| Der Kulturkrieger Eigentlich ist es eine Randnotiz, wer zum Staatsminister im Bundeskanzleramt für Kultur und Medien gekürt wird. Der Betreffende verfügt über kein eigenes Ressort, wird in wichtigen Sachen selten gehört und scheint mehr als feuilletonistisches Feigenblatt wirtschaftsorientierter Regierungen zu fungieren. Doch nach der äußerlich kunterbunten, inhaltlich eher bescheidenen Claudia Roth übernimmt nun mit Wolfram Weimer ein erzreaktionärer Verleger und Publizist das Amt – und das sagt einiges über die ideologische Ausrichtung des künftigen Kabinetts und die historisch-politischen Neigungen des neuen Bundeskanzlers aus, wohl auch darüber, wie weit die Bundesrepublik unter dem Ansturm der AfD bereits nach rechts gedriftet ist. Wortwahl eines „Edeldenkers“ Wer Wolfram Weimer einmal im sonntagmittäglichen Presseclub erleben durfte, war sicherlich davon angetan, mit welch überlegener Eleganz er den mit ihm debattierenden Journaille-Zwergen seinen über alle Zweifel erhabenen Standpunkt, der zumindest rhetorisch knapp über tiefbraunem Morast zu liegen schien, verdeutlichte. Das war gediegene Rabulistik, weit entfernt von den aggressiv-vulgären Vereinfachern Trump, Söder oder Weidel – dachte man. Doch schon früh zeigte sich, dass dem Mann, der unsere Werte und unsere Identität demnächst zu wahren hat, auch Gosse geläufig ist, wenn dies dem Zusammengehörigkeitsgefühl nützt. So beklagte er gemäß Wikipedia die „kulturelle Selbstvernichtung“, die „mit vielen Döner-Buden, fleißiger Zuwanderung und der Huldigung von Kanak-Deutsch“ beschleunigt werde mit dem Ziel, „die alten Nationalinstinkte auszutilgen“. Nun werden einige Leser der Meinung sein, die Austilgung urdeutscher Nationalinstinkte sei kein ganz schlechtes Unterfangen, doch belehrte Weimer bereits 2018 in seinem „Konservativen Manifest“ solche Defätisten und andere Toleranzapostel, dass Nachdenken über die deutsche Geistesverfassung nur Menschen vorbehalten sei, die ihr Ticket zur abendländischen Kongregation gelöst hätten. „Der Taufschein ist die Eintrittskarte in die europäische Kultur“, fabulierte er, denn: Die „Bindung an das Christentum stellt einen wichtigen Bestandteil der europäischen Identität dar.“ Weimer scheint entgangen zu sein, dass die Mehrheit der bundesdeutschen Bevölkerung die hiesigen Kulturangebote mittlerweile ohne Eintrittskarte nutzt. Aber einem großen Teil der heute bunt, multinational und divers geprägten Kunstszene würde er ohnehin jegliches Qualitätsprädikat verweigern, denn er ist ein Mann des autoritären Gestern, für den die Remigration zu abendländischen Privilegien aus den seligen Zeiten von Kolonialismus und Imperialismus auf der Agenda zu stehen scheint. Dabei überbietet er in seiner Wortwahl bisweilen sogar die AfD und mahnt lautstark ein elitäres Machtbewusstsein an, das die Weidels und Chrupallas bislang nur im Flüsterton zu loben wagen. Völkermord als „zivilisatorische Leistung“ Laut German-Foreign-Policy macht Weimer als Ursache für den Niedergang der kulturellen „Suprematie“ Europas allen Ernstes die Dekolonisation bzw. den Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus, dingfest. Die glänzenden Waffentaten des preußisch geführten Militärs in Afrika und auch die Feldzüge anderer europäischer Nationen finden im modernen Geschichtsverständnis seiner Meinung nach nicht mehr die ihnen gebührende Würdigung: „Europa vermehrt sich nicht mehr räumlich. [...] Territorial werden die Räume, die von europäischen Hauptstädten beherrscht werden, immer kleiner. [...] Im alten Kontinent wurde dieser erdrutschartige Machtverlust nicht einmal bedauert. Man betrachtete die eigene Kolonialgeschichte mit moralischen Gewissensbissen als illegitime Expansion. Noch heute wird in den Lehrplänen der Schulen [...] die dunkle Seite der Kolonialisierung als ein durchgehender Sündenfall dargestellt und kritisiert.“ Weimer lobt den europäischen Raubzug in Afrika und Asien gar als „zivilisatorische Leistung, die in einer Welteroberung steckt“. Wo gehobelt wird, fallen nun mal Späne, dürfte sich der auch mit altdeutschem Kulturgut vertraute Publizist angesichts der Blutspur europäischer Expansion gedacht haben. Es sollten nach Weimers Ansicht also eher der Heldenmut und die logistischen Fähigkeiten deutscher Generäle im Unterricht behandelt werden als die beinahe perfekt gelungene Ausrottung der Herero und Nama im heutigen Namibia oder die mehr als hunderttausend indigenen Toten bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstands und die Million Opfer, die der militärisch sinnlose Feldzug des rabiaten Verbrannte-Erde-Strategen Lettow-Vorbeck in Südostafrika forderte. Ganz zu schweigen von den geschätzten zehn Millionen Menschen, für deren gewaltsames Ableben im Kongo unsere belgischen Nachbarn verantwortlich zeichneten. In der Mitte der Gesellschaft In seinem „Konservativen Manifest“ beklagt Weimer, dass sich Europa weltpolitisch als „Expansionskraft aufgegeben“ habe und sich zur Zeit „nicht mehr räumlich“ vermehre. Eine EU ohne Raum schafft es also nicht, sich neue Kolonien oder zumindest Ländereien zu sichern, und das, obwohl sie doch von Putin lernen könnte, wie es geht… Dass die ökonomischen Hegemonialmächte sich inzwischen lieber auf Handelsdiktate, Aneignung ferner Bodenschätze und Ausbeutung indigener Arbeitskraft verlassen als auf Waffen und mühselige Terraineroberungen, versteht unser neuer ewig-gestriger Kulturstaatsminister nicht. Mit seinen unsäglichen Thesen lässt Weimer aber die AfD, von der er sich zwar immer mal wieder distanziert, deren Migrantenphobie er aber teilt, geradezu zahm erscheinen, macht sie beinahe salonfähig. Wolfram Weimer ist kein ungehörter oder ungelesener Medien-Nobody. Er war u. a. Chefredakteur von Springers Welt, des Focus und des neoliberalen Kampfblatts Cicero, das er auch selbst gegründet hat. Als Staatsminister im Kanzleramt hat er direkten Zugang zu Friedrich Merz, der sich auch schon am vielzitierten Brandmäuerchen gegen den Rechtsextremismus vergangen hat. Eigentlich soll der Kulturstaatsminister die kulturelle Szene im Land beleben, sich um neue Impulse kümmern, innovative Projekte begleiten und fördern, nur scheint bereits jetzt kaum ein Zweifel daran zu bestehen, in welche Richtung seine Gunstbeweise zielen werden. Fatal ist zudem, dass es Protagonisten des konservativen Mainstreams wie Weimer, der Opportunist Jens Spahn oder die CDU-Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt sind, die den Ultra-Nationalisten von der AfD mit ihrem gruseligen Weltbild und deren Anhängern das wohlige Gefühl vermitteln, in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. 05/2025 Dazu auch:
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