Putsch verschlafen?


Trumps gegenwärtige Tour de Force durch Welt- und US-Innenpolitik mag man/frau als vorläufigen Höhepunkt zügel-, regel- und skrupelloser Machtpolitik ansehen – sie findet aber in einer auch sonst von Disruption, Regression, ja schierem Chaos geprägten Zeit statt. Albträume und Dystopien scheinen Wirklichkeit zu werden, die Aufklärung verabschiedet sich mit der Vernunft im Gefolge. Und wir Deutschen stimmen an diesem Wochenende über die Zusammensetzung einer Bundesregierung, die ihre Wahl kleinkariertem Populismus und dem schlechten Gedächtnis der Bürger zu verdanken haben wird. Das globale Geschehen geht indes weiter, ohne Notiz von Berliner Intrigen zu nehmen. Die Medien aber versagen bei der Analyse, die digitalen, weil sie Fake und Realität als Brei ohne Nährwert servieren, die klassischen, weil ihr traditioneller Lager-Journalismus keine Erklärungen für eine hochgefährliche Entwicklung finden kann oder will – und so möglicherweise einen Staatsstreich in den USA verschläft.


Das Ende der Gewissheiten


Irgendwie hatten wir uns an das Dahinplätschern des ökonomisch-politischen Geschehens in den bürgerlich-demokratischen Systemen des Westens gewöhnt: Es gab Regeln und Gesetze, die ohne viel Aufsehen umgangen werden konnten, so man über die nötigen Geld- oder Machtmittel verfügte. Statt notorischer Korruption, wie sie in Staaten des europäischen und globalen Südens herrschte, sorgte hierzulande sanfter Lobbyismus dafür, dass Regierende wirtschaftsfreundliche Entscheidungen trafen und Subventionen an die richtigen Empfänger flossen. Es existierte Meinungsfreiheit, soweit diese den Status quo nicht ernsthaft in Frage stellte. Krieg, Hunger, Seuchen tangierten uns nur peripher, das heißt, sie existierten, aber nicht bei uns. Rassendiskriminierung, Ächtung alternativer Lebensformen und sexueller Orientierung galten als Relikte einer längst überwundenen miefigen Vergangenheit, der 1950er Jahre. Die Wohlstandsverteilung wurde zwar als ungerecht empfunden, aber die meisten Deutschen hatten ihr bescheidenes Auskommen.


Zugleich wurde der Ton in den internationalen Beziehungen gemäßigter, die Großmachtansprüche ließen nicht mehr so brachial durchsetzen, wie dies einst die USA in Vietnam versucht hatten. Dass dennoch zwei Interventionen im Irak und eine in Afghanistan stattfanden, erklärte Washington mit biblischem Vergeltungs- und Verhütungseifer, nicht imperialistischer Domänenmehrung. Inzwischen war auch die UDSSR friedlich zu Tode gerüstet worden, so dass ein Goldenes Zeitalter unter nordamerikanischer Ägide anstand.


Und dann das: Corona tritt eine Welttournee an und beweist, wie rasch Gesundheitssysteme selbst in den hygienischsten Ländern überfordert werden können und Politiker dann entweder kopflos oder ignorant handeln. Die NATO kreist Russland wie in den besten Zeiten des Kalten Kriegs militärisch ein und wundert sich, dass der lupenreine Autokrat Putin diese unnütze Machtdemonstration zum Anlass nimmt, die Ukraine mit heißem Krieg zu überziehen, wobei er die feindliche Landnahme ohne zeitliche und örtliche Einengung euphemistisch als „begrenzte militärische Spezialoperation“ bezeichnet. Die großen Bürgerkriege sind wieder da, von Syrien bis zum Sudan und Libyen, Diktaturen hingegen verharren oder zeichnen sich neu ab, der Hunger nimmt weltweit wieder zu, und Flüchtlinge suchen in Multimillionenstärke nach Orten der Zuflucht vor der einen oder anderen Menschheitsgeißel.


Und schon feiern im nur oberflächlich entnazifizierten Deutschland alte ausländerfeindliche und faschistische Denkmuster fröhlich Wiederauferstehung, und die relevanten Parteien – mit Ausnahme der Linken – bedienen vor der Bundestagswahl die nationalistische Hybris, machen angesichts einer allseits zerbröselnden sozialen wie infrastrukturellen Gemeinschaft die „Migrantenproblematik“, ein wichtiges, aber überschaubares Sujet, zum entscheidenden Kampagnenthema und überbieten sich mit halbgaren Abschiebungsphantasien. Dabei erhalten die entschlossensten Flüchtlingshasser überraschend Schützenhilfe aus Übersee…


Verramschte Wahrheitsfindung


Donald Trump mag Menschen aus dem Subkontinent südlich des Rio Grande, des „Tortilla-Vorhangs“ (Autor T. C. Boyle), nicht - Schwarze, Queere und Frauen übrigens ebenso wenig. Also schmeißt er die Latinos  aus seinem Gelobten Land oder lässt sie erst gar nicht hinein. Die Funktion des Wachhundes soll die mexikanische Exekutive übernehmen, wobei ihm ziemlich egal ist, wer die Äpfel seiner Farmer pflücken, alte weiße AmerikanerInnen pflegen oder die Kartoffeln in den Fastfood-Delis von L.A. oder New York schälen soll. Da er ein unerschütterliches Sendungsbewusstsein sein Eigen nennt, kommuniziert der Einwanderer-Nachfahre mit schottisch-deutschen Wurzeln freundlicherweise seine xenophoben Überzeugungen und warnt die Europäer davor, Flüchtlinge aus der Dritten Welt in ihr Land zu lassen.


Diese missionarische Leidenschaft bewog ihn offenbar auch dazu, seinen Vize-Präsidenten J. D. Vance zur Münchner Sicherheitskonferenz zu entsenden, wo dieser allerdings nicht über Sicherheit sprach, sondern eine Lanze für die AfD und andere Rechtsextreme brach. Er attestierte Europa, in erster Linie aber der Bundesrepublik, dass sie freie (im Klartext: faschistoide) Meinungen unterdrücke, was die „wahre Gefahr“ für die westlichen Demokratien sei, in denen „kein Platz für Brandmauern“ existiere. Und er empfahl die Zusammenarbeit mit der AfD, wie es vor ihm schon Elon Musk, der mit der Oberaufsicht über die Regierungsfinanzen, der „Entbürokratisierung“ und Zerschlagung des schwächlichen Sozial- und Gesundheitssystems in den USA betraute Super-Milliardär, getan hatte.
Einen Kommentar, der die handfeste Einmischung in fremde Innenpolitik kritisierte, überschrieb die Süddeutsche Zeitung (SZ) mit „Was für ein Affront“. Das erinnert an Salondebatten zu Großvaters Zeiten, als empört Sätze wie „Sie haben mich kompromittiert, mein Herr!“ fielen. Tatsächlich erklärt die SZ die Dreistigkeit des Trump-Vize damit, Vance kenne sich mit Koalitionen nicht aus, da es diese in den USA nicht gebe.


Dem Gast dürfte diese Deutung so egal wie jede denkbare andere sein, er hatte erreicht, was in der Trump-Administration als Triumph gilt, nämlich Krach zu schlagen, Randale anzuzetteln, zögerlichen Partnern Verachtung zu zeigen, sämtliche Regeln zu ignorieren und die daheim in den USA so erfolgreiche Crash-Revue ins schläfrige Europa zu exportieren. Was Trump als selbsternannter Sheriff mit seinem Kabinett des Grauens in wenigen Wochen abgeliefert hat, könnte der bürgerlichen Demokratie mit ihrer Gewaltenteilung den Todesstoß versetzen:


Wie ein Amokläufer, der alles blindlings zerstört, was ihm auf seinem Weg begegnet, brach Trump die Beziehungen seines Landes zur Weltgesundheitsorganisation ab, stieg aus dem Weltklimaabkommen aus, liquidierte die staatliche Krisenhilfe USAID, brach Freihandelsverträge mit Mexiko und Kanada, drohte Panama damit,  die Kanalzone wieder unter Washingtons Kontrolle zu bringen, erhob Anspruch auf Grönland, machte Elektrifizierungs- und Dekarbonisierungsansätze mit dem albernen Mantra „Drill, baby, drill!“ zunichte, zerschlug verfassungswidrig Behörden, entließ unter Missachtung des Arbeitsrechts tausende Staatsangestellte und und und.


Verständlich, dass er als Vorbestrafter nicht viel von Gesetzen hält – aber eine derart konsequente Missachtung geschriebenen Rechts, administrativer und sozialer Gepflogenheiten legt nahe, dass Trump, sein Mastermind Musk und die Deputies in seinem Horrorkabinett einen Putsch gestartet haben. Während hierzulande SZ oder SPIEGEL Trumps Toben als Eigenwilligkeiten beim Bürokratieabbau verharmlosen, nennt Annika Brockschmidt auf der mehrfach ausgezeichneten Faktenchecker-Plattform Volksverpetzer  das böse Kind beim Namen und bemängelt die Oberflächlichkeit der Berichterstattung in den klassischen Medien:


„Wenn ein Staatsstreich in einem Land passiert, das zu Deutschlands wichtigsten Verbündeten zählt und das die größte Volkswirtschaft der Welt darstellt, sollte man meinen, dass das Schlagzeilen machen würde. In den Vereinigten Staaten von Amerika reißt seit Tagen ein nicht-gewählter Oligarch (Anm.: Elon Musk) unermessliche Macht an sich, und deutsche Medien berichten weitgehend, als sei das alles politics as usual.“


Im New York Magazine spricht auch der Politikwissenschaftler Seth Masket  von einem Putsch, den vor allem ein Trump-Buddy orchestriert. “Musk ist ein Privatmann, der die Kontrolle über etablierte Regierungsstellen übernimmt. Das ist keine Effizienz, das ist ein Staatsstreich.”  Die Bildungsstätte Anne Frank warnt auf Instagram vor der Relativierung und Banalisierung erschreckender Vorgänge: “Völlig beispiellose, destruktive Politik wird nicht als solche bezeichnet und nicht auf ihre Konsequenzen hinterfragt.“ Wir müssten gerade registrieren, „wie die Medien die Zerstörung demokratischer Einrichtungen durch die Trump-Musk-Regierung nicht als solche bezeichnen“.


Auch in den USA hält sich die publizistische Empörung in Grenzen. Das mag zum Teil daran liegen, dass Presseagenturen, Sender und Printmedien Trumps Rachsucht und Klagelust fürchten. (Allein die Rechtsanwaltshonorare würden manchen Journalisten oder Verleger in die Insolvenz treiben – hier bedient sich der Präsident gerne der Justiz!) Wichtiger aber ist, dass die maßgeblichen Social Media in den Händen von Putschisten und deren Sympathisanten sind.


Verschwörung der Oligarchen


Es ist durchaus möglich, dass die Herren des Silicon Valley Donald Trump zunächst als allzu ordinären, verschwitzten Parvenü ablehnten. Ihre Sache war nicht die Marktschreierei, sondern die diskrete Beherrschung der Märkte und Datenmengen. Öffentlichkeit suchten sie nur, um neue Projekte und Produkte zu bewerben oder sich als Gutmenschen zu präsentieren.
Elon Musk war der erste, der erkannte, dass der einstige Baulöwe in seiner Rolle als Präsident Hindernisse aller Art, etwa Regulierungen bei Inhalten oder Monopolgefahr, beseitigen konnte, dass der Markt und die Manipulationsmöglichkeiten mit Trumps Segen quasi grenzenlos zu werden versprachen. Er schwenkte ins Lager des Narzissten, und dabei traf es sich gut, dass er gerade Twitter gekauft hatte, das weltweite Sprachrohr für Politiker aller Couleur. Musk benannte die Plattform in X  um und diente sie seinem neuen Freund wieder an, der zuvor wegen allzu dreister Lügen über den Wahlausgang 2020 suspendiert worden war.


Allmählich erkannten auch die anderen Superreichen ihre Chance. Jeff Bezos (Amazon) sorgte dafür, dass die von ihm erworbene Washington Post, einst Flaggschiff des investigativen Journalismus in den USA, nicht zu positiv über die Gegenkandidatin Harris berichtete. Mark Zuckerberg (Meta) stellte die Eliminierung von Fake News auf Facebook und in den anderen Diensten umgehend ein, wohlwissend, dass Trump nichts so ärgert wie die Suche nach der Wahrheit. Und Google-Chef Sundar Pinchai ließ einen siebenstelligen Betrag für die Inthronisation des Dauerblonden springen.


Natürlich ist es nicht so, dass man die Dienste nicht nutzen könnte, wenn man sich informieren möchte. Allerdings ist durchaus möglich, dass ein gut dressierter Algorithmus bestimmte Beiträge, die einen befreundeten Politiker in vorteilhaftem Licht abbilden, besonders gern und oft nach vorne schiebt…


Nun waren die New-Tech-Pioniere in Kalifornien und mittlerweile auch Texas noch nie überzeugte Demokraten. Sie hielten den „Pöbel“ zu keiner Zeit für kompetent genug, über die gesellschaftliche Entwicklung und die freie Entfaltung ihrer eigenen Geschäfte im Besonderen mitzubestimmen. So pflegten sie eine libertäre Gesinnung, sahen in Staat und Justiz lästige Kontrollinstanzen, die den Markt mit kleinlichen Vorgaben, Kontrollen und bigottem Geschwafel über Verantwortung und Nachhaltigkeit drangsalierten. Das erklärt, warum diese Männer mit Talent zu technologischer Innovation, betriebswirtschaftlichem Weitblick und mathematischem Verstand, überdurchschnittliche Beutegreifer mithin, sich hinter einem ihnen geistig weit unterlegenen Dilettanten, der nur bis zum nächsten Deal denken kann, scharen. Sie wollen von ihm vor Behörden, Gerichten und internationalen Konkurrenten geschützt werden und instrumentalisieren ihn als weltweiten Lobbyisten.


Dafür nehmen sie die unzähligen Absurditäten in Kauf, die Trumps Person, seinen geistigen Horizont und das barbarische Verhalten charakterisieren. Für das Privileg, ihn manipulieren zu können und von ihm geschützt zu werden, setzen sie ihren Menschenverstand vorübergehend außer Kraft und akzeptieren auch die krudesten Idiotien, etwa


- dass er die gesamte Bevölkerung von Gaza in arabische Flüchtlingslager

  deportieren will, um aus den Bombenkratern eine Urlaubsidylle à la

  Riviera zu gestalten (womöglich ein Auftrag für seinen Schwiegersohn

  Kushner, den "Immobilienentwickler"),
- dass seine stärkste Anhängertruppe sich aus evangelikalen Kreationisten

  zusammensetzt, die allen Ernstes glauben, Gott habe die Welt vor ca.

  6000 Jahren erschaffen, und wissenschaftliche Evlutionstheorien mit

  Inbrunst bekämpfen,
- dass er die Erderwärmung für Humbug hält und den Klimawandel für eine

  Erfindung durchgeknallter Meteorologen,

- dass er folgerichtig auf fossile Energieträger setzt und Umweltschutz für

  verzichtbar hält.


Um eine solche Agenda durchzusetzen, bricht Trump fortwährend nationales und internationales Recht, schwächt oder liquidiert staatliche Instanzen und vertraut ausschließlich Richtern, die er selbst eingesetzt hat. Das wiederum kommt den Anarcho-Oligarchen um Musk entgegen. Darum stellen sie ihm ihr gigantisches Medienpotenzial zur Verfügung.
Die traditionellen Medien in der Bundesrepublik beschäftigen sich unterdessen mit Petitessen, wie sie der Wahlkampf mit sich bringt, etwa, welcher Kanzlerkandidat höhere Einsparungen bei Bürgergeldempfängern ankündigt, um ein paar hundert Milliarden Euro für Militär und Reparaturen maroder Infrastruktur aufzutreiben. Wenn es um Trump geht, finden sie eher den degoutanten Stil und das skurrile Äußere interessant, nicht den konzertierten Putsch, mit dem das Faustrecht prähistorischer Zeiten in die absolute Marktdominanz integriert werden soll.


02/2025


Dazu auch:


Trumps Jünger im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2017)