| Uwe Friesel, Romanautor und früherer Vorsitzender des Verbands Deutscher Schriftsteller (VS), über einen tragischen Helden unserer Zeit: Wird der sagenhaft böse Wolf zum Opfer aktueller Hysterie? Lupus est
Das tun leider einige frei lebende Wölfe. Vom Balkan und aus Polen kommend sind sie über Nacht bis zu uns nach Deutschland vorgedrungen und mittlerweile in mehrere Rudel aufgeteilt. Vor allem in Brandenburg oder in Niedersachsen. Dabei waren sie doch von uns Mitteleuropäern so gut wie ausgerottet worden! Warum? Ich vermute, da vermengen sich in unserem kollektiven Bewusstsein atavistische Ängste aus Märchen und Sagen mit dem Ersticken von Natur durch Straßen- und Städtebau. Neuerdings kann es vorkommen, dass uns irgendwo im Harz ein Exemplar über den Weg läuft. Wie reagieren wir? Sofort haben wir Bestie und Untier vor Augen, quasi reflexartig. Es nutzt dem Wolf auch nichts, dass er längst zu Literatur geworden ist, etwa in ”Wolfsblut” von Jack London. Oder dass er nunmehr überall auf der Welt die Comics mit monströsen Werwolf-Variationen füllt. Einmal in Deutschland angekommen, machte der Wolf den Fehler, nicht nur auf ehemaligen Truppenübungsplätzen der Nationalen Volksarmee zu verweilen, wie etwa in Sachsen-Anhalt, nein, er musste ja im Westen bis in die Lüneburger Heide vordringen oder gar bis an die Nordsee-Deiche. Die vom Wolfsriss betroffenen Schäfer haben nun weder Geld noch Lust, spezielle Schutzzäune zu errichten. Auch eigens für die Wolfsabwehr trainierte Schweizer Bernhardiner anzuschaffen statt fügsamer Flachland-Bellos ist ihnen zu beschwerlich. Doch genau diese Maßnahmen – nicht etwa die Flinte oder die Wolfsangel! – wären laut WWF der beste Schutz vor Wolfsrissen. Mit solchen Vorschlägen haben sich WWF und Tierschutzbund gewaltig verrechnet. Auch der Hinweis, die Kosten für angefressene Tiere würden vom Staat erstattet, hat keinerlei Sinn mehr. Denn jüngst hat das EU-Parlament die Wölfe von ”streng geschützt” auf ”geschützt” herabgestuft und damit, einer verbreiteten Grundüberzeugung folgend, die populistische Möglichkeit eröffnet, sie zu erschießen. Zwar ging das auch schon bisher, nämlich immer dann, wenn DNA-Spuren erwiesen, ein bestimmtes Raubtier habe schon öfter wahllos wehrlose Schafe gerissen – eine Einzelfall-Bewertung also vor jedem Schuss, im Gegensatz zum pauschalen EU-Placet, nun aber ist die Nation gespalten in Schafzüchter, nein, -schützer und Wolfschützer. Doch im Ernst: muss sich der normale Spaziergänger in Harz oder Heide wirklich vor Wölfen fürchten? Bislang habe es keine tödlichen Angriffe auf Menschen gegeben, teilt die EVP-Fraktion in der EU mit. Indes, für Haus- und Weidetiere stelle der Wolf zunehmend eine Gefahr dar. Und inzwischen hätten die Leute, die früher die süßen Wolfswelpen vom Auto aus zu fütterten wie auf jenem Ex-Truppenübungsplatz, auch immer mehr Angst vor Wölfen. Das weltanschauliche Problem lautet also: totschießen oder nicht. Zum ”Totschießen” müsste allerdings das Bundesnaturschutz- und Jagdgesetz geändert werden. Tja, gar nicht leicht, so eine gesamteuropäische Abschuss-Erlaubnis umzusetzen. Zu Anfang meiner Schriftstellerei las ich auf einer Steintafel in Rom den Satz von Plautus ”Homo hominem lupus est” – „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.” Den fand ich so prägnant, dass ich einen Roman daraus machen wollte. Später habe ich einfach ”Lupus est” geschrieben: „Er ist ein Wolf”. Doch dann habe ich diesen Titel zum Glück fallen lassen. Er wäre zu beleidigend gewesen. Für den Wolf. „Er ist ein Mensch” oder so ähnlich hat ja schon Nietzsche geschrieben. Uwe Friesel 06/2025 |
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