| Sahras Entzauberung Wer sich in Politikbereichen, die gerade für öffentliche Erregung sorgen, den Standpunkten von Rechtsradikalen nähert, sie sogar teilweise übernimmt, weil sie populär zu sein scheinen, schwächt die eigene Glaubwürdigkeit. Eine überbreite Koalition aus Union, SPD, Grünen und FDP musste dies bei den letzten Bundestagswahlen erfahren. Wer aber glaubt, zumindest partiell mit Neonazis und anderen Ausländerfeinden gemeinsame Sache machen zu können, wird sich am Ende in völliger Bedeutungslosigkeit wiederfinden. Was einige konservative Parteien der Weimarer Republik im Umgang mit Hitler erleben durften, droht nun dem BSW, dessen Galionsfigur Sahra Wagenknecht für ein wenig Machtteilhabe sich bereit zeigt, letzte linke Skrupel für Absprachen mit völkischen Misanthropen zu opfern. Anleihen bei Rechtsextremisten?
Als Sahra Wagenknecht die Linke verließ und das BSW gründete, galt sie vielen, vor allem im Osten der Republik, als Lichtgestalt, zwar links, aber nicht abgehoben, mit Gespür für die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen, genauer: der Wähler. Ihr Hauptthema war zunächst der Krieg in der Ukraine, ihr Ziel ein Friedensschluss unter allen Umständen. Angesichts der auch in NATO und EU vorherrschenden Expansions- und Rüstungsbesessenheit klang das moderat und vernünftig. Allerdings wurde in ihren Reden zwar die expansive Strategie der Westallianz im Vorfeld (mit einigem Recht) gegeißelt, nicht aber der völkerrechtswidrige russische Überfall, auch nicht Putins maßlose Kriegsführung. Mit einem Thema lässt sich kein Wahlkampf bestreiten (zumal, wenn eine konkurrierende Partei mit ähnlicher Argumentation arbeitet), also kamen durchaus berechtigte soziale Forderungen hinzu – und dann das heikle Sujet „Migration“, geradezu völkisch verkürzt auf illegale Einreise, islamistische Anschläge und Ausländerkriminalität. Manch eine/r begann sich zu fragen, ob die Wagenknecht-Partei immer noch unverrückbar links und antifaschistisch gegen den AfD-Nationalismus stünde oder ob sich allmählich ein Hang zum Rechtspopulismus zeige. Die Bundestagswahlen wurden zum Fiasko für das BSW, denn in Sachen Xenophobie erwies sich die AfD als Original und den Parteien, die ihre Brandmäuerchen selbst ruinierten, um im lukrativen Garten der Vorurteile wildern zu können, haushoch überlegen. Zudem wurde die bereits totgesagte Linke, die sich als einzige Bundestagspartei wider den Trend gegen Opportunismus und Migranten-Bashing stellte, vor allem von jüngeren Wählern belohnt. Suspekte Gemeinsamkeiten Als Sahra Wagenknecht noch ihr sozialistisches Image pflegte, betonte sie, eine mögliche Zusammenarbeit ihres BSW mit der „Höcke-AfD“ sei undenkbar, denn Höcke sei ein Faschist. Und mit Faschisten rede man nicht. Kurz vor der Bundestagswahl – in der Themenwahl gab es plötzlich Überschneidungen mit den Rechtsextremisten – differenzierte sie allerdings hinsichtlich des bräunlichen Führungspersonals. Eine inhaltliche Kooperation, etwa mit Alice Weidel, sei nicht ausgeschlossen, ließ die Ikone des links antäuschenden Opportunismus wissen. Einen Rest Brandmauer wollte sie allerdings noch stehen lassen, weshalb sie 2024 in einem Interview der Frankfurter Sonntagszeitung weiterhin Kontakte mit den extrem völkischen Vertretern der AfD, namentlich Höcke, kategorisch ausschloss: Der sei „ein Rechtsradikaler. Damit haben wir nichts zu tun.“ Davon abgesehen, dass man alle AfD-Mitglieder von Rang und Namen als extrem völkische Rechtsradikale bezeichnen muss, ließ Wagenknecht schon damals ein Hintertürchen im verbliebenen Stückchen Abwehrmauer gegen die ganz Extremen offen. Das BSW werde zwar nicht mit der AfD zusammenarbeiten, aber wenn diese inhaltlich gute Anträge einbrächte, werde man schon die Hand dafür heben und mitstimmen. Offenbar hat Sahra W. vergessen, dass alle Inhalte der Chauvinisten, ungeachtet zufälliger Ähnlichkeiten mit den Vorstellungen anderer Parteien, einzig und allein zum Zweck der Machteroberung kreiert wurden und nichts anderes als plumpe Propaganda mit der Absicht, die politischen Gegner vorzuführen und die eigene Lust an der gesellschaftlichen Dystopie mit konstruktiv wirkenden Phrasen zu kaschieren, darstellen. Auf dem Gebiet der medial wirksamen Manipulation bleibt die AfD unumstrittene Lehrmeisterin; da hätte das BSW noch viel zu lernen… Und Wagenknechts Machtwort zu Björn Höcke, dem Thüringer AfD-Führer, scheint sogar in ihrer eigenen Partei ungehört zu verhallen. Zumindest wollen manche ihrer Untergebenen sehr wohl mit dem Mann, den man ohne Angst vor Strafverfolgung als Nazi bezeichnen darf, zu tun haben. Zwei Stunden lang plauschte jedenfalls der Vorsitzende der Thüringer BSW-Landtagsfraktion, Frank Augsten, unlängst mit Höcke. Dem Vernehmen nach ging es dabei um eine Blockade bei der Besetzung wichtiger Justizgremien und um die Landespolitik allgemein. Der Vollständigkeit halber muss festgehalten werden, dass es auch im BSW selbst GegnerInnen von Wagenknechts Kuschelkurs gibt. So sind für die Thüringer Landesvorsitzende Katja Wolf Gespräche mit der AfD „undenkbar“. Ob sie und ihre antifaschistische Gruppe sich aber in einer Partei, die personenkultig nach der Gründerin benannt ist, gegen diese durchsetzen können, ist höchst fraglich. Mehrere AfD-Spitzen hingegen äußerten sich recht angetan über die Möglichkeit, einen zeitweiligen Juniorpartner zur Durchsetzung der eigenen Interessen rekrutieren zu können. Die beiden Bundesvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla etwa stünden laut Letzterem zu Kontakten bereit. Außerdem gebe es ja schon Gespräche in Sachsen und auf Bundesebene „über das, was Deutschland bewegt und wie man Mehrheiten verändern kann“, behauptete Chrupalla bei Welt TV. Sahra die Sphinx dementierte dies zwar, erklärte aber, sie sei offen dafür. Zudem habe es schon Gespräche gegeben, und zwar in Thüringen. Ausgerechnet in Höckes Reich! An konsensfähigen Themen fehlt es beiden Parteien nicht. Sie sehen in der „illegalen“ oder „unkontrollierten“ Migration die Mutter aller Übel und sind durchaus dazu bereit, das Grundgesetz zu beugen und die Genfer Menschenrechtskonvention zu ignorieren, um Deutschland für die Altdeutschen reinzuhalten. Sie leugnen den Klimawandel (AfD) oder halten die Beschäftigung damit für zweitrangig (BSW), ohne als soziale Konsequenz zu erkennen, dass Armut in zubetonierten Ghettos daran leidet und stirbt, während Reichtum ihn mit Klimaanlagen, SUVs und Kreuzfahrten befeuert. Dass AfD und BSW Friedensverhandlungen in der Ukraine fordern und den inflationären bundesdeutschen Rüstungsboom ablehnen, klingt zunächst logisch, muss doch ein Ausweg aus dem Krieg gefunden werden ohne den Aufbau konventioneller Overkill-Kapazitäten, die im Zeitalter der asymmetrischen Kriegsführung mittels Cyber-Attacken und medialer Manipulation sowie angesichts der globalen atomaren Bedrohung obsolet sind. Aber die imperialen Absichten und Kriegs- wie Menschenrechtsverletzungen durch Russland sowie die von der UNO legitimierte Souveränität eines zugegebenermaßen wenig sympathisch regierten Landes gänzlich zu ignorieren, ist (selbst eingedenk einer Mitschuld der NATO vor der Invasion) ein starkes Stück von Realitätsvergessenheit und belegt das Faible für gewisse autokratische und menschenverachtende Methoden. Welcher Antifaschismus-Konsens? Viele von denen, die nun das BSW beschuldigen, den hierzulande häufig beschworenen antifaschistischen Konsens verraten zu haben, sollten sich – soweit sie in den bürgerlichen Parteien sitzen – an die eigene Nase fassen oder sich zumindest fragen, ob diese hehre Übereinkunft in den letzten Jahren überhaupt noch in Kraft war. In den Kommunalparlamenten der östlichen Bundesländer stimmten Union und AfD immer mal wieder gemeinsam für ihre Lieblingsvorhaben. Um die Erhöhung der Rundfunkgebühren zum Januar 2021 zu stoppen, suchte sich Reiner Haseloff, CDU-Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, die Rechtsradikalen als Verbündete. Gegen das Heizungsgesetz der Ampel-Koalition tobten sich der bayerische Amtskollege Söder und der FW-Chef Aiwanger vor Quer- und Nichtdenkern auf einer Erdinger Kundgebung in reinster AfD-Diktion aus. Mehr als drei Jahre lang mühte sich die Ampel-Koalition ab, die von der AfD geforderte inhumane Aushöhlung des Asylrechts Wirklichkeit werden zu lassen (um den Rechtsextremisten durch rechtes Handeln das Wasser abzugraben). Friedrich Merz holte sich seinen ersten Abstimmungssieg im Bundestag noch vor der Wahl mit gnädiger Assistenz der AfD. Und zwischen die xenophoben Abschiebungsvorstellungen einer Alice Weidel und die eines CSU-Innenministers Alexander Dobrindt passt kein Blatt Schmierpapier. Schritt für Schritt aufgewertet haben die bürgerlichen Parteien durch ihre nachgiebige Strategie die AfD. Und nun lässt sich das BSW auf ein dubioses Techtelmechtel mit den Neofaschisten ein, das die Partei mit Sicherheit die Glaubwürdigkeit und möglichweise die Existenz kosten wird. Sahra Wagenknecht hat sich als linke Ikone selbst entzaubert. 07/2025 Dazu auch:
|
| |||