Neue Freunde in Kabul


Es ist gar nicht wahr, dass die Union ständig die islamophoben Vorurteile und Ängste der deutschen Bevölkerung schürt. Ganz im Gegenteil: Die Merz-Regierung pflegt mittlerweile wachsendes Einverständnis mit den zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftigen Koran-Exegeten in Kabul. Federführend bei der neuen interreligiösen Harmonie-Offensive ist der christsoziale Innenminister Alexander Dobrindt, der penibel zwischen guten und bösen Afghanen zu unterscheiden weiß: Letztere leben hier und sollen weg, die anderen bieten an, ihre abgeschobenen Landsleute aufzunehmen und in ihr gottesfürchtiges System zu integrieren – oder auch nicht.


„Angenehme Atmosphäre“


Alexander Dobrindt bewährt sich mit beinahe missionarischem Eifer in seinem Amt als Abschiebungsminister, die dem Innenressort obliegende Kontrolle der Sicherheitskräfte unter Wahrung der bundesrepublikanischen Gesetze erledigt er zusätzlich als Nebenjob mit links. Da kann es natürlich mal passieren, dass Flüchtlinge voreilig repatriiert werden, weil der eben dieses Vorgehen untersagende Gerichtsbeschluss zu spät eintraf.

Überhaupt zeigt sich die Justiz bisweilen etwas pingelig, etwa wenn Berliner Richter darauf bestehen, dass Verträge einzuhalten sind. Sie drohten nämlich dem Auswärtigen Amt mit Geldstrafen, weil den früheren afghanischen Mitarbeitern der Bundeswehr, denen seitens der Taliban Verfolgung und Tod drohen, entgegen früherer verbindlicher Zusagen keine Visa für Deutschland ausgestellt wurden.


Sollten jetzt doch wieder mehr Hilfskräfte deutscher Truppen ins Land ihrer zeitweiligen Arbeitgeber kommen, könnte das durch vermehrte Abschiebungen kompensiert werden, und zwar nicht nur von Straftätern. Um die Taliban zur Aufnahme ihrer flüchtigen  Landsleute zu überreden, hatte Alexander Dobrindt einen hochrangigen Vertreter seines Ministeriums nach Kabul geschickt, um mit den Repräsentanten einer Regierung zu verhandeln, die von kaum einem Staat auf der Welt anerkannt wird. Unwidersprochen durfte Taliban-Sprecher Abdul Mateen Qani danach verkünden, die Gespräche hätten in „angenehmer Atmosphäre“ stattgefunden, sie seien „gut und positiv“ verlaufen.


Dass sich Dobrindts Emissär in Kabul dem Vernehmen nach so wohlfühlte, ist der Zusage der Taliban zu verdanken, die aus Deutschland „Rückgeführten“ ins Land zu lassen – um mit ihnen nach eigener Manier zu verfahren. Dazu ist anzumerken: Afghanistan steht auf der zivilisatorischen Rangliste aller Länder des Globus derzeit auf dem letzten Platz.

Paschtunische Religionsfanatiker unterdrücken alle anderen Ethnien und Glaubensgemeinschaften blutig, entmündigen die knappe Mehrheit der gesamten Bevölkerung, die Frauen nämlich, und bestrafen „Sünder“ brachial nach den früh-mittelalterlichen Rechtsgrundsätzen der Scharia, die sie andererseits nicht von Korruption oder Beteiligung an Profiten aus dem Opiumhandel abhält.


Wenn es aber darum geht, sein Vaterland flüchtlingsfrei zu machen, kennt der deutsche Innenminister, hierbei den AfD-Größen frappierend geistesverwandt, keine Hemmungen und keine Tabus. Das islamistische Wohlverhalten will belohnt sein, durch Hilfsgelder und diplomatische Beziehungen auf informeller Ebene. Was mit den Abgeschobenen, seien es Täter oder Unbescholtene, in ihrer Zwangsheimat geschieht, scheint kein Thema der gedeihlichen Verhandlungen gewesen zu sein.


Für Dobrindt trifft es keine Falschen


Auch bei der Personenauswahl schaut Dobrindt lieber nicht so genau hin. So kann es mitunter geschehen, dass in Flugzeugen, die Straftäter nach Kabul bringen sollen, auch Frauen und Kinder, von ihren Meistern gelobte Handwerksgesellen oder Berufsschüler, die aus dem Unterricht geholt wurden, sitzen. Wenn es um die nationale Verschönerung des deutschen Stadtbilds geht, schert die Bundesregierung gerne alle Afghanen, die es hierher geschafft haben, über einen Kamm und entsorgt sie, gänzlich unbekümmert um deren künftige Überlebenschancen.


Und wenn ein Gericht eine Abschiebung per einstweilige Verfügung stoppt, müssen die Richter erfahren, dass sie zu spät gekommen sind, weil sich die sonst so behäbigen Behörden als überraschend zupackend erwiesen haben und sich der Flieger ins Ungewisse längst über den Wolken befindet, wo die Rechtsbeugung wohl grenzenlos ist. Kaum jemand in den Medien (und niemand in der Bundesregierung) regt sich darüber auf, juristische Konsequenzen sind nicht in Sicht. Dank Dobrindts entschlossenem Handeln beweist sich die BRD als Rechtsstaat – ganz im Sinne der AfD.


Um die neuen Verbündeten in Kabul bei Laune zu halten, billigte man ihnen den schrittweisen Einzug in die diplomatischen Vertretungen der früheren afghanischen Regierung zu, eines Marionettenregimes des Westens, für dessen Bestand sich u. a. Expeditionstruppen der Bundeswehr vergeblich schlugen. Für Gegner der Taliban-Herrschaft, nicht nur hierzulande, könnte nun aber vor allem die Übergabe des Generalkonsulats in Bonn fatale Folgen haben.


Liebesdienst für Allahs Bluthunde


Während sich das Personal in der Berliner Botschaft und im Münchner Konsulat Afghanistans schon vorher mit den neuen Herren in Kabul arrangiert hatte, wehrte sich der Bonner Generalkonsul Kabiri gegen die islamistische Inbesitznahme seines Hauses, ging an die Öffentlichkeit und appellierte an das Auswärtige Amt. Am 3. Oktober schloss dennoch der Taliban-Diplomat Said Mustafa H. das zuvor von Kabiri und seinen 22 Mitarbeitern verlassene Gebäude auf. Es warteten brisante Datenschätze auf den neuen Hausherrn.


Zuvor hatte das Berliner Außenministerium vorsorglich die Verlängerung von Kabiris Diplomatenpass abgelehnt. Hierin zeigt sich der Unterschied zwischen dem xenophoben CSU-Aktionisten Dobrindt und seinem polyglotten Kollegen Wadephul von der CDU: Während der eine blitzschnell, ob mit oder ohne Legitimation, handelt, schafft der andere durch Unterlassung und diplomatische Deals neue Fakten. Im Erreichen menschenverachtender Ergebnisse sind sie in etwa gleich erfolgreich, und sie kooperieren dabei offensichtlich auch eng. Dobrindt jedenfalls unterstrich im ARD-Interview der Woche, wie sehr ihm an der zügigen Arbeitsaufnahme der Taliban-Diplomaten gelegen sei. Nach seinen Worten sollten sie durch ihre konsularische Arbeit Abschiebungen in ihr Heimatland unterstützen.


Die Namen, Verbindungen und Adressen der Familienangehörigen und Freunde von Dissidenten sowie Straftätern im Sinne der Scharia wird der Taliban-Geheimdienst GDI jetzt en masse auslesen können. Die diplomatischen Vertretungen waren nämlich international vernetzt, und viele Exil-Afghanen suchten die Konsulate in der EU und anderen westlichen Ländern auf, um Pässe, Geburts- und Eheurkunden oder Taufscheine zu beantragen. Diese Daten waren in Bonn zentral auf Servern gespeichert, zu denen die Bundesregierung nun den Taliban-Repräsentanten Zugang verschafft hat. "Die Deutschen haben hier praktisch die Arbeit der Taliban gemacht", stellt Menschenrechtsaktivistin Patoni Teichmann erbittert fest.


Ginge es nicht um Menschenleben, könnte man die rabulistische Begründung des Auswärtigen Amts in Berlin für sein mutmaßlich folgenschweres Versagen mit einem „Preis für unfreiwilligen Humor“ würdigen: Auf Anfrage der ARD erklärte das Ministerium, die Bundesregierung habe "ein Interesse daran, dass die afghanischen Vertretungen in Deutschland weiterhin arbeitsfähig sind und von Personen geleitet werden, die bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban akkreditiert wurden" Im Übrigen erkenne man die de-facto-Regierung Afghanistans, also die Taliban, nicht an. Warum aber durfte dann der bisherige Generalkonsul Kabiri nicht weiter als Ansprechpartner fungieren? Nun beginnen die deutschen Diplomaten zu eiern. Der Generalkonsul sei vom Außenministerium in Kabul offiziell abberufen worden, fabulierten sie, und diese Abberufung sei „rechtlich bindend“.


Wir halten fest: „Rechtlich bindend“ war an diesem Vorfall gar nichts. Die BRD weigert sich, Beziehungen mit dem fortwährend gegen Menschenrechte verstoßenden Regime in Kabul aufzunehmen, arbeitet aber mit den diplomatischen Vertretern der alten Regierung zusammen. Außer mit Kabiri. Der wurde ausgemustert und sein Bonner Generalkonsulat an die Vertreter jener Taliban übereignet, mit denen man offiziell nichts zu tun haben will, im Geheimen jedoch gern mauschelt. Um diese rachsüchtigen Islamisten für Zwangsrückführungen von Landsleuten gewogen zu stimmen, serviert man ihnen auch noch die Namen und Daten ihrer Feinde auf dem Silbertablett und bringt diese dadurch in Lebensgefahr.


Man könnte das Außenministerium der Unfähigkeit oder Naivität zeihen, aber es steckt wohl Kalkül dahinter. Die Dobrindt’sche Abschiebungsmanie scheint auch die anderen Ministerien und das gesamte Bundeskabinett (mit der SPD-Crew als peinlich berührt schweigender Minderheit) infiziert zu haben.


11/2025


Dazu auch:


Afghanisches Roulette im Archiv der Rubrik Medien (2021)