Echte Populisten


Manchmal werden in der politischen Diskussion Bezeichnungen verwendet, die – sorgfältig auf korrekte Zuordnung überprüft – Sinn machen oder einen Sachverhalt prägnant beschreiben können. Populismus ist ein solcher Begriff, es gibt den Tatbestand, derzeit tritt er allzu häufig auf, und die ihn praktizieren, dürfen Populisten genannt werden. Andererseits wird diese Etikettierung oft allzu ungenau gebraucht, so dass als populistisch mittlerweile Leute verharmlost werden, die in erster Linie als Rechtsradikale, Neonazis oder Faschisten einzuschätzen sind, während Opportunisten in den staatstragenden Parteien, die heftig volkstümeln und diskriminieren, von diesem Attribut verschont bleiben.


Das schwammige Handwerk der Medien


In einem Beitrag für Deutschlandfunk Kultur moniert der Berliner Journalist Hanno Hauenstein die „inflationäre“ Verwendung des Begriffs „Populismus“ und warnt davor, völkische Bewegungen mit dieser manchmal euphemistischen Umschreibrung einen Gefallen zu tun, ihnen sozusagen ein Mäntelchen legitimen, wenn auch plumpen Protests umzuhängen. Tatsächlich werden in den Medien gern krasse (aber exakte) Zuschreibungen wie „faschistisch“, „chauvinistisch“ oder „rechtsextrem“ durch den Weichspülerbegriff „populistisch“ ersetzt, wenn es um die AfD, Le Pens RN oder Melonis Fratelli geht. Es könnte fast der Eindruck entstehen, eine mögliche partielle Zusammenarbeit von Konservativen mit den Radikalnationalisten solle nicht vorschnell diskreditiert werden, wurde sie doch durch EU-Chefin von der Leyen oder die sächsisch-anhaltinische CDU bereits salonfähig.


Wie aber soll man „Populismus“ (abgeleitet vom lateinischen populus = Volk) definieren, um auch in Funk und Presse korrekt mit dem Begriff umgehen zu können? Auf Wikipedia heißt es dazu:  „Charakteristisch ist die betonte Unterscheidung von einerseits dem Volk und andererseits einer als korrupt und selbstgefällig bezeichneten politischen oder wirtschaftlichen Elite. Unter Ausnutzung und Verstärkung vorhandener Stimmungslagen soll so einer populistischen Bewegung oder einem populistischen Führer ein politischer Vorteil entstehen mit dem Ziel des Machterwerbs. Häufig erscheint er als Bestandteil politischer Ideologien sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite des politischen Spektrums.“


In erster Linie wird hier im Populismus ein Mittel, besser: das Handwerkszeug schlechthin, zur Machtübernahme gesehen, kein inhaltliches Motiv. Manipulatives, propagandistisches, lautes Auftreten ist aber kein Alleinstellungsmerkmal der Rechtsaußen-Bewegungen und sagt über deren Intentionen zunächst wenig aus. Die wichtigsten Charakteristika der völkischen Avantgarde sind in der nationalen Hybris, einem rigorosen Sozialdarwinismus und dem Hass gegen Migranten sowie kulturelle Minderheiten zu sehen.


Auch ein Wesensmerkmal, das die Bundeszentrale für politische Bildung dem populistischen Gebaren zuordnet, gilt nicht exklusiv für die extreme Rechte: „Kern dieser Haltung ist die dichotomische (hier  etwa: kategorische) Abgrenzung des moralisch guten, tugendhaften Volkes von den als korrupt und selbstsüchtig bezeichneten Vertretern des sogenannten Establishments.“ In eine ähnliche Richtung geht die Encyclopedia of Democracy, deren Begriffsdefinition Hauenstein in seinem Deutschlandfunk-Essay zitiert. Populismus sei zu verstehen als „politische Bewegung, die die Interessen der einfachen Bevölkerung hervorhebt, im Gegensatz zu denen einer privilegierten Elite“.


Das Problem bei diesen Versuchen, provozierende Behauptungen per definitionem zu widerzulegen, liegt in der intellektuellen Substanzlosigkeit populistischer Kampagnen: Ihnen sind keine dokumentierten und geprüften Inhalte zuzuordnen, ihren Initiatoren fehlen gründlich erarbeitete Standpunkte oder Perspektive. Wichtig sind ihnen lediglich die Methoden, etwa Ressentiments schüren, dumpfe Ängste steigern, Feindbilder  kreieren oder schärfen, die eigenen Interessen hingegen, der persönliche Machterwerb um jeden Preis durch Verleumdung des Gegners/Feindes und die Durchsetzung eines ihnen opportunen (meist strikt hierarchischen) Gesellschaftsmodells, werden nicht thematisiert. Nur der persönliche Vorteil zählt für die Populisten, Fakten und Wahrheiten sind dem Zweck „anzupassen“, Nachfragen dagegen nicht erwünscht. Tatsächlich geben sie vor, auf Seiten der Durchschnittsbürger oder sogar Unterprivilegierten gegen die Politelite zu kämpfen, der sie in der Regel selbst angehören.


AfD-Politiker und gleichgesinnte Konsorten wenden dieses Instrumentarium zwar weidlich an, ihre Gefährlichkeit ist aber nicht darauf zu reduzieren. Sie haben sich ein misanthropisches Weltbild zusammengezimmert, an dessen Validität und Durchsetzbarkeit sie tatsächlich glauben. Die populistischen Tiraden dienen ihnen lediglich dazu, Gegner rhetorisch zu überfahren und die reichlich vorhandenen Vorurteile in der Gesellschaft zu verstärken, um eine dystopische Geistesallianz zu schmieden, die letztendlich aufklärerisches und dialektisches Denken in die Verbannung schicken will und ein autoritäres bis faschistisches Herrschaftssystem anstrebt. AfD-Funktionäre, „Reichsbürger“ oder Identitäre sind Gesinnungstäter, die dem Volk aufs Maul schauen - allerdings meist, wenn es gerade dumpf brütend und beleidigt kotzt -, um Material für die eigene Kampagne zu sammeln. Daher fordert Hauenstein folgerichtig: „Lasst uns das Kind Rechtsextremismus doch einfach beim Namen nennen. Der schwammige Populismus-Begriff tut das schon lange nicht mehr.“


Dabei gibt es die „echten“ Populisten, die sich nicht von Ideologie oder Fanatismus, sondern von opportunistischer Sorge um das eigene Fortkommen leiten lassen, durchaus. Nur tummeln sie sich vor allem in den Reihen der „seriösen“ Parteien, in den Kabinetten und Regierungen des Bundes sowie der Länder und halten für sich den Schein bürgerlicher Wohlanständigkeit aufrecht.


Biedermänner mit Brandstifter-Jargon


Besonders schöne Beispiele für den Versuch, die sprachliche Gosse nicht allein der AfD zu überlassen, liefert Friedrich Merz, zumal wenn er auf Migranten und Flüchtlinge zu sprechen kommt: Da werden Knaben aus dem Orient pauschal als „kleine Paschas“ denunziert und Mängel der medizinischen Versorgung in diesem Land vorrangig Asylsuchenden angelastet, die sich bei der Zahnbehandlung vordrängen.


In korrekter geschlechtsneutraler Diktion hätte ich in der obigen Zwischenüberschrift eigentlich von „Biederleuten“ schreiben müssen (wegen des Bezugs auf das Theaterstück von Max Frisch problematisch), da sich auch die Damen der hohen Politik im Refugee-Bashing üben. Noch-Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der (einst sozialdemokratischen, jetzt offenbar national-konservativen) SPD jedenfalls übernimmt beinahe Wort für Wort die Abschiebungsrhetorik der AfD (und demnächst möglicherweise deren Remigrationsphantasien gleich mit). Sie möchte sich vermutlich auch für bierselige Stammtisch-Hardliner mit Xenophobie-Faible als wählbar präsentieren. Ihre grüne Ministerkollegin Annalena Baerbock tut es ihr, im Ton gemäßigter, in der Sache jedoch ähnlich, nach, wenn auch sie gebetsmühlenartig Abschiebungen fordert, in welche Wüste auch immer.


Star unter den gesellschaftsfähigen Populisten der BRD ist aber zweifellos der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, aus dessen Mund die gängigen Ressentiments und kurzzeitigen Vorlieben seiner Untertanen, zuvor begierig aufgenommen und sorgfältig recycelt, in einem Dauerschwall ins Land zurückfließen. Der beinahe ununterbrochen in Mikrofone redende und sich in Social-Media-Formaten spreizende CSU-Chef hat sein Ohr am Puls der Zeit, zumindest was die volatilen Sympathien und ständigen Meinungsänderungen seiner bayerischen Normalbürger betrifft, und er zeigt sich ebenfalls wetterwendisch wie ein Kirchturmgockel.


Mal will er – noch als Finanzminister in München – eines der wichtigsten alpinen Naturschutzgebiete am Riedberger Horn dem öko-desaströsen Skitourismus opfern, weil die Alpen sich schließlich kapitalisieren müssten. Dann wieder umarmt er Bäume und präsentiert - nachdem ihm Bienenretter mit einem erfolgreichen Volksbegehren auf den Pelz gerückt waren - ein stark verwässertes Artenschutzgesetz als Placebo. Beunruhigen Wohnungsnot und hohe Mieten die Bevölkerung, verspricht er vollmundig den sofortigen Bau von 5000 preisgünstigen Behausungen und schweigt anschließend dazu, dass nur wenige hundert fristgerecht fertiggestellt wurden. Treibt nach Fukushima die Angst vor einem nuklearen GAU die Menschen um, fordert Söder die sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke, nur um einige Jahre später im Verein mit Teilen der Wirtschaft die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Meiler zu verlangen.


Mal ist er gegen Windkraftausbau in Bayern, mal versucht er, ihn mit mäßigem Erfolg voranzutreiben. Gestern nannte er die aus dem windreichen Norden in sein Reich gelegten Stromleitungen verächtlich „Monstertrassen“, heute jammert er, Bayern werde bei der E-Versorgung vernachlässigt. Stets setzt er sich an die Spitze der Unzufriedenen und verschlampt ihre Anliegen wie auch seine Versprechungen regelmäßig nur kurze Zeit später. Meistens hat der notorische Vereinfacher aber Kreide gefressen und bevorzugt den gütig-humorigen Ton des fürsorglichen Landesvaters.


Er kann aber auch anders: In Erding hetzte er Seite an Seite mit dem Rustikal-Populisten Aiwanger vor tausenden ohnehin schon aufgeputschten Demonstranten gegen die „Heizungsideologie“ der Ampelkoalition, ganz die alte Dreckschleuder, als die er sich schon in der Jungen Union Lorbeeren verdiente. In solchen Situationen ähnelt der Mann, der so gerne Kanzler geworden wäre, ein wenig dem globalen Zyklopen, der den blinden Volkszorn zur Staatsraison erhoben hat. Aber dessen Schuhe sind denn doch etwas zu groß für Markus Söder.


Das Trump-Paradoxon


Der 45. und demnächst 47. Präsident der Vereinigten Staaten beherrscht die Klaviatur des radikalen Populismus virtuos, wobei es falsch wäre, seine facettenreiche Persönlichkeit auf die eines vulgären Marktschreiers zu reduzieren. Natürlich verfügt er über einen untrüglichen Instinkt für Show und Spektakel, erkannte er doch rascher als alle anderen Politiker das unermessliche Potenzial, das die „sozialen“ Medien mit ihrem Repertoire aus Falschmeldungen, getürkter Dokumentation oder Verschwörungstheorien bieten.


So gelang es Trump, ein Bündnis der Solidarität von Zukurzgekommenen, Arbeitern im Rostgürtel der USA, evangelikalen Eiferern in den Südstaaten oder Rednecks in prekären Landwirtschaftsjobs  ausgerechnet mit ihm zu schmieden, dem Egomanen par excellence, dem bekannt skrupellosen multimillionenschweren Baulöwen und vielfach überführten Lügner. Der Vertrauensvorschuss, der ihm trotz einer mauen ersten Präsidentschaft, gewährt wurde, ist so überwältigend, dass jede Straftat, deren er überführt wurde, angesichts seiner Heilsversprechen in den Sog der Bedeutungslosigkeit und des Vergessens gezogen wird.


Es verbietet sich aber, über die geistigen Eigenschaften Donald Trumps zu lachen. Er mag nicht intelligent (im Sinn von lern-, kritik- und analysefähig) sein, aber er hat eine immense Schläue bis hin zur Verschlagenheit bewiesen. Er besitzt das Gespür, zeitgenau die richtigen Themen anzuschneiden, Gegenspieler auszubooten und seinen Einfluss langfristig zu zementieren. Wie er den beliebten republikanischen Senator Marco Rubio bei den Vorwahlen seiner Partei besiegte oder durch die Ernennung erzreaktionärer Bundesrichter das Rechtssystem der USA in ein streng rechtes Monopol überführte, war ausgesprochen clever, vor allem im Sinne autoritaristischer Machtausübung (am Rand faschistischer Praktiken).


Dennoch wäre Trump wohl gescheitert, hätte er nicht große Teile der von ihm verbal gescholtenen Eliten hinter sich gehabt. Hightech-Milliardäre wie Elon Musk finanzierten seinen Wahlkampf, die Börsenkonzerne hofften auf seinen anarchischen Wirtschaftskurs, denn im Krieg aller gegen alle, für den Trump steht, glauben sie selbstverständlich, über die besseren Waffen zu verfügen – und tatsächlich stiegen die Aktienkurse nach Trumps Triumph weltweit. Auch große Teile der deutschen Wirtschaft scheinen klammheimlich auf das für sie „richtige Pferd“ gesetzt zu haben, wie die Net-Plattform Foreign-German-Policy im Oktober berichtete: „Deutsche Firmen spenden im US-Wahlkampf mehrheitlich für Donald Trump und für Kandidaten der US-Republikaner. Am deutlichsten bezogen die DAX-Konzerne Covestro und Heidelberg Materials Stellung; sie verteilten über 80 Prozent ihres Wahlkampfbudgets auf republikanische Kandidaten.“


Trotz seiner unzweifelhaften kognitiven Defizite, etwa in Disziplinen wie logischem Denken, Erinnerungsvermögen oder Allgemeinwissen, hält sich Trump für ein omnipotentes Universalgenie, und das macht stutzig. Diese Hybris mag lediglich auf ein übersteigertes Selbstbewusstsein zurückzuführen sein, sie könnte aber auch auf einen pathologischen Fall hinweisen. Der Verdacht einer krankhaften narzisstischen Persönlichkeitsstörung liegt nahe; auf jegliche Art der Kritik an ihm oder seiner Politik reagiert er mit hysterischen Ausfällen, erinnert an ein tobsüchtiges Kind. In dieser psychosozialen Gemengelage ließe sich dann nur noch konstatieren, dass der – möglicherweise – mächtigste Mann der Welt im politisch-ökonomischen Tagesgeschäft ein rücksichtslos berechnender Machtmensch mit populistischem Ausnahmetalent ist, in seiner geistigen Verfassung aber ein unberechenbarer psychisch Erkrankter.


11/2024


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