ich war nie ein Freund der ritualisierten Tötung von Stieren, verbunden mit archaischem Show-Gepränge und viel Macho-Gehabe. Keine zehn Pferde könnten mich zu einer corrida in die Arena schleifen. Wobei wir bei der gravierendsten Tierquälerei wären. Die armen Rösser der picadores, der Lanzenreiter, werden trotz ihrer Rüstung häufig von den rasenden toros aufgeschlitzt. Der Kampfstier selbst hingegen stirbt am Ende eines für Zuchttier-Verhältnisse fürstlichen Dasein nach kurzer Zeit des Schmerzes und der Wut relativ schnell, ohne die erbärmliche Todesangst wie seine Artgenossen, die, auf engstem Raum zusammengepfercht und oft  durch halb Europa gekarrt, instinktiv den Schlachthof als letzte Station wittern, tagelang fühlen zu müssen.  

  

Die Kampfstiere führen ein nur durch Trainingsphasen unterbrochenes beschauliches Leben im Freien Ländereien. Sie weiden in den ausgedehnten Korkeichenhainen Andalusiens oder der Extremadura. Und dieser Umstand führt dazu, dass manche Ökologen das mögliche Ende der corrida eher mit Skepsis sehen. Sind doch bereits in Portugal bereits weite Teile der Korkeichenwälder der Axt zum Opfer gefallen, und droht doch auch in Spanien das Aus für diese extensive Kulturlandschaft. Seit etlichen Jahren steigen immer mehr europäische Winzer auf Plastikkorken um, da der natürliche Pfropfen sie oft mehr kostet als der Flascheninhalt. Zudem kann eine Korkeiche nur alle sieben Jahre „geschält“ werden, und sowohl der Baum als auch das Rindenprodukt sind von Schädlingen und Schimmelpilz bedroht. So gehen immer mehr Landeigner dazu über, die anspruchsvollen Edelhölzer durch Eukalyptus, den schnellstwachsenden Baum, mit verheerenden Folgen für den Boden zu ersetzen. Die Papierindustrie bedankt sich, die Umwelt bleibt auf der Strecke. Die Experten sind sich einig, dass die Abholzung der Korkeichenhaine auf der iberischen Halbinsel katastrophale Folgen für das Klima in Südwest- und Mitteleuropa zeitigen würde.

  

Da sich die Korkernte für die Weinversiegelung allein nicht mehr rentiert, müssen andere ökonomische Faktoren die Erhaltung der Eichenwälder begünstigen. Einer davon ist die geniale Nachzüchtung des ibérico, des ausgestorbenen Iberischen Schweins, das sich halbwild in jenen Hainen vorwiegend von den Eicheln nährt, und den vielleicht besten (und teuersten) Schinken der Welt liefert, Der zweite Faktor, der die großflächige Eichenlandschaft wirtschaftlich macht, ist – die Zucht von Kampfstieren, die riesigen Auslauf in lichter Savanne benötigen.

 

Die Abschaffung des Stierkampfes ist also nicht nur eine Frage des Tierschutzes, sie wirft mehr Fragen auf, als es derzeit Antworten gibt. In Spanien verläuft der Graben zwischen Gegnern und Befürwortern der corrida in Schlangenlinien quer durch die politischen Lager, autonomen Regionen und Printmedien. Während Katalonien als bislang einziges Bundesland den dort ohnehin schon lange nicht mehr populären (und lukrativen) Stierkampf verboten hat, halten die ansonsten in ihrer Abgrenzung von der Spanisch sprechenden Mehrheit nicht weniger konsequenten Basken, Valencianer und Galicier am Spektakel in der Arena fest. Die konservative Regierung Rajoy hat die 2006 vom sozialdemokratischen Vorgänger-Kabinett abgeschafften Live-Übertragungen im Fernsehen wieder genehmigt. Hingegen verzichteten konservative Blätter auf die traditionelle Stierkampf-Seite, während die linksliberale Tageszeitung El País ihre Berichterstattung beibehielt. Und in den Lokalen lassen sich die Werktätigen mit Zusammenfassungen der letzten corrida aus dem TV-Gerät berieseln. Allerdings ist dies nicht unbedingt als Votum zu werten: In einer spanischen Bar muss mindesten ein Fernseher in voller Lautstärke laufen, aber niemand nimmt Notiz davon...

  

 

 

 

 

 

II. Die Ruhe nach dem Sturm

 

 

 

Cuenca: Ich habe PP gewählt. Vergib mir!

Cuenca: Ich habe PP gewählt. Verzeih mir!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Situation ist schlecht, die Menschen haben Angst vor der Zukunft, aus den Rentnern droht sich ein neues Prekariat zu rekrutieren, während die Schul- und Uni-Abgänger keine Arbeit finden. Die Wellen der Empörung brandeten zunächst hoch auf den öffentlichen Plätzen in Madrid oder Barcelona, doch nun scheinen die Spanier resigniert zu haben; es lässt sich ganz einfach niemand dingfest machen für die Krise, weder die korrupten Politiker mit klaren Symptomen von Autismus (keinerlei Empathie, eine eigene Geisteswelt), noch die anonymen Banker, deren Zocker- und Absahner-Mentalität den Stein erst ins Abwärtsrollen gebracht hat. Die eigentliche Macht hat kein Gesicht mehr, nur noch viele Visagen, die austauschbar sind.

 

Das ist im Prinzip nicht anders als in den meisten europäischen Staaten. Auch Frau Merkel wirkt wie ein ferngesteuerter Zombie, wenn sie von „Anstrengungen“ (durch wen?) und wirtschaftlichen Erfolgen (für wen?) schwadroniert, den stabilen Arbeitsmarkt (bei Hungerlöhnen ohne Tiefenbeschränkung und mit labilen Beschäftigungsverhältnissen) lobt oder den Rentenbetrug verteidigt. Auch sind die Politiker hierzulande in jeden Sumpf, der sich auftut, verstrickt, nur suhlen sie sich eleganter, durch Aufsichtsratsmandate und Lobby-Pfründe gegen Strafverfolgung imprägniert. In Spanien hingegen leidet das Volk unmittelbar (während der deutsche Bürger bislang nur die Zeichen an der Wand ignoriert und hofft, es möge nur die Welt ringsum treffen), lügen die Regierungsgranden (egal, ob von der Post-Franco-Partei PP oder früher von den PSOE-Sozialdemokraten) durchschaubarer und lassen sich offensichtlicher schmieren.

 

Als Fels in der Brandung gibt sich PP-Regierungschef Manuel Rajoy, der selbst unter dringendem Korruptionsverdacht die Ruhe eines Bettvorlegers bewahrt. Gerüchten, die Mehrwertsteuer werde erhöht, trat er allerdings mit Entschiedenheit entgegen. Beobachter mit einigermaßen funktionierendem Mittelzeitgedächtnis erinnern daran, dass er diese Zusicherung zuletzt im vorigen Jahr äußerte; einen Monat später stieg die Steuer, die alle Verbraucher trifft.

 

Dies sei doch eine gerechte Lösung, behaupten die Apologeten des Status quo, die Steuererhöhung treffe alle gleichermaßen, und wer mehr Geld habe, kaufe mehr und führe dementsprechend höhere Mehrwerttaxe ab. Davon abgesehen, dass die dadurch erzielten Staatseinnahmen zu einer ominösen „Bankenrettung“ eingesetzt werden sollen (also zur Reparatur des globalen Finanz-Kasinos, das den guten alten Industrie-Kapitalismus, der zwar ungerecht, aber durchschaubar war, verdrängt hat), stimmt die Rechnung nur, wenn man auch sonst Äpfel mit Birnen oder besser: Muscheln mit Perlen vergleicht. Es ist richtig, dass in Spanien der gleiche Mehrwertsteuersatz den Arbeitslosen, der sich Brot und Gemüse kauft, trifft wie den Baulöwen, der sich eine Zwanzig-Meter-Yacht zulegt. Nur hat der eine keine andere Möglichkeit als den Steueranteil zu zahlen, um sich ernähren zu können, während der andere aus freien Stücken etwas an den Staat abdrückt (wobei ihm sicherlich noch brillante Vorsteuerabzugsmöglichkeiten einfallen).

 

Die einzig wirklich gute Nachricht für die Iberer kam unlängst nicht von Rajoy, sondern von der WHO. Die Spanier haben mittlerweile in Europa die höchste Lebenserwartung. Fragt sich nur, wie lange noch. Die Langlebigkeit auf der Halbinsel dürfte sich einigen sozialen Faktoren verdanken, für die in nächster Zeit allerdings die positiven Koordinaten wegfallen: Der durchschnittliche Arbeitnehmer nahm Hypotheken auf und kaufte für seine Familie ein Eigenheim. Die Zinsen und Bankschulden zahlte er, relativ gut abgesichert durch Kündigungsschutz und beträchtliches Abfindungsgebot sowie durch eine gute ärztliche Versorgung, gemächlich bis zum Rentenalter ab. Die Sicherheit, das Alter ohne größere finanzielle Sorgen erleben zu können, ist den Stress-Krankheiten Krebs und Herzleiden unzuträglich.

 

Mittlerweile hat die Regierung in Madrid (auch auf Drängen der staatlichen deutschen „Finanzexperten“) den Kündigungsschutz aufgeweicht und die gesetzlich vorgeschriebenen Abfindungen halbiert. „Den Arbeitsmarkt reformieren und öffnen“ nennt man das in der EU, angeblich mit dem Ziel, jungen Arbeitslosen eine Chance zu bieten. Tatsächlich aber verloren ältere Malocher ihren Job und mussten ohne Entschädigung aus der angezahlten Wohnung ausziehen, während der Nachwuchs dennoch nicht eingestellt wurde, weil die Firmen die Produktion nach Polen oder Asien verlegten. (Über die Hälfte der 18- bis 24-jährigen sind derzeit arbeitslos gemeldet; nur 18 Prozent dieser Altersgruppe sind tatsächlich in Beschäftigung!) Und gute spanische Ärzte und Krankenschwestern wird man wohl künftig eher in Deutschland antreffen als in ihrer Heimat, denn unter einem EU-Spardiktat werden für ein „ausuferndes“ Gesundheitswesen keine Mittel mehr da sein.

  

Die spanische Nationalbank ließ kürzlich über die Presse verbreiten, der Mindestlohn von 645 € im Monat müsse gesenkt werden. Zugleich werden die Renten in einem Maße gekürzt wie nirgendwo in Europa (so das Statement der Regierung gegenüber den Zuchtmeistern in Brüssel). Das wäre ein weiteres Bollwerk gegen übermäßiges Altern. Die Spanier leisten sich nämlich bei in etwa gleichen Einkaufspreisen wie hierzulande eine weitaus variablere und gesündere Speisenfolge als die Deutschen (mehr Fisch und Gemüse, besseres Fleisch sowie Olivenöl statt Fett und Butter). Wovon sollen sie in Zukunft wertvollere Lebensmittel bezahlen? Den künftigen Alten werden in Zukunft die gesunde Ernährung, eine ordentliche Krankenversorgung sowie die Sicherheit, die letzten Jahre friedlich in den eigenen vier Wänden verbringen zu können, abgehen, was die Lebenserwartung „sozialverträglich“ verkürzen dürfte.

 

Doch nicht nur die Greise leiden, den Kindern scheint es nicht besser zu gehen (sollen sich wohl von vornherein an eine völlig entsolidarisierte Gesellschaft gewöhnen). In Barcelona, der Kapitale des vergleichsweise wohlhabenden Katalonien, kommen laut einer kürzlich veröffentlichten Studie 2865 Schüler (knapp zwei Prozent) mangel- oder unterernährt zum Unterricht.

 

Und Ministerpräsident Mariano Rajoy, die Inkarnation einer Valium-Tablette, erklärt, die schlimmsten Zeiten habe Spanien nun hinter sich.

 

Die Zeitungen vermelden, dass zum ersten Mal seit Jahrzehnten der Nominallohn der spanischen Arbeitnehmer gesunken sei (der Reallohn ist es schon lang). Gleichzeitig werden öffentliche Bedienstete entlassen, um den Arbeitsmarkt zu „beleben“; mehr Unbeschäftigte balgen sich somit um immer schlechter bezahlte Jobs.

 

Und Ministerpräsident Mariano Rajoy erklärt, das Volk sehe die Lage nun wieder viel optimistischer.

 

Als einzigen Beleg für die kühne Behauptung kann er anführen, dass  kürzlich die Beschäftigungsquote leicht anstieg. Was er verschweigt: Die Tourismus-Saison hat begonnen. Weil Spanien zwangsläufig billig geblieben ist, fallen die Scharen aus glücklicheren Ländern auf der Halbinsel ein, was derzeit für vier- bis fünfmonatige Niedriglohn-Jobs in der Gastronomie und Hotellerie sorgt.

 

Dass Rajoys (jüngere) Landsleute nicht unbedingt wie er in optimistische Delirien verfallen, beweist die nüchterne Statistik. Die Geburtenrate ist zwischen 2008 und 2012, also in den Jahren der Krise, um 12,8 Prozent gesunken – und das im immer noch katholischen Spanien!   

 

Die Bevölkerung resigniert und bleibt ruhig, ob aus der bitteren Erfahrung eines Bürgerkriegs und des folgenden jahrzehntelangen Staatsterrors heraus, aus Desinformation oder einfach, weil kein einzelner Schuldiger mehr auszumachen ist, da die Schwärme der Täter in allen Bereichen nisten, lässt sich schwer sagen, doch scheint  Spanien nur die die Spitze eines Eisbergs zu sein, in dem u. a. auch Deutschland eingefroren ist.

 

Die wichtigste Zeitung des Landes, „El País“ an einem beliebigen Juni-Samstag 2013: Der Titel und die ersten vier Seiten des nationalen Teils werden komplett mit Berichten über Betrug, Korruption und Steuerhinterziehung bestritten. Der Ex-Präsident des Arbeitgeberverbands hat einen Konkurs verschleiert, die Konten seiner Firmengruppe geleert und ein Finanzloch von 400 Millionen € hinterlassen. Die Infantin Cristina soll Einnahmen aus dem Verkauf von 13 Immobilien nicht versteuert haben, womöglich, weil ihr die vom Staat (dem Volk!) gewährte Prinzessinnen-Apanage als Taschengeld nicht reichte. Ihr Ehemann, immerhin Schwiegersohn des Königs, hat als Firmenchef eine Rechnung über fast sechs Millionen gestellt, obwohl er nur Leistungen in Höhe von knapp zwei Millionen erbracht hat. Der ehemalige Schatzmeister der „Volkspartei“ PP hat 47 Millionen auf Konten in der Schweiz versteckt (kennen wir doch aus dem deutschen Sumpf), in Katalonien hat eine Firma die Separatistenpartei CDC mit 6,6 Millionen geschmiert, um an Aufträge zu kommen und und und...

 

Ebenfalls in „El País“ spottete kürzlich der Kolumnist Jorge M. Reverte, ihm sei zu Ohren gekommen, dass im Gefängnis Soto del Real demnächst ein TV-Studio mit modernster Technik eingerichtet würde. Da so viele Abgeordnete der PP, einiger Regionalparteien, der andalusischen Sozialdemokraten, aber auch Minister und der Regierungschef selbst damit rechnen müssten, inhaftiert zu werden, solle ihnen so eine Möglichkeit gegeben werden, sich weiterhin ans Volk wenden zu können. Außerdem müssten sie ja ihre Parteien aus dem Knast heraus weiter führen. Sie könnten sich diesbezüglich von den Kommunisten beraten lassen, die diese Situation unter Franco bereits kennengelernt hätten.    

 

 

   

 

  

III. Die Pilgerplage

 

 

 

Das Ende der antiken Welt: Finisterre

 

Der Norden Spaniens, von den Pyrenäen-Ausläufern über Waldgebirge wie die Picos de Europa bis zu den Rías, den Fjorden des keltischen Stammlands im äußersten Westen, bietet Reisenden spektakuläre Landschaften und altehrwürdige Städte in beschaulicher Idylle.Doch wie weiland die sieben Plagen, die der Herr über Ägypten brachte, fluten nun Legionen von Jakobspilger das beschauliche Galicien und die ihm vorgelagerten nördlichen Bundesländer wie Navarra, Asturien oder Kastilien-León. Sie marschieren einzeln oder in Gruppen, in jedem Fall massenweise, auf das Disneyland des christlichen Spiritualismus, Santiago de Compostela, zu, erkennbar schon an dem überlangen Stab, der in den Ruhepausen so manchen Café-Ober ins Stolpern bringt, weil er sich einfach nicht aus dem Weg räumen lässt.

 

Vorn dran sind natürlich die Deutschen, seitdem ein TV-Entertainer mutmaßte, dass es unter seichten Scherzen noch Profunderes geben müsste, die Sinnsuche in die Waden und Füße verlegte und kurzerhand sein Erweckungserlebnis in einem Buch beschrieb.

 

Dabei ist die Pilgerreise zu Ehren des Heiligen Jakob zu allererst mittelalterlichen Prä-Tourismus-Planern und den heidnischen Sarazenen zu verdanken. Die höchst glaubwürdig verbürgte Tatsache, dass der Märtyrer in einer Schlacht zwischen Iberern und Mauren auf Seiten der Rechtgläubigen eingegriffen hat, war nämlich längst in Vergessenheit geraten, als einige findige Bürgermeister auf den Gedanken kamen, zwecks Aufbesserung der kommunalen Finanzen Pilger ins Land zu locken. Ihnen kam dabei entgegen, dass Sultan Saladins Sarazenen gerade Jerusalem von den Kreuzrittern zurückerobert hatten, und somit das eigentliche Mekka des Christentums schwer zugänglich war. Gewallfahrt aber musste werden, und wenn es nicht Ziel A sein konnte, dann eben ein Ersatzort.

 

Es wäre interessant zu wissen, wie vielen der sich hartnäckig der spanischen Sprache verweigernden friedlichen Pilger der landesübliche Ehrentitel des Heiligen bekannt ist: Santiago Matamoros (Jakob der Maurenschlächter)?

 

So zockeln sie brav Hauptverkehrsstraßen entlang, überqueren in Regen und Schnee unbequeme Pässe und lernen die unattraktivsten Vororte zahlloser Orte kennen, denn der Herr hat einige Mühen vor die Erreichung des irdischen Paradieses per Selbstfindung gesetzt. Zwar ließen sich mit Landkarte und Navigationsgerät zweifellos gemütlichere und schönere Routen finden, doch müssten dann die Schafe Gottes von Zeit zu Zeit auf das fatal an die Shell-Reklame erinnernde Emblem an den zahllosen Jakobswegen verzichten. Auch drängen sie sich gern in überteuerten Gemeinschaftsunterkünften zusammen, wo für zwei Euro mehr Einzelzimmer mit Bad bereitstünden. Gemeinsam hockt sich die Herde zum Abendmahl nieder und wird nur laut, wenn ein einzelnes, verloren geglaubtes Lamm mit Verspätung zur Suppe auftaucht.

 

Nach der Pilgermesse in der Kathedrale zu Santiago, dem Zentrum des esoterischen Nepps, könnte man noch weiter zum Kap Finisterre, dem Ende der Alten Welt, ziehen, doch die meisten kehren erschöpft und erleuchtet hinter ihre Schreibtische zurück und buckeln, kriechen und mobben ganz wie zuvor. 

 

06/2013


 

 

IV. Kanarische Lehren

 

Den Medien hierzulande war es zumeist nur eine kurze Meldung wert, und auch das vermutlich nur, weil das atlantische Archipel zu den Lieblingszielen deutscher Urlauber zählt: Nach einer siebenwöchigen Probebohrung knapp 60 Kilometer östlichder Kanaren-Insel Fuerteventura, die etliche Millionen Euro verschlang und bis in eine Tiefe von mehr als 2000 Metern vorgetrieben wurde, brach der spanische Energie-Multi Repsol die Prospektion mit der Begründung ab, die Erdöl- und Erdgasvorräte dort seien zu gering und qualitativ zu minderwertig für eine lohnende Ausbeutung. Bevölkerung und Regionalregierung der Kanarischen Inseln jubelten, uns aber sollte der Vorgang als Anschauungsstück dienen, aus dem wir drei Lehren und ein weitergehendes Fazit ziehen können.

 

Ein Konzern und seine Regierung

 

Wer durch Spanien fährt, kann dem Repsol-Emblem gar nicht entkommen. Das Unternehmen betreibt die meisten Tankstellen im Land, gleichzeitig aber beutet es in der ganzen Welt fossile Lagerstätten aus. Als Wissenschaftler und Fachleute einen Traum hatten, vor Fuerteventura und Lanzarote versteckten sich Erdölvorkommen unter dem Atlantik, mit deren Hilfe Spanien 20 Jahre lang ein Zehntel seines Energiebedarfs decken könne, war Repsol sofort vor Ort. Dass sich drei Viertel der betroffenen Bevölkerung und die Regionalregierung gegen jede Bohrung vor den Inselküsten aussprachen (unterstützt übrigens von den internationalen Reiseveranstaltern), dass die einzigartige Biosphäre der Kanaren, wo jedes Eiland über eine vielfältige, oft endemische Vegetation und vor allem über eine eine reiche Meeresfauna vor den Stränden verfügt, gefährdet würde, dass (angeblich) globaler Konsens zur Energiewende herrscht, störte den Monopolisten nicht, hatte er doch den in Madrid mit absoluter Mehrheit regierenden Partido Popular für seine Ziele instrumentalisiert.

 

Nun gehört das aufsässige kanarische Inselvolk ohnehin nicht zur Lieblingsklientel der Post-Franco-Konservativen vom PP. Es lässt sich von den sozialdemokratischen Konkurrenten des PSOE regieren, und bei den Wahlen zum EU-Parlament erreichte die neue Basis-Bewegung Podemos auf Teneriffa landesweit die besten Ergebnisse nach dem nordspanischen Asturien. So kostete es den Industrieminister José Manuel Soria in Madrid folglich keine große Überwindung, Repsol zu Diensten zu sein und die Bohrungen gegen alle Bedenken zu erlauben.

 

Die kanarische Regionalregierung zog vor ein spanisches Regionalgericht, das die Klage gegen die drohende Umweltzerstörung mit einer bemerkenswerten Begründung abschmetterte: Die Bedenken seien „hypothetischer Natur“. Das ist lupenreine US-Rechtsauffassung, wie sie sich auch bei den TTIP-Verhandlungenin Sachen Verbraucherschutz herauskristallisiert: Solange noch nichts passiert ist, können wir ruhig weitermachen.

 

Die erste Lehre aus dieser ökonomisch-politischen Farce: Der Wille der Menschen, die Natur und das gesunde Rechtsempfinden zählen einen Dreck, wenn es um die Interessen der Unternehmen geht. Die Politiker in den höheren Etagen und - vielleicht zögerlicher, aber doch immer öfter – die Justiz glätten der Wirtschaft das Terrain, wo immer sie es wünscht.


 

Ablehnung der Zentralgewalt

 

Selbst wenn man das Auseinanderbrechen des spanischen Staates nicht wünscht und die möglichen Auswirkungen - auch für die Separatisten – für politisch und kulturell kontraproduktiv hält, muss man konstatieren: Die jetzige Zentralregierung wird in den Comunidades (unseren Bundesländern vergleichbar) zunehmend als arrogantes, autokratisches Vollstreckungsorgan neoliberaler Wirtschaftsinteressen wahrgenommen.

Zwar existieren (noch) keine sezessionistischen Bestrebungen auf den Kanaren, doch das Vorgehen Madrids wirkte auf die Bevölkerung wie eine Entmündigung: Industrieminister Soria disqualifizierte Warnungen des Regionalpräsidenten Paulino Rivero vor den negativen Auswirkungen der Bohrungen auf Umwelt und Tourismus als „Posse“ und ließ die spanische Kriegsmarine auffahren, um Greenpeace-Boote abzudrängen. Der kanarische Landeschef beklagte sich, seine Inseln seien „wie eine Kolonie“ behandelt worden und mahnte: „Wir dürfen weder der Regierung noch Repsol trauen.“

 

Die Mächtigen scheinen aber die Lektion, dass die spanische Einheit durch ihr rücksichtsloses Vorgehen in Frage gestellt wird, nicht gelernt zu haben. Repsol kündigte munter neue Probebohrungen vor Küste von Ibiza im westlichen Mittelmeer an. Was das auf den katalanisch orientierten Balearen auslösen dürfte, können sich die Polit-Strategen in Madrid ohne viel Phantasie ausmalen…

  

Die Bosse irren

 

Die dritte Lehre aus dem Repsol-Debakel lautet schlicht: Gier macht blind. Als hätte die vergebliche Suche der Konquistadoren nach dem sagenhaften Goldland El Dorado nie stattgefunden, lassen sich die heutigen Eroberer, Manager, Financiers und Shareholders von jedem Gerücht, es existiere eine neue Profitmaximierungs-Quelle verführen. Dass eine Bevölkerung vehement protestiert, dass wichtige Ökotope irreversibel zerstört werden, ist ihnen egal. Ihre Staatsregierung wird schon für Legitimierung und Durchsetzung ihrer Interessen sorgen, und ihre Villen stehen sowieso woanders.

 

Es ist diese Bedenkenlosigkeit hinsichtlich der ökologischen Folgen und dier Missachtung des Bürgerwillens, die derzeit die Politik in der gesamten EU kennzeichnet. Und irgendwann werden die Prospektoren irgendwo schon wieder auf lohnende Vorräte fossiler Rohstoffe in sensiblen Landschaften stoßen; und dann geht es lustig los mit dem Braunkohle-Abbau und dem Fracking in Wasserschutzgebieten. Nicht wahr, Herr Gabriel?

 

Der Widerstand wächst

 

Diese hoffnungsvolle Zwischenüberschrift scheint zumindest für Spanien zuzutreffen. Der Protest der kanarischen Bevölkerung geht einher mit dem Erstarken von Podemos (deutsch: Wir können) im ganzen Land, weshalb man sich mit diesem Phänomen, das einen Kontrapunkt zur Ignoranz der Macht darstellt, näher beschäftigen sollte. Erst im Januar 2014 wurde das von 30 NGO-Aktivisten, Sozialwissenschaftlern, Journalisten und Kulturschaffenden unterzeichnete Gründungsmanifest der Bewegung veröffentlicht, nur knapp vier Monate später errang sie, mittlerweile als Partei konstituiert, mit fast acht Prozent der Stimmen fünf Sitze im Europaparlament, inzwischen liegt sie mit fast 30 Prozent vor dem sozialdemokratischen PSOE und dem PP an erster Stelle in den Meinungsumfragen. Die Unterstützung für Podemos kommt aus allen Teilen derBevölkerung, geht quer durch die Altersschichten und Bildungsgrade.

 

Ein Grund dafür ist sicherlich darin zu suchen, dass die großen bürgerlichen Parteien –wie überall auf dem Kontinent – völlig unglaubwürdig geworden sind, ein zweiter, wichtigerer, basiert auf der Tatsache, dass Podemos im Gegensatz etwa zu den zunächst auch schnell erfolgreichen Piraten hierzulande eine sozial-, bildungs-und außenpolitische Programmatik anbietet, während jene glaubten, Medienkultur und Kommunikationsformalismus machten Inhalte überflüssig.

Zu den Schwerpunkten der von dem Politologie-Professor Pablo Iglesias angeführten Alternativpartei gehören die rigorose Umsetzung von § 128 der spanischen Verfassung, dem zufolge aller Reichtum des Landes „dem  allgemeinen Interesse unterworfen ist“, Umleitung von Mitteln in die Bildungspolitik, angemessene (also enorme) Lohnerhöhungen und eine Gesamtschuldentilgung für sowie Wohnungsrückübereignung an die auf die Straße geworfenen Familien, die keine Darlehensraten für ihre Eigenheime mehr aufbringen konnten, weil sie von den Banken mit in den Untergang gerissen wurden.


 

Zudem propagiert Podemos eine harte Politik gegenüber den Erpressungen durch die EU und fordert den Austritt Spaniens aus der NATO. Hier hört für das Imperium der Spaß auf, und es lässt zurückschlagen; zunächst durch die bürgerliche französische Presse, die den Aufstieg von Podemos perfide mit dem des Front National im eigenen Land verglich. Nur vertritt die iberische Basisbewegung in allen gesellschaftspolitischen Fragen das pure Gegenteil der gallischen Le Pen-Gefolgschaft. So heißen die Podemos-Aktivisten  Zuwanderer und Flüchtlinge willkommen und kämpfen für bessere Bildungschancen von Migranten, sie wollen sogar das spanische Ausländergesetz ersatzlos streichen. Mit der klassischen Linkspartei IU verstehen sich die Neuen wesentlich besser als mit den etablierten Wahlvereinen, allerdings wollen sie im Gegensatz zu den auf die staatliche Einheit pochenden Alt-Genossen den Katalanen die Möglichkeit einräumen, per Volksentscheid aus der spanischen Republik auszutreten.

 

Noch ist es zu früh für eine umfassende Beurteilung der Inhalte und Erfolgsaussichten von Podemos – zu stark sind die Manipulationsmöglichkeiten und Absorptionskräfte des Systems. Was aber hoffen lässt, ist eine nicht populistische, sondern durchdacht wirkende Herangehensweise an die Probleme der bislang weitgehend entmündigten Bevölkerungsmehrheit, und der Fakt, dass die Bewegung sich keineswegs geschichtsvergessen zeigt und sich deshalb in der Tradition der einst gegen die Franco-Diktatur kämpfenden Republikaner sieht. Fazit: Es tut sich also etwas angesichts des sozialen und ökologischen Raubbaus in Spanien (und Griechenland),wohingegen in Deutschland alle tief im Koma zu liegen scheinen, abgesehen von den wenigen, die mit Heine seufzen: „Denk ich an Deutschland in der Nacht / Dann bin ich um den Schlaf gebracht…“

 

01/2015





V. Die Gauner von Madrid


 

Armut in Alicante


Aufatmen in der Euro-Zone, zumindest in der Finanzwelt und bei deren Erfüllungsgehilfen, den Politikern in Brüssel und Berlin: Das Sorgenkind Spanien hat unter der rechtskonservativen PP-Regierung Mariano Rajoys die Sparauflagen weitgehend erfüllt, die Sozialabgaben gekappt und Privatisierungen eingeleitet – ganz so, wie die EU-Kommission und die internationalen Geldgeber es befahlen. Und tatsächlich wächst die Wirtschaft wieder, wenn auch nicht unbedingt im Land selbst. Wie hoch der Preis dafür ist und wer ihn letztendlich zu begleichen hat, steht auf einem anderen Blatt (allerdings selten in unseren um das Wohl des Euro besorgten Gazetten).

 

Die Opfer der Heilung

 

Wolfgang Schäuble schaut mit Stolz nach Spanien: Ganz in seinem Sinne hat die Regierung in Madrid den Arbeitsmarkt zur Hire-and-Fire-Zone mit viel Befristung, Teilzeit und Leiharbeit, aber nur noch wenig regulärer Beschäftigung „liberalisiert“, Subventionen im sozialen und Ausgaben im infrastrukturellen Bereich gekürzt oder ganz liquidiert, Renten und Arbeitslosengeld unter das Existenzniveau gedrückt. Zwar reicht das der EU-Kommission noch immer nicht, so dass sie weitere Einschnitte im öffentlichen Sektor fordert, aber wenigstens hat Mariano Rajoy nicht wie sein wenigstens anfänglich renitenter griechischer Kollege Tsipras rebelliert. Er ist als Protagonist einer Post-Franco-Partei eben Kadavergehorsam gewohnt.

 

Und tatsächlich: Die Konzerne, befreit von den Fesseln der Arbeitsgesetze (was sie nicht daran hindert, immer mehr Produktion in Niedriglohn-Staaten zu verlegen), steuerlich im Gegensatz zur Bevölkerung begünstigt und nach Übernahme profitträchtiger öffentlicher Aufgaben gestärkt, verdienen wieder. Die Banken, die mittels ihrer hemmungslosen Kreditvergabe für den Erwerb überteuerter oder sogar illegaler Wohnobjekte die ganze Immobilienblase und damit die Krise überhaupt erst verschuldet hatten, dann durch Bürgergeld mühsam am Leben gehalten wurden, widmen sich nun von Neuem ungestört ihrem Hasardspiel, als sei nichts gewesen. Darüber freut man sich im Berliner Finanzministerium und in der Brüsseler EU-Zentrale, wo andere Nachrichten aus demselben Land auf keinerlei Interesse stoßen: Die Erwerbslosenquote in Spanien hat mit 21 Prozent den höchsten Stand seit beinahe 50 Jahren erreicht, und fast die Hälfte der Menschen zwischen 17 und 25 Jahren ist arbeitslos. So sieht die Sanierung eines Landes à la Schäuble respektive im Dienste des internationalen Kapitals also aus...

 

Die von den EU-Finanzstrategen erzwungenen Einschnitte in die Grundversorgung und die Infrastruktur schränken die Qualität (und wohl auch die Dauer) des Lebens vieler Bürger auf unterschiedliche Weise ein: Das bislang hervorragend funktionierende öffentliche Gesundheitswesen wird krankgespart, zerstückelt und – soweit die  Häppchen private Gewinne versprechen – auf dem Markt kapitalisiert. Kranke müssen auf Operationstermine warten, Krebspatienten werden teure Medikamente vorenthalten, und die derzeit hohe Lebenserwartung der Spanier (bei den Männern Spitze in Europa) wird in einigen Jahrzehnten nur noch Geschichte sein. 


Zugleich werden Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr abgeschafft. So strichen etwa die Behörden der dünnbesiedelten Provinz Teruel im Süden Aragons die Mittel für einzige Buslinie, die mehrere Gebirgsorte mit den wenigen größeren Städten der Region verband. Familien ohne PKW, Alte und sozial Schwache werden so zu Gefangenen der eigenen abgelegenen Dörfer. 

 

Auf den Straßen spanischer Städte sieht man immer mehr Bettler (deren Anzahl früher weit unter dem deutschen Level gelegen hatte) – neben andern Gründen auch eine Folge gesetzlich erleichterter Wohnungsräumungen. Mit Kurzbeschreibungen ihrer Misere auf Karton stehen sie vor Kaufhäusern und Supermärkten oder versuchen – quasi als traurige Karikaturen der Erwerbs- und Handelsgesellschaft – einzelne Päckchen mit Papiertaschentüchern für 50 Cent oder einen Euro zu verkaufen. In einem Land, dessen Bevölkerung sehr auf Diskretion und Zurückhaltung achtet, ist dies ein beängstigendes Zeichen.

 

Während Großbritannien das 400. Todesjahr des Dramatikers Shakespeare mit viel Pomp und einigem Nachdenkenswertem feiert, haben die offiziellen Stellen in Spanien für dasselbe Gedenkjahr des einflussreichsten Romanautors der Geschichte, Miguel de Cervantes, weder Interesse noch Geld oder Zeit übrig. Dabei hätte man den Abgesang auf die edlen Tugenden des Rittertums ebenso wie die Phantasmagorien seines Don Quijote trefflich als allegorische Vorwegnahme des Endes jeglicher wirtschaftlicher Redlichkeit und der Phantome heutiger Globalisierungsstrategen deuten können. Bislang habe keine spanische Regierung je viel für Kultur übriggehabt, monierte der Schriftsteller Perez-Reverte, die jetzige aber hasse Kunst und Literatur geradezu. Man kann diese Aversion auch als Symptom für den Verfall interpretieren: Wo die ökonomische Basis des Bürgertums zur Spielwiese für die Spekulanten der Finanzmärkte verkommt, ist ein geistiger Überbau nicht mehr nötig. 

 

Gesetze brechen – Gesetze machen

 

Dass es den bis vor wenigen Monaten mit absoluter Mehrheit regierenden Rechtskonservativen von der PP so leicht fiel, die legalistischen Grundlagen für die Verelendung weiter Kreise der Bevölkerung zu schaffen, ist kein Wunder. Mit Gesetzen kennen sie sich aus – sie haben sie oft genug gebrochen. Gerade erst musste Industrieminister Soria gehen, weil sein Name im Zusammenhang mit einer Briefkastenfirma in den Panama Papers auftauchte. Frei erfunden, behauptete der Beschuldigte zunächst keck, bevor einen Tag später ruchbar wurde, dass sein Vater der Eigentümer des Verdunklungsobjekts war und er selber Zuwendungen aus Mittelamerika bezogen hatte.

 

Im vorigen Monat ließ die Justiz die Parteikonten der PP in Valencia wegen Schwarzgeldverdachts sperren. Zur gleichen Zeit wurde mitsamt einigen Unternehmern und einer im Stadtrat sitzenden Parteifreundin der amtierende PP-Bürgermeister von Granada, Torres Hurtado, verhaftet. Er hatte wohl für illegale Baugenehmigungen in Naturschutzgebieten die Hand aufgehalten. Im letzten Jahr musste die PP-Gesundheitsministerin nach Korruptionsvorwürfen zurücktreten, und bislang fanden sich bereits drei ehemalige Schatzmeister der Regierungspartei auf der Anklagebank wieder.

 

Einer von diesen, der damals mächtige Chefadministrator der PP, Luis Bárcenas, war vor drei Jahren die Schlüsselfigur in einem Skandal, dessen Folgen für die PP bis heute nicht ausgestanden ist. Über einen langen Zeitraum hinweg waren etliche Politiker der Partei von Bauunternehmern geschmiert worden. Insgesamt wurden 43 Funktionäre und Wirtschaftsbosse angeklagt. Die Mitwisserschaft des stets etwas linkisch und zerzauselt auftretenden Ministerpräsidenten Rajoy gilt als sicher, ebenso, dass er selbst jährlich 25.000 Euro von Bárcenas angewiesen bekam (eher bescheiden für seine leitende Position!).      

 

Schäubles Verbündete

 

Die PP („Volkspartei“) hat sich nicht nur wegen der allgegenwärtigen Nähe zum Finanz-Gangstertum eigentlich für alle demokratischen Bündnisse disqualifiziert, sie betreibt – historisch gesehen – auch eine Fortsetzung des Faschismus mit bürgerlichen Methoden. Zwar bemühte sich auch in Deutschland nach dem Ende der Hitler-Diktatur vor allem die Adenauer-Union energisch um eine Wiedereingliederung alter Nazis in möglichst hohe strategische Positionen, doch kann man der CDU nicht vorwerfen, in personeller Hinsicht eine reine Nachfolge-Organisation der NSDAP gewesen zu sein. In Spanien hingegen gründeten Francos alte Gefolgsleute nach dem Umbruch flugs die Alianza Popular (später in PP umbenannt).


Erster Generalsekretär wurde Fraga Iribarne, der sechs Jahre lang dem Diktator als Minister gedient und (dafür?) auch das deutsche Bundesverdienstkreuz erhalten hatte. Er blieb eine Zeit lang die graue Eminenz der Partei, bis er in dieser Position von José Maria Aznar, der es vom Leiter der Jung-Franquisten (sozusagen dem HJ-Führer Spaniens) zum PP-Ministerpräsidenten zwischen 1996 und 2004 brachte, beerbt wurde. Aznar, der Gönner Rajoys, selbst in der PP noch am rechten Rand angesiedelt und derzeit der Steuerverkürzung bezichtigt, gilt vielen auch heute noch als Mentor und Strippenzieher der Partei. Übrigens gehörten etliche Kabinettsmitglieder wie schon unter Franco dem katholischen Laienorden Opus Dei an, einer vom desertierten deutschen Papst Benedikt favorisierten rechtsradikalen Loge mit enormem Einfluss.

 

Die Sparsamkeit und Vernunft solcher Leute bzw. ihrer Nachfolger wird in den Wirtschaftsteilen der Qualitätspresse immer wieder hervorgehoben. Sie sind Schäubles und Junckers natürliche Verbündete im Kampf um eine stabile Absicherung der Markt- und Bankenhoheit und gegen die sozialen Ansprüche der Bevölkerung eines Landes. Um Schuldner-Disziplin und Freifahrt für Geierfonds garantieren und die Fiktion eines Finanzsystems ohne tatsächliche materielle Fundierung aufrechterhalten zu können, müssen unsere verantwortlichen Wirtschaftslenker auch mal mit korrupten Semi-Faschisten zusammenarbeiten. Und sollte die PP, deren Chef Rajoy Umfragen zufolge mittlerweile der unbeliebteste Spitzenpolitiker Spaniens ist, bei den Wahlen im Juni abgestraft werden, bliebe immer noch die sozialdemokratische PSOE als Notnagel. Deren Funktionäre und Mandatsträger, rechtsgewendet und opportunistisch wie ihre deutschen Genossen, waren während der Immobilien-Blase auch in etliche Skandale verwickelt.

 

05/2016




VI. Ein kleiner Franco


Üblicherweise sind die Bewohner der iberischen Halbinsel für ihre Ruhe und Gelassenheit bekannt. Sie reagierten nicht hysterisch wie andere Europäer auf Migranten aus Afrika und Lateinamerika, Rassisten und rechtsextreme Populisten bekamen keine Chance – welch Wohltat angesichts anderer in Chauvinismus abdriftender EU-Länder. Dann aber die Prügelszenen in Katalonien: Wie immer man zum Unabhängigkeitsstreben der nordwestlichen Communidad steht – mit extremer Polizeigewalt lassen sich separatistische Strömungen nicht unterdrücken. Genau das aber versucht die nationalkonservative Regierungspartei Partido Popular (PP) unter einem Ministerpräsidenten, der bisweilen etwas linkisch wirkt, im Notfall aber bedenkenlos auf die Guardia Civil setzt wie einst der Generalissimo.


Randfigur in allen Skandalen


Durch die Blume drohte Seine Nutzlose Repräsentanz König Felipe von Spanien der katalanischen Regionalregierung mit der Absetzung und der Installierung einer zentralistischen Vormundschaft für die aufmüpfige Autonome Gemeinschaft zwischen der Costa Brava und den Pyrenäen. Der spanische Staat müsse für eine verfassungsmäßige Ordnung und Rechtsstaatlichkeit in Katalonien sorgen, erklärte der jüngste Hauptspross einer von Korruption und Skandalen gezeichneten Dynastie.

Rund 900 Verletzte, die ärztlich versorgt werden mussten, ein Geisterspiel des FC Barcelona und ein weitgehend erfolgreicher Generalstreik waren nur einige der Ergebnisse einer Gewaltorgie, die Polizei und Guardia Civil entfesselten, um ein Unabhängigkeitsreferendum zu verhindern. Damit hätten die Sicherheitskräfte nur „ihre Pflicht“ getan, sagte Ministerpräsident Mariano Rajoy und schwadronierte markig: „Der Rechtsstaat bleibt mit all seiner Stärke in Kraft.“ Wenn Knüppel und Gummigeschosse eingesetzt werden, um Menschen von einer vielleicht nicht durchweg korrekten, aber immerhin friedlichen Abstimmung abzuhalten, könnte man zweifeln, ob die Verfassung, die besagtem Rechtsstaat zugrunde liegt, das Papier, auf dem sie gedruckt wurde, noch wert ist.


Wer ist dieser martialische Regierungschef, der die separatistische Stimmung weiter anheizt, statt eine Untersuchung der Vorgänge einzuleiten? Mariano Rajoy steht der „Volkspartei“ vor, die blitzschnell vom Faschismus zum Nationalkonservatismus konvertierte und, damals noch Alianza Popular betiteltpersonell weitgehend an die Franco-Ära anknüpfte. Sie war in die meisten großen Wirtschafts- und Korruptionsskandale der neueren spanischen Geschichte, ob es nun um illegale Bautätigkeit, Vorteilannahme im Amt oder Steuerhinterziehung ging, involviert. Auch Rajoy stand auf der Lohnliste zwielichtiger Geschäftsleute, wenn auch weit hinten, ganz so, als hätten sie ihn eher für zweitrangig gehalten. Das änderte sich, als PP-Ministerpräsident Aznar, einst Führer der Jung-Franquisten, zuletzt als Steuerverkürzer aktenkundig, ihn zu seinem Nachfolger aufbauen wollte. Doch die ganz große Karriere Rajoys startete 2004 als Rohrkrepierer und – zur Abwechslung mal – mit einem Polit-Skandal.

  

Wenige Tage vor den Parlamentswahlen wurden mehrere blutige Terroranschläge von Islamisten auf Vorstadtzüge in Madrid verübt. Die PP-Führung versuchte, daraus Kapital für den Urnengang zu schlagen, und schob wider besseres Wissen der baskischen ETA, die von ihr mit allen legalen und illegalen Mitteln bekämpft wurde, die Taten in die Schuhe. Die Lüge flog auf, und der eigentlich favorisierte Kandidat Rajoy verlor die Präsidentschaftswahl krachend. Erst 2011 war es dann so weit: Die PP löste die wie ihre Schwesterparteien in den meisten europäischen Ländern  abgewirtschaftete sozialdemokratische PSOE an der Regierung ab, und seitdem ist der Tölpel von einst Ministerpräsident und der Musterknabe der von der Bundesregierung diktierten EU-Austeritätspolitik. Zwar nahm das spanische Wirtschaftswachstum zu, doch profitierte das Gros der Bevölkerung kaum davon. Rajoy „rettete“ die Banken, zerschlug und privatisierte teilweise das bis dato vorbildliche öffentliche Gesundheitssystem und "liberalisierte" den Arbeitsmarkt für Kurzzeit-Ausbeuter und Lohndrücker. Millionen von Spaniern sind in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt, viele Jugendliche haben überhaupt keinen Job, und ernsthaft krank werden sollte besser niemand mehr ohne genügend Rücklagen.


Dieser Mann mit den Flecken der Bestechlichkeit auf seiner Amtsweste, im Dunstkreis der Franco-Epigonen politisch sozialisiert, spricht nun von Rechtsstaat und Verfassung. Dem entgegnet der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont: „Wir haben das Recht gewonnen, einen unabhängigen Staat zu haben.“ Doch ganz so einfach ist das nicht. Auch die Separatisten wissen zu täuschen und zu tricksen.


Parzellierter Nationalismus


Der Separatismus in Europa ist ein Rückfall in die Zeiten chauvinistischer Abgrenzung vom Fremden, sogar von anderssprachigen Nachbarn. Dies gilt ebenso für den „Nationalismus der Regionen“, auch im Fall Kataloniens. In den letzten Jahren hörte man in Barcelona oder Girona mitunter diskriminierende Äußerungen über Menschen aus anderen Landesteilen: Die im Süden seien faul und korrupt; selbst die dunklere Hautfarbe der Andalusier wurde bemängelt. In manchen Banken und Läden beschied man Landsleute von auswärts, man spreche hier kein Spanisch, sondern nur Katalanisch. Doch war solche Überheblichkeit nicht sehr weit verbreitet, und auch heute ist keineswegs sicher, dass die Nationalisten, die in ihrer Hybris am liebsten ein Groß-Katalonien unter Einbeziehung der Balearen, Valencias, Andorras sowie von Teilen Aragons und Südwestfrankreichs fordern würden, eine qualifizierte Mehrheit für die staatliche Unabhängigkeit finden würden.


Mit den Abstimmungen in Katalonien ist das nämlich so eine Sache. Auch die jüngste genügte nicht den üblichen demokratischen Prinzipien, was das Wählerregister, ein Quorum oder die Überprüfbarkeit der Ergebnisse betraf. Und 90 Prozent pro Eigenstaatlichkeit lesen sich beeindruckend, wenn man außer Acht lässt, dass nur 40 Prozent der Wahlberechtigten abgestimmt haben, was wiederum bedeuten würde, dass nur 36 Prozent der Gesamtheit die Trennung von Spanien befürworteten. Nun mag man einwenden, dass die polizeilichen Repressionen eine höhere Beteiligung verhindert hätten. Genauso möglich und nach früheren Ergebnissen fast wahrscheinlicher ist aber die Annahme, dass die Sezessionsgegner den Urnengang von vornherein boykottiert hatten.


Bereits im November 2014 hatte eine Abstimmung zum gleichen Thema stattgefunden. Von 5,4 Millionen Wahlberechtigten hatten 41 Prozent die Stimme abgegeben, wovon wiederum 80 Prozent für die Loslösung von Spanien votierten. Fragwürdig wird diese Zahl allerdings, wenn man berücksichtigt, dass bei den vorhergegangenen allgemeinen Wahlen 6,2 Millionen Wahlberechtigte gezählt wurden. Da zuvor schon Umfragen eine Mehrheit für den Verbleib bei Spanien signalisiert hatten, liegt der Verdacht nahe, dass die separatistische Regierung in Barcelona das Wählerverzeichnis ein wenig frisiert und verkürzt hatte. Andernfalls hätte sie nach der Wahl eingestehen müssen, dass sich nur rund 30 Prozent der Gesamtbevölkerung aus der spanischen Nation verabschieden wollten (eine Zahl, die sich allerdings dank Rajoys Ignoranz zuletzt erhöht haben könnte).


Dass es die Regierungen in Barcelona nicht immer ganz genau mit der Wahrheit, dem soliden Haushalten und der Unbestechlichkeit im Amt gehalten haben, ist seit langem bekannt. In einer Landkarte der Korruption in Spanien, die El Pais veröffentlichte, nahm Katalonien einen der prominenten Ränge ein, während die gescholtenen „Südstaaten“ Andalusien, Extremadura und La Mancha weit hinten platziert waren. Und dann erst der Fall Pujol, der selbst die Dreistigkeit und Gier der PP-Granden fast in den Schatten stellte: 23 Jahre lang hatte Jordi Pujol an der Spitze der nationalistischen Partei CiU (rechtsbürgerlich), die sich mittlerweile aufgelöst hat,  der übrigens auch Chef-Separatist Puigdemont entstammt, Katalonien paternalistisch wie ein Landgut regiert, doch jetzt ermittelt seit 2014 die Polizei gegen ihn, seine sieben Kinder und die Gattin wegen Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Korruption.


Katalonien ist die stärkste Wirtschaftsregion in Spanien, liegt beim BIP pro Einwohner an vierter Stelle hinter Madrid, dem Baskenland und Navarra, weist aber auch mit 73 Milliarden Euro die höchste (und rasant weiterwachsende) Verschuldung im ganzen Land auf. Da kommt der Verdacht auf, manche Katalanen wollten ihren relativen Wohlstand nicht mit ärmeren Nachbarn teilen – wie etwa Bayern hierzulande, das den Länderfinanzausgleich als sozialistischen Raubzug desavouiert. Die katalanischen Separatisten berufen sich bei ihrer Absetzbewegung vorsichtshalber lieber auf ihre ethnische, kulturelle und sprachliche Identität. Dabei besteht das Volk der iberischen Halbinsel spätestens seit der Ankunft der Mauren vor 1300 Jahren aus einer beneidenswert vielfältigen Mischpoke von Kelten, Römern, Goten, Juden, Basken, Berbern und Arabern. Und seit Jahrzehnten wird in Spanien niemand mehr wegen seiner Sprache (das katalanische Idiom ist übrigens ein Mischlingskind aus Spanisch und Okzitanisch), seines Lokalpatriotismus oder seiner sexuellen Ausrichtung unterdrückt. Als 2007 die Frankfurter Buchmesse in zumindest fahrlässiger Manier Katalonien zum „Gastland“ erhob, durften oder mochten die meisten berühmten Autoren der Gemeinschaft wie Chirbes, Zafron oder Marsé nicht an den Main kommen – weil sie ihre Werke auf Spanisch verfasst hatten.


Derzeit wollen die meisten politischen Parteien in Madrid (und einige in Barcelona) das Land zusammenhalten, darunter auch die linke Bewegung Podemos, die allerdings eine freie Entscheidung der Bevölkerung im Falle Kataloniens befürwortet (wäre mit validen Kriterien beizeiten wohl der gangbarste Weg gewesen).


Das Ziel meist rechter Sezessionisten in Europa (Schottland sei ausgenommen) ist es, aus etlichen Mehrvölkerstaaten viele Einvolkstaaten zu machen, auf dass sich Chauvinismus und Abgrenzungswahn potenzieren. Obwohl sie auch von manchen linken Kräften in der Heimat unterstützt werden, verbünden sich die katalanischen Nationalisten im EU-Parlament mit Parteien, die in ihrem Restaurationseifer braune Linien überschreiten, etwa mit der Süd-Tiroler Freiheit (Slogan: „Heute Katalonien, morgen Süd-Tirol!“) oder Vertretern der magyarischen Minderheit in Rumänien, die ein Groß-Ungarn propagieren und einstige Nazi-Kollaborateure ehren. Die Schrebergarten-Selbstsucht, auch in Flandern oder der Lombardei, wächst, bis die einzelnen für die Kleinstaaterei auserkorenen Beete – wie in Jugoslawien mit bundesdeutscher Unterstützung geschehen – in Flammen aufgehen.


In dieser Zeit brauchten die katalanischen Rebellen in eigen(süchtig)er Sache einen verlässlichen Verbündeten, einen, der den Buhmann gab und die Gewalt entfesselte, einen wie Mariano Rajoy, der zunächst jeden Dialog ablehnte und der, als er fünf Tage später endlich eine laue Entschuldigung für den Polizeiterror folgen ließ, diese sogleich mit neuen Drohungen verknüpfte. Und der etwas getan hatte, was wohl auch in allen anderen Communidades als Todsünde empfunden worden wäre: Er hatte die Guardia Civil auf Abstimmungswillige gehetzt…


Gespenster der Vergangenheit


Mit dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs 1939, das die wenigsten heute lebenden Katalanen noch miterlebt haben, hörte der Terror der siegreichen Faschisten nicht auf, und Franco, von der typischen Paranoia des Alleinherrschers besessen, ließ weiterhin Tausende von vermeintlichen und tatsächlichen Gegnern wegsperren oder hinrichten. Besonders betroffen waren die Gemeinschaften, die sich mit aller Energie gegen seine Machtübernahme gewehrt hatten, neben Katalonien etwa das Baskenland, Asturien und die Mancha. Vor allem in den ländlichen Gebieten hatte die Repression, die bis in die 1970er Jahre dauerte und daher sehr wohl noch vielen Opfern und Bedrohten in Katalonien und anderswo erinnerlich ist, einen Namen und ein martialisches Aussehen: Guardia Civil.


Die Angehörigen der bereits 1844 gegründeten paramilitärischen Polizeitruppe, schwerbewaffnet und mit einem merkwürdig flachem Lack-Tschako behelmt, werden selten an ihren Heimatorten eingesetzt, sondern dienen – oft mit ihren Angehörigen kaserniert – in ihnen unvertrauten Regionen wie Fremdenlegionäre im eigenen Land (womöglich um eine Fraternisierung mit den Ansässigen zu vermeiden). Franco setzte sie gegen jegliche Opposition ein, und ihre Brutalität war legendär. Wohl nirgendwo in Europa dürften Sicherheitskräfte derart verhasst sein wie die spanischen Zivilgardisten. Nach Francos Tod 1975 und dem allmählichen Übergang zur bürgerlichen Demokratie bildete die Guardia Civil, die trotz ihrer Mord- und Foltervergangenheit als Institution unangetastet blieb, eine Art Staat im Staat mit beträchtlichem Verschwörungspotential.


Am 23. Februar 1981 putschten Einheiten der Guardia Civil unter Oberstleutnant Antonio Tejero gemeinsam mit einigen Meuterern der Armee gegen die gewählte Regierung. Tejero gelang es sogar, das Parlament in Madrid zu stürmen und die Abgeordneten kurzzeitig als Geiseln zu nehmen. Nachdem loyale Heereseinheiten dem Spuk ein Ende bereitet hatten, durfte die Guardia Civil im Wesentlichen so weitermachen wie bisher: gefürchtet und mit dem Habitus eines militärischen Geheimordens.


Wie viel Ignoranz oder aber Skrupellosigkeit gehört dazu, ausgerechnet diese blutbefleckten Gespenster aus anderen Landesteilen in das einst von Franco gepeinigte Katalonien zu entsenden, um – ganz wie früher – jede wie auch immer geartete Artikulation abweichender Meinungen zu unterbinden?

  

Wie man eine Nation spaltet


Mariano Rajoy ist weder in seiner Durchsetzungskraft noch in seiner negativen Wirkungsmacht mit dem Generalissimo vergleichbar. Allerdings ähnelt er ihm in der Beschränktheit des geistigen Horizonts und in der Bedenkenlosigkeit bei der Anwendung brachialer Mittel. Nur haben sich die Zeiten geändert, und wo der eine mit tödlicher Gewalt und eiserner Faust das Land, das er zuvor mit einer Blutspur überzogen hatte, zusammenhielt, spaltet nun der andere Spanien durch sinnlose Unterdrückung regionaler Dissidenten. Denn auch in anderen Gemeinschaften, im Baskenland sowieso, in Galizien und neuerdings auch auf den Kanaren und Balearen gärt es angesichts des sturen Zentralismus der PP-Regierung in Madrid.


Vereinfacht gesagt: Rajoy macht die Separatisten erst richtig stark, weil es immer schwieriger für vernünftige Föderalisten wird, die Zugehörigkeit ihrer Regionen zum von einem solch mediokren Rambo geführten Nationalstaat zu verteidigen. Dabei hatten auch die Sezessionisten im jüngsten Fall inhaltlich wenig zu bieten: Bislang argumentierten die Unabhängigkeitsbefürworter damit, Katalonien sei vor 300 Jahren unrechtmäßig dem spanischen Reich einverleibt worden. Tatsächlich hatte Philipp von Anjou 1714 Barcelona eingenommen und die Provinz mit dem Entzug der Souveränität hart bestraft Allerdings hatten die Katalanen im damaligen Erbfolgekrieg weniger für die eigene Autonomie als vielmehr für den falschen Thronprätendenten, den Habsburger Erzherzog Karl, gekämpft. Wollte man solche Ungerechtigkeiten revidieren, müsste man die europäische Landkarte völlig umgestalten. 


Jetzt aber wird den Sezessionisten quasi ein fleischgewordenes Argument geschenkt: Ministerpräsident Mariano Rajoy in seiner unglaublichen Verbohrtheit. Die Schriftstellerin Almudena Grandes fand in der SZ  für die Hardliner beider Seiten im Kampf um Katalonien die richtigen Worte: „Ein Bürgerentscheid ohne Regeln, ohne Festlegung einer Mindestbeteiligung, ohne gleichzeitige Festlegung einer signifikanten Mehrheit für die Annahme des Referendums kann schlichtweg nicht den Willen des Volkes abbilden“, warf sie den Separatisten vor. Die Regierung Rajoys hingegen klagte sie „unfassbarer Arroganz, Kurzsichtigkeit und Borniertheit“ an. Diese gehe vor „wie ein pyromanischer Feuerwehrmann“, der „Öl ins Feuer“ gieße.


10/2017





Banksy versus Franco















Ein "echter Banksy" oder eine clevere Fälschung?

Die bildende Kunst scheint sich dem Markt bedingungslos unterworfen zu haben, liefert in der „Weltspitze“ den Superreichen Spekulationsobjekte und glänzt ansonsten meist durch Beliebigkeit. Im nordwestspanischen Ferrol, wo der Langzeit-Diktator Franco geboren wurde, ist nun allerdings ein politisch-provokatives Kunstwerk zu besichtigen, das von dem geheimnisumwitterten englischen Graffiti-Artisten Banksy stammt. Oder auch nicht.


Ein Stadtviertel setzt auf Graffiti


Die galicische Küstenstadt Ferrol hat schon bessere Zeiten gesehen, wie das imposante Marine-Arsenal und das elegante Restaurant- und Ladenviertel Magdalena unweit der Meerespromenade, das Restaurants und Kaffeehäuser, die sich auch in Wien oder Buenos Aires sehen lassen könnten, beherbergt, bezeugen. Ferrol, das waren aber auch immer Industrie, Werften, Hafenbetrieb, Sparten also, die in Spanien schwächeln oder gar verschwinden. Und so schrumpfte die Stadt, die von der euro-spanischen Wirtschaftskrise besonders getroffen wurde, seit 1981 um fast ein Viertel, ist die Zahl der Einwohner von fast 90.000 auf heute gut 67.000 zurückgegangen, die – soweit sie erwerbstätig sind – in überwältigender Mehrheit als Dienstleistende arbeiten und nicht mehr in der Fertigung.


Lange Zeit hatte Ferrol einen schlechten Ruf, wenn auch nicht ganz zu Recht. Ihm wurde nämlich 1938 von Franco der Beiname Ferrol del Caudillo verliehen, ein Attribut, das es erst 1982 wieder loswurde. Dabei hatten Republikaner, Matrosen und Militärs gerade in der Geburtsstadt des Führers drei Tage lang im Juli 1936 erbittert, aber letztendlich erfolglos Widerstand gegen die putschenden Truppen geleistet, die ansonsten ganz Galicien mühelos überrannten. Der Konteradmiral Antonio Arazola – wenigstens hier sei sein weithin vergessener Name erwähnt – weigerte sich, die Franquisten zu unterstützen, und wurde von ihnen am 4. August in der Kaserne Dolores (deutsch: Schmerzen) liquidiert.


Und auch heute regt sich in Ferrol Widerstandgeist, diesmal gegen den scheinbar unausweichlichen Niedergang. Ein Beispiel dafür ist besonders unkonventionell, verbindet es doch das sichtbare Karma eines vernachlässigten Stadtteils mit der Kreativität eines geheimnisumwitterten, nie ganz greifbaren Künstlers. Banksy, der große Unbekannte der internationalen Kunstszene, sollte mit seiner provokativen Deutung der Welt einem dahindämmernden Wohnquartier neues Leben einhauchen.


Der bekannteste Anonymus der Welt


Nur ein paar Meter oberhalb der edlen Fußgängerzone Magdalena offenbart das Viertel Canido mit seinen alten ein- bis zweistöckigen Häusern, deren erhaltenswerte Bausubstanz der Pflege bedürfte, den leicht heruntergekommenen Mietskasernen, den von üppigem Grün überwucherten Ödflächen und den krummen Straßen schlampigen Charme. Canido ist kein Slum, auch kein ausgesprochenes Prekariatsquartier, aber es wirkt ein wenig vernachlässigt. Eine Gruppe von Künstlern und Intellektuellen wollte das nicht länger hinnehmen und organisierte ein Stadtteil-Festival, das frei nach einem Gemälde des großen Velázquez „Meninas de Canido“ getauft wurde und jährlich bis zu 35.000 Besucher anzog. Die wichtigsten Attraktionen bilden überdimensionale Arbeiten illustrer Graffiti-Artisten, die öde Hauswände in farbenprächtige Leinwände verwandelten.


Doch die Aktivisten wollten weltweite Aufmerksamkeit für ihre urbane Kampagne, ließen sich von einer galicischen Brauerei das kleine Haus Nr. 23 in der Straße Muiña do Vento zur Verfügung stellen und reservierten eine Mauer für Banksy, was sie in internationalen Blättern wie Le Monde, der Times oder dem Corriere de la Sierra kundtaten. Nach fast einem Jahr des Wartens war es dann im April 2018 so weit: Über Nacht war ein etwa lebensgroßes Graffiti, signiert von dem wohl global einflussreichsten Protagonisten der Street Art, entstanden. Doch nun streiten Feuilletonredakteure und Kunstwissenschaftler in den Zeitungen darüber, ob das Wandbild tatsächlich als erster „echter Banksy“ in Spanien von dem sagenumwobenen Briten stammt oder ob es sich – wie vor einigen Jahren bei einem Pendant in San Sebastian – um eine Fälschung handelt.


Banksy, von dem man nur sicher zu wissen glaubt, dass er 1974 in Bristol geboren wurde, hüllt sich wie üblich in Schweigen. Der Künstler hat Gebäude auf allen fünf Kontinenten im Schutze der Nacht – oft mit ironischen Zitaten – verziert und Albumhüllen entworfen. Während er für NGOs wie Amnesty International kostenlos arbeitet, verweigert er sich dem Kunstmarkt ebenso wie den Medien. Als Werke von ihm plötzlich auf Auktionen Preise von einer halben Million pro Stück erzielten, verscherbelte er Bilder an nichtsahnende Interessenten für eine Handvoll Dollar.


Manchmal treiben ihn die pure Provokation und die Lust am Nonsens um, aber oft setzt er auch politische Akzente. So betreibt er mit Partnern in Jerusalem ein Hotel an der Demarkationslinie zwischen dem Ost- und dem Westteil der Stadt, das damit wirbt, die „schlechteste Aussicht der Welt“ zu bieten. Touristen, explizit auch israelische, sollten sehen, in welch miserablen Verhältnissen die Palästinenser leben müssen.


Auch das Motiv in Ferrol – sei das Graffiti nun von Banksy selbst oder nur „in seinem Geiste“ gefertigt – ist als deftiger illustrierter Kommentar zur spanischen Vergangenheit und ihrer unzureichenden Aufarbeitung zu deuten.

            

Ob echt oder nicht – der Hieb sitzt


Zwei Angehörige der gefürchteten Guardia Civil knutschen sich innig unter ihren schwarzen Lack-Tschakos ab. Die paramilitärische Polizeitruppe diente einst Franco als Repressionsinstrument gegen alle, die er für Linke und/oder Demokraten hielt, war als Speerspitze in den Februar-Putsch 1981 gegen die gewählte Regierung Suárez involviert und gilt heute noch als geheimbündlerischer und erzreaktionärer Staat im Staate.


Zwei der Macho-Lieblinge des ultrakatholischen und homophoben Diktators Franco ausgerechnet an seinem Geburtsort in zärtlicher Pose abzubilden, konterkariert als hintergründiger, subversiver Gag all das Restaurative, Verklemmte und Faschistoide, das in der spanischen Gesellschaft, insbesondere in der gerade nach Korruptionsskandalen aus der Regierung entfernten Volkspartei (PP), immer noch latent vorhanden ist. Insofern könnte man dem Anonymus aus Bristol die Urheberschaft durchaus zutrauen.


Eigentlich aber ist es egal. War es Banksy, dann hat er sich glänzend in die spanische Befindlichkeit eingefühlt. War er es nicht, dann haben andere Unbekannte in seinem Stil einen gelungenen Hieb gegen überkommene Autoritäten geführt. Die Bürger von Canido und von ganz Ferrol freuen sich jedenfalls mehrheitlich über neue Farbe an den Häuserwänden und ein wenig mediale Aufmerksamkeit.

 

07/2018






VIII. Vom Umgang mit Heroen



Jedes Land hat die Helden, die es verdient. Umgekehrt geht jedes Land auch mit Heroen, die so hehr wohl nicht wirkten, unterschiedlich um. So zieren beispielsweise Deutschlands Straßen immer noch zahllose Schilder mit berüchtigten Namen. In Südspanien lässt sich beobachten, wie das Gedenken an einen höchst umstrittenen Vorfahren auf eine ambivalente und teilweise originelle Weise gepflegt wird.


Krieger, Mörder, Antidemokraten


Die Siegessäule in Berlin ist so ein Beispiel für monumentalen Chauvinismus. Die preußisch-deutschen Kantersiege über Dänemark, Österreich und Frankreich im späten 19. Jahrhundert wurden als Triumphe germanischen Übermenschentums dargestellt – Kaiser Wilhelm Zwo und Adolf Hitler erfreuten sich daran und wurden davon wohl auch zu fatal endenden Fortsetzungen teutonischen Kriegstreibens animiert.


Vielleicht schlimmer noch, da irgendwie in das Alltagsleben integriert, ist die Namensgebung von Straßen und Plätzen nach schwer belasteten Militaristen und sogar der persönlichen Schuld am Aufkommen des Nationalsozialismus überführten Personen. Zwar wurden einige besonders anrüchige Patrone mittlerweile aus dem öffentlichen Bild entfernt, doch zeigt die Stadt Coburg, dass es auch anders gehen kann: Auf Betreiben seines Sohnes, des mächtigen Unternehmers Michael Stoschek wurde dem einstigen Reichswehrführer und frühen Nazi Max Brose erst vor drei Jahren eine Straße gewidmet – mit der Unterstützung eines SPD-Oberbürgermeisters, der finanziellen Drohungen des Milliardärs, er werde andernfalls der Stadt seine Gunst entziehen, tapfer nachgab!


Und in Deutschland gibt es immer noch sieben Lettow-Vorbeck-Straßen, benannt nach jenem General, der auf seinem strategisch völlig sinnlosen Feldzug im Südosten Afrikas gegen die Briten während des Ersten Weltkriegs überall verbrannte Felder und Dörfer hinterließ und so Hunderttausende von Menschen dem Hungertod auslieferte. Legion sind gar die Verkehrsadern in Deutschlands Groß- und Mittelstädten, die heute noch nach Paul Hindenburg, dem General, Revanchisten und – als Reichspräsident 1932 – Steigbügelhalter Hitlers, heißen.


Auch andere Länder tun sich schwer mit dem historischen Vermächtnis, zumal sich immer wieder nationale Heroenverehrung gegen den gesunden Menschenverstand und eine demokratische Erinnerungskultur durchsetzt. So stehen in Spanien immer noch etliche Statuen von Hernan Cortés herum, der die Azteken-Kultur zerstörte, entgegen seiner Zusagen mit ihm verbündete Indianervölker in die Leibeigenschaft zwang und so eine blühende Region entvölkerte. In Mexiko hingegen, der Stätte seines einstigen Wirkens, wurden seine Standbilder penibel entfernt.


In Úbeda, einer kleinen Renaissancestadt in Andalusien, zeigt sich, dass der Umgang mit Monumenten Schwankungen unterliegt und manchmal ganz spontan der (Un)Wille des Volkes, zumindest eines aufsässigen Teils davon, die Verfügungen von Oberen und Obrigkeit konterkarieren.


Das volatile Denkmal des Grafen


Man muss den Conde Leopoldo Sarin nicht unbedingt kennen, aber sein Wirken und die posthume Würdigung seiner Person sind irgendwie symptomatisch für eine gewisse Epoche der neueren spanischen Geschichte und den aktuellen Umgang damit. Der Graf diente sich zum General hoch, indem er in den nordafrikanischen Kolonialkriegen im Dienste der Krone wacker auf Berber und Araber eindrosch. Als Militarist durch und durch gehörte er dem Führungszirkel der Putschisten um Primo de Rivera an, der anschließend sieben Jahre über das Land herrschte und dessen gleichnamiger Sohn, geistiger Pate und Idol Francos, 1933 die faschistische Falange gründen sollte. Das politische Geschäft verdross den andalusischen Grafen aber bald, so dass er zur Armee zurückkehrte.


Der Magistrat seiner Heimatstadt Úbeda beschloss 1930, ihm ein schaurig-schönes Denkmal, das Heldenkitsch mit pseudo-mythologischer Einfalt paarte, zu errichten. Dann aber wendete sich das politische Blatt, die neu installierte Republik konnte 1932 einen Militärputsch, an dem Leopoldo Sarin wiederrum teilnahm niederschlagen, und der Conde musste wegen seiner Putschbeteiligung von 1932 bis 1934 ins Gefängnis. Zwei Jahre nach seiner Entlassung zettelte General Franco den fatalen Bürgerkrieg an, und Graf Leopoldo, der sich gerade in Madrid aufhielt, wurde des neuerlichen Verrats verdächtigt und von republikanischen Milizionären erschossen.


Auch für sein Monument war es ein ständiges Kommen und Gehen, nur das es am Ende überlebte. Mal wurde es abgebaut, dann auf der zentralen Plaza de Andalucía wieder neu installiert. Zuletzt verschwand es im Jahre 2000 für sieben Jahre in den Abstellkammern der Stadtverwaltung, weil eine Tiefgarage unter dem Platz angelegt wurde. Gegen zahlreiche Proteste stellte man es danach wieder auf, was vor allem dem Geschmack der postfranquistischen Volkspartei entsprach und als weiteres Zeichen für die zögerliche, mancherorts kaum existente Vergangenheitsbewältigung in Spanien gedeutet werden kann.


Eine ganz eigene Verschönerung


Allerdings sieht der wie Gottvater über dem Heldengewimmel stehende monumentale Graf nicht mehr ganz so aus, wie ihn der Bildhauer Jacinto Higueras einst erschuf. Menschen, die gewiss nicht zu den Freunden oder Sympathisanten des überzeugten Prä-Faschisten und Bellizisten Sarin gehörten, beschossen die Statue zu verschiedenen Zeiten, als wollten sie durch solche bleiernen Tattoos ihren abweichenden Standpunkt dartun. Das künstlerisch banale Denkmal erfuhr dadurch eine gewisse Aufwertung, wurde durch diese Art der „Verschönerung“ doch die permanente Auseinandersetzung um die Person des Geehrten, um seine historische Rolle und um den hohlen Heroenkult an sich thematisiert.


Wir wollen der Kommune von Úbeda nicht Untätigkeit oder laxe Arbeitsmoral unterstellen, nur weil die Einschusslöcher bis heute nicht zugegipst wurden. Vielleich reifte in den Hirnen der Ratsherren sachte die Erkenntnis heran, dass, wenn man schon die von trivial-brutalem Geist ersonnenen Machwerke restaurieren will, sie zumindest dem Kommentar der Opfer und Gegner preisgeben sollte.


Vielleicht aber sollte dieser sichtbare Protest gegen geschichtsvergessenen Ahnenkult auch den Verantwortlichen in Nürnberg zu denken geben, die 80 Millionen Euro in die Hand nehmen wollen, um gegen den Widerstand zahlreicher Intellektueller, Künstler und Linker die eklektizistische Führertribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände in aller Pracht wiederauferstehen zu lassen.

  

10/2019