Darf der/die das?
In der Medienlandschaft geht es immer wunderlicher zu. Grobschlächtige Täter gerieren sich als empfindliche Opfer, Zuchtmeister bezichtigen andere der Verbotskultur, und Satiriker werden zu Zielscheiben reaktionären Hasses. Ob in Politik, Publizistik, Kunst oder Kabarett – die Frontlinien verschwimmen, und wirres Bauchgefühl löst Nachdenken sowie Logik ab. Einige Gedanken von zwei Kollegen, die auf walter-view veröffentlicht haben (wobei einer nur noch posthum zitiert werden kann), und mir zu einem schier boden- und grenzenlosen Thema:
Verfolgte Unschuld am rechten Wegesrand
Verkehrte Medienwelten: Der nationalkonservative Rand des Macht- und Meinungsspektrums, ohnehin bereits dank penetranter Social- Media-Präsenz im Deutungsvorteil, wähnt sich von aggressiven Linken in Politik und Presse verfolgt und ausgegrenzt. Da tobt der Rechtspopulist Markus Söder gegen Habeks angebliche „Heizungsdiktatur“ und unterstellt den durch und durch bürgerlichen Grünen eine „Verbotskultur“, etwa, wenn es um des Deutschen kulinarische Vorlieben geht. Der widersetzt er sich beherzt und mit leicht infantil anmutendem Trotz, indem er als Fress-Influencer auf TikTok endlos Döner oder Schweinsbatwürste in sich hinein schlichtet. Als aber Versuche unternommen wurden, die sprachliche Benachteiligung der halben Bevölkerung durch vorsichtiges Gendern zu mindern, verkündete er flugs ein Verbot anti-patriarchalischer Sprachregelungen für die Beamten und Schulen im bayerischen Freistaat.
Dieter Nuhr, der Comedian mit der sonoren Stimme und der stramm reaktionären Sicht auf gesellschaftlichen Veränderungen, beklagte sich erbittert, angesichts der Linkslastigkeit in den öffentlich-rechtlichen Medien käme der konservative Volksmund zu kurz. Dabei entging ihm offenbar, dass er selbst der wohl am häufigsten präsente Possenreißer der letzten Jahrzehnte in der ARD war, während Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt, Martin Buchholz oder Henning Venske immer mal wieder wegen „Linksabweichung“ ausgeladen oder zensiert wurden.
Die AfD wiederum fühlt sich von der „Lügenpresse“ und den von ihr als feindselig empfundenen öffentlich-rechtlichen Medien boykottiert, verleumdet und totgeschwiegen, obwohl ihr gesamtes Führungspersonal bereits Unsägliches in allen wichtigen Talkshows der Republik absondern durfte und ihr als stärkster Oppositionspartei im Bundestag erhebliche Sendezeit eingeräumt wird. Dass aber etliche ihrer Mitarbeiter und Funktionäre wegen mehr oder weniger gravierender Vorfälle – von der Beteiligung an Putschversuchen, über den Schulterschluss mit verbotenen Organisationen und Zitate mit Nazi-Affinität bis hin zum Verdacht der Spionage für ausländische Mächte – in den journalistischen Fokus gerieten, empfinden die Jünger Höckes und Weidels als arg unfair.
Während immer mehr Deutsche wie einst Hagen und die Nibelungen dem Zug in den Untergang (zumindest des aufklärerischen Geistes) in stumpfer und ein wenig bürokratisch wirkender Ergebenheit folgen, zeigt sich in den USA, wie rasend schnell und mit welch disruptiver Energie eine bürgerliche Demokratie demontiert werden kann, indem man die Gewaltenteilung außer Kraft setzt und die Medien erpresst. Nachdem Trumps Top-Hooligan Charlie Kirk dem gewalttätigen Klima, das er selbst mit heraufbeschworen hatte, zum Opfer gefallen war, ging der Präsident gegen den Talkmaster des Senders ABC, Jimmy Kimmel, vor, weil dieser die Heiligsprechung des gefallenen rechtsradikalen Aktivisten mit Kritik begleitet hatte. Schon zuvor war Kimmels Kollege Stephen Colbert auf Betreiben Trumps von seinem Arbeitgeber CBS entlassen worden.
Dabei beschränkt sich der Herr des Weißen Hauses nicht darauf, den Medien mit Liebesentzug und Ausschluss aus Pressekonferenzen zu drohen, wenn sie negativ über seine Herzensangelegenheiten berichten, vielmehr mobilisiert er auch die in den USA vom Kopf (dem Supreme Court) her stinkende Justiz, das FBI, die Geheimdienste und – wenn es um missliebige Korrespondenten aus der Restwelt geht – das Außenministerium. Dass mittlerweile nach landesweiten Protesten die Disney-Tochter ABC Kimmels Show wieder ins Programm gehievt hat, ist ein schwacher Trost, zumal wichtige angeschlossene Sender aus Furcht vor Trumps Rache nicht mitziehen.
Auch Künstler und Karikaturisten hierzulande sind gehalten, zu überlegen, mit wem sie sich anlegen; schließlich geht es um ihre Berücksichtigung in der medialen Öffentlichkeit und – wenn die von Rechtsaußen befeuerte brachiale Intoleranz sich weiter ausbreitet – um ihre materielle Existenz sowie die körperliche Unversehrtheit.
Eine zahme Begleiterscheinung
Vor ziemlich genau fünf Jahren trafen sich der Autor Uwe Friesel und der Cartoonist Rainer Hachfeld zu einem halbstündigen TV-Gespräch, das der Offene Kanal Magdeburg unter dem Titel „Was dürfen Karikaturen? Alles!“ ins Netz (auf youtube) gestellt hat. Friesel, der fünf Jahre lang Vorsitzender des Deutschen Schriftstellerverbandes (VS) gewesen war, schreibt heute sporadisch Kolumnen für walter-view, wo auch Rainer Hachfeld, einer der bekanntesten deutschen Polit-Zeichner, der auch für ausländische Publikationen (etwa Le Monde oder die New York Times, als diese noch Karikaturen abdruckte) tätig war, sechs Jahre lang bis zu seinem Tod im Mai 2025 Cartoons veröffentlichte. Vor der TV-Kamera sprachen die beiden Veteranen einer kritischen Gegen-Öffentlichkeit anlässlich einer Hachfeld-Ausstellung in Salzwedel über Chancen, Probleme, aber auch Trends der kritischen Illustration in der Presse.
Uwe Friesel (links) und Rainer Hachfeld im TV-Gespräch (Sendung des Offenen Kanals Magdeburg: "Was darf Karikatur? Alles!")
Die beiden lebenslänglich widerborstigen Senioren gelangten sehr schnell zu der Frage, wie drastisch eine Karikatur denn sein dürfe. Friesel verwies auf Zeichnungen, in denen Hachfeld den Mächtigen oder rechten Hetzern die Hosen auszog und ihre nackten Hintern abbildete. Ob dies nicht ein wenig obszön sei? Der Cartoonist konterte, dies gehöre zur Geschichte der Karikatur. Allerdings würden seine Zeichnungen oft zurückgewiesen, denn „die Zensoren in den Redaktionen wollten ihre Zeitungen sauber halten“. In Deutschland fehle die Tradition der politischen Karikatur, die in Frankreich oder England weit zurückreiche.
Das nackte Antlitz des rechten Hetzers, Hachfeld-Cartoon für walter-view. Zu Wutbürgers 10 Gebote im Archiv der Rubrik Politik und Abgrund (2023)
Friesel konzedierte, dass der Terminus „obszön“ dem Altgriechischen entlehnt sei und eigentlich „hinter den Kulissen“ bedeute. Müsse man aber die sexuellen Übergriffe, deren sich Donald Trump vor seiner ersten Präsidentschaftskandidatur öffentlich rühmte, wirklich so deutlich zeigen wie Hachfeld, der den US-Präsidenten karikierte, wie er Frauen, darunter Angela Merkel, in den Schritt griff? Es gehe darum, bei Trump das Groteske zu entlarven, entgegnete Hachfeld. Und das könne eine Karikatur wirksamer als ein Lesetext.
Eingedenk der islamistischen Mordanschläge auf Cartoonisten in Frankreich und Dänemark erklärt Hachfeld, dass er keiner Religion angehöre und deshalb religiöse Tabus für ihn keine Geltung hätten. Er fühle sich aber nicht gefährdet. „Könnte es sein, dass hierzulande mehr Gelassenheit herrscht?“ fragte Friesel nach, worauf sein Gegenüber die Kehrseiten der deutschen Satire und ihrer Rezeption, nämlich Belanglosigkeit und Desinteresse, ins Spiel brachte: „Wenn wir bei der Karikatur bleiben, muss ich sagen: Es ist ziemlich traurig, im Grunde genommen. Die deutsche Karikatur ist sehr zahm, eher zustimmend.“ Sie sei in der aktuellen Tagespresse eine Begleiterscheinung und habe „den Stellenwert der Lottozahlen und des Wetterberichts“.
Fünf Jahre nach diesem Gespräch kann man sich nicht mehr ganz so sicher sein, ob die Zukunft von kritischen Satirikern und Cartoonisten so ungefährdet ist, wie es damals schien – etwa angesichts konservativer Versuche, Kritik an der israelischen Regierung mit dem Totschlagsetikett Antisemitismus zu ächten, und einer Renaissance völkischer Wert- und Zensurvorstellungen, die bis weit in die Christen-Union hineinwirkt.
Spott von unten, Hohn von oben
Schon Tucholsky entschied einst, dass Satire alles dürfe – also auch grob und maßlos sein, den Mächtigen und Staatenlenkern, aber ebenso den Spießbürgern einen Spiegel vorhalten und Moralapostel mit beißendem Spott übergießen.
„Übertreibt die Satire? Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.“ So schrieb Tucholsky bereits 1919, und bis heute gilt das satirische Prinzip, das Stilmittel der Übertreibung (oder Überzeichnung) als Waffe des Schwachen gegen die Starken in Politik, Wirtschaft oder Kirche einzusetzen, deren Schweinereien und Fehler ins Lächerliche zu ziehen, um dem Publikum klarzumachen, auf welch absurd schwachem Intellekt die Logik der Macht basiert.
Da keine Waffengleichheit besteht, ist dem Spötter bisweilen sogar die Beleidigung sozusagen als Schreckschussrevolver gestattet, da er selbst von ganz anderen Geschützen (Zensur, Justiz, Jobverlust) bedroht wird. Allerdings dürfen Invektive auf der Kabarettbühne oder in der Karikatur nicht mit der Absicht, Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Behinderung, Armut etc. herabzusetzen, geäußert werden. Satirischer Spott versucht, nach oben zu treten, entlarvt soziale Ungerechtigkeit und Intoleranz; abwertende Ausländerwitze wird man nur von AfD-nahen Dumpf-Comedians und einigen CDU/CSU-Granden hören. Doch gerade die Narrenfreiheit, die Missstände aufdeckt und ihre Urheber bloßstellt, bildet für autoritäre und/oder reaktionäre Politikern wie Donald Trump, Wladimir Putin oder auch Markus Söder als Strauß-Ziehsohn ein ständiges Ärgernis, das es auszumerzen oder zumindest einzudämmen gilt.
Die maßgeblichen Protagonisten in Politik und Wirtschaft benötigen nicht das feine Instrument des Humors, um sich gegen satirische Kritik zur Wehr zu setzen, verfügen sie doch über genügend Mittel zur Ahndung zivilen und närrischen Ungehorsams. Was sie wiederum an Skurrilität in Wort und Tat offenbaren, entbehrt jeden Witzes: Wenn etwa Friedrich Merz die Brandmauer zur AfD verteidigt, sich aber gleichzeitig im Bundestag mit der blaubraunen Partei zur Abschiebung von Kriegsflüchtlingen und zur Aussetzung des Asylrechts verbündet, wenn der CSU-Rechtsaußen Alexander Dobrindt, geistiger Vater der unseligen und für uns teuren „Ausländer-Maut“, zum Innenminister gemacht wird, als der er eigentlich den Gesetzen Geltung verschaffen soll, aber wegen Missachtung von Flüchtlingskonvention und Verfassung ständig von Richtern zurückgepfiffen werden muss, dann ist das nicht mehr lustig, sondern blanker Hohn.
09/2025
Dazu auch:
Easy Way out… (2017), Comeback der Narren (2014) und Wen der Geier lobt (2013) im Archiv der Rubrik Medien