Kriegsgewinn(l)er   

Cartoon: Rainer Hachfeld


Oberflächlich betrachtet, werden Kriege oft aus nationalistischer Hybris, aus religiösem Fanatismus oder zur Begleichung historischer Rechnungen begonnen, realiter soll sich aber der Sieg für den Triumphator materiell lohnen. Die NGO Global Witness hat nun genau eruiert, wer von Putins Ukraine-Invasion am meisten profitiert, ohne sich in Gefahr begeben zu müssen. Der Report mag manchen erstaunen, sein Resümee ist aber nur eine logische Folgerung aus der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung: Es handelt sich um lauter alte Bekannte.


Kaum Chancen für direkte Kriegsparteien


Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine wurde rasch klar, dass keiner der beiden Feindstaaten nachhaltige ökonomische Vorteile aus dem Krieg würde ziehen können: Die Angegriffenen büßen im Bomben- und Raketenhagel immer größere Teile ihrer Infrastruktur ein, und es dürfte lange dauern, bis sie nach einem dauerhaften Schweigen der Waffen die Städte wiederaufgebaut, die Felder entmint und die Versorgungswege repariert haben werden. Auch die russischen Aggressoren vermelden immense Schäden, etwa auf der Krim, doch wiegt für sie schwerer, dass sie sich auf lange Zeit in Abhängigkeit von Dritten begeben mussten, um die zur Kriegsführung nötigen Mittel zu beschaffen.


Zwar scheint die Wirtschaft in Putins Reich im Vergleich zu Industrie und Handel der westlichen Ukraine-Alliierten glimpflicher davonzukommen  – obwohl sie doch von Letzteren mit Sanktionen belegt wurden; doch musste Moskau dornige Auswege für den Export seiner Rohstoffe akzeptieren, sich von China den Gaspreis diktieren lassen und Indien Erdöl zu Niedrigpreisen verscherbeln, das Delhi für teures Geld an die Westeuropäer weiterverkaufte, die so ihr eigenes Embargo unterliefen. Immerhin verdient endlich mal ein armes Land an einem Konflikt zwischen Imperien.


Bei dieser ökonomistischen Sicht der Dinge könnte man glatt vergessen, dass Zehn- bis Hunderttausende von Soldaten und Zivilisten ihr Leben lassen mussten, dass diese Menschen vor allem Putins Machtanspruch, zum Teil aber auch aberwitzigen Militärstrategien Kiews geopfert wurden. Nein, gerechnet hat sich dieser Krieg – wenigstens bisher – für kaum einen der unmittelbar oder im Wartestand verharrenden Beteiligten.


Oder vielleicht doch?


Boom der „alten“ Konzerne


Die internationale Nichtregierungsorganisation Global Witness  unterhält Büros in London und Washington D.C., von denen aus die Verbindung zwischen Rohstoff-Ausbeutung, Armut, Korruption und Missachtung von Menschenrechten untersucht und bekämpft wird. So deckte die NGO die Verwicklung von Regierungsmitgliedern in die illegale Abholzung kambodschanischer Wälder auf, legte die Finanzierung von Bürgerkriegen in Angola und Sierra Leone durch den Handel mit „Blutdiamanten“ offen und drängte sogar partiell erfolgreich auf ein Abkommen, das ihn unterbinden sollte, setzte sich für Transparenz bei der Öl- und Gasförderung sowie beim Bergbau in der Dritten Welt ein und verklagte Banken, die dem von Gangstern den Bevölkerungen armer Länder entwendeten Geld sichere Häfen boten.


Nun hat Global Witness untersucht, wer abseits der unmittelbar betroffenen Gebiete am meisten vom Krieg in der Ukraine profitiert. Die Rüstungsindustrie etlicher Länder feiert natürlich Hochkonjunktur, die Hightech-Konzerne, die mit kriegstüchtiger Software, Cyber-Anwendungen und KI dienen können, dürften ebenfalls dick im Geschäft sein. Ausgestochen werden sie bei der Gewinnmaximierung jedoch von fünf bestens (oder auch übelst) bekannten Dinosauriern aus der passé geglaubten Ära der fossilen Rohstoffgewinnung.


Die US-Konzerne Chevron und Exxon-Mobil, die britischen Erdgas- und Öl-Giganten Shell und BP sowie das französische Unternehmen TotalEnergies haben zusammen in den Jahren 2022 und 2023 seit Beginn der russischen Invasion den unfassbaren Gewinn von mehr als 280 Milliarden Dollar erzielt, errechnete die NGO.


Während Zwei sich bis aufs Blut streiten, teilen sich die eigentlichen Champions schiedlich-friedlich den Profit


In Zeiten energetischer Engpässe und der schieren Existenzangst von Menschen in Europa haben die Kriegsgewinnler offenbar die Rohstoffe auf dem Markt geschickt verknappt und taktiert, um im Verein mit Saudi-Arabien und anderen OPEC-Staaten Höchstpreise aufrufen zu können. Dass Exxon-Mobil und Chevron von ihren Landsleuten wenig Kritik erfahren, erklärt sich aus der Autarkie der USA bei den Rohstoffressourcen. Aber was ist mit den drei europäischen Konzernen, die insgesamt 125 Milliarden Dollar Gewinn einstrichen, während ihre Regierungen die von ihnen selbst verkündeten Sanktionen umgingen und teures russisches Öl und Gas Dritten kauften? Es gehört zu den Charakteristika unseres Wirtschaftsystems, dass ein EU-Finanzminister wie Christian Lindner in der Krise und zugunsten weiterer Aufrüstung die Sozialabgaben kürzen will, aber kein Wort zu solcher Raffgier verliert.


Patrick Galey, Rechercheleiter von Global Witness, klagt die fünf Konzerne an: „Sie haben unermesslichen Reichtum aus Tod, Zerstörung und explodierenden Energiepreisen gezogen.“ Und angesichts der absurd hohen Summe von 111 Milliarden Dollar, die Anteilseignern allein 2023 ausgezahlt wurden, resümiert er bitter: „Sie reichen nun ihre Gewinne an Investoren weiter und stecken sie in noch mehr Öl- und Gasproduktion, die Europa nicht braucht und das Klima nicht mehr ertragen kann. Dies ist ein weitere Methode, mit der die Fossil-Treibstoffindustrie die Kunden und den Planeten betrügt.“


Staaten zerfleischen sich gewinnbringend


UN-Generalsekretär Guterres warnte davor, dass die Unternehmen die Menschheit „an der Kehle“ gepackt hätten. Selbst US-Präsident Biden klagte die Industrie an, „vom Krieg zu profitieren“. Scheinbar hat der Mann im Weißen Haus bislang sorgenfrei in der „besten aller möglichen Welten“ gelebt, wie sie Voltaires Philosoph Pangloss im „Candide“ noch in jeder Umgebung voller Elend und Zerstörung zu erblicken glaubte. Auch Biden müsste aber klar sein, dass am Krieg immer irgendwer verdient, erst recht an einem Krieg zwischen dem von staatlich beaufsichtigten Oligopolen beherrschten und ausgebeuteten Russland und der für wirtschaftliche wie strategische Ziele des Westens wichtigen und nebenher ziemlich korrupten Ukraine. Wenn sich zwei Parteien unterschiedlicher kapitalistischer Schattierung gegenüberstehen, muss ja wohl Profit möglich sein!


Die fünf Energiekonzerne jedenfalls dürften Putin dankbar sein. Dank seiner expansiven Hybris hat er ihnen ein exorbitantes Vermögenswachstum beschert. Und obwohl sie im Gegensatz zu ihm keinen einzigen Mann verloren haben, stehen sie schon jetzt als Sieger des Krieges fest.


05/2024


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