Göttliche Chauvis


Das Buch, von dem hier die Rede ist, könnte bereits den Titel dieser Rubrik, in der die Besprechung erscheint, als weitere Munition für seine steilen Thesen nutzen: „Helden unserer Zeit“ – ja gibt es denn keine Heldinnen? Zerknirscht muss ich zugeben, dass eine korrekte, da vollständige Bezeichnung der gebotenen Kürze und Lesbarkeit geopfert wurde (und darauf hinweisen, dass die hier zitierten Recken meist schlecht wegkommen). Wie eben seit den Anfängen der Humangeschichte Fähigkeiten und entscheidende Beiträge von Frauen via Religion, Justiz, Politik oder Sprache in den Hintergrund und ganz ins Vergessen abgedrängt wurden. Diese fortwährende Diskriminierung der Menschheitshälfte prangert das im Satyr-Verlag erschienene Kompendium „Männer, Macht und Mythen“ vehement an. Da es aber der Kabarettist Martin Buchholz geschrieben hat, können auch wir Machos uns in ein die berechtigte Scham linderndes Gelächter retten.





Von wegen Ruhestand


Als vor rund sieben Jahren der Kabarettist Martin Buchholz, unter anderem mit dem Deutschen und dem Schweizer Kabarettpreis prämiert, bekanntgab, er werde von der Bühne abtreten, schien Skepsis angesagt. Schließlich gehört der Wortakrobat, dem jeglicher Respekt vor politischer und ökonomischer Macht abgeht, zu einer Spezies, die einfach nicht verstummen kann: Er ist ein Berliner und im Gegensatz zu anmaßenden US-Präsidenten auch tatsächlich in jenem Babylon geboren, das für seine trotz chronischem Finanzmangel pausenlos neue Turmbauten in die märkische Wüste setzenden Bewohner berüchtigt ist. Meist gelangen die Hauptstädter nicht über das Fundament oder zumindest die Kreditaufnahme hinaus, aber dafür erschaffen ihre nie erlahmenden Schnauzen wahre Wunderwerke. Und da sollte einer der Eloquentesten, der auch noch Bedenkenswertes zu sagen hat, unter ihnen sich freiwillig dem vieldeutigen Schweigen verschreiben? Höchst unwahrscheinlich.


Aber Buchholz schien Ernst machen zu wollen. Irgendwann stoppte er nach dem Brettl-Tod auch seinen beliebten Satire-Newsletter und fand medial praktisch nicht mehr statt. Aber auch der konsequenteste Selbstverleugner vermag nichts wider seine wahre Natur, und so trat der Meister des losen Wortes, das ihm stets entfährt, wenn er mit Herrenmenschen, Machos und Rechtsaußen konfrontiert wird, wieder ab und zu auf, mal bei den Berliner „Wühlmäusen“, mal in Hamburg und sogar vor einer kleinen Schar kunst- wie naturbeflissener Deutscher auf Mallorca. Dann wurde auch der Newsletter wieder verschickt, und ich freute mich über meine Klarsicht: Um zum Irrwitz der aktuellen Weltpolitik den Mund halten zu können, hätte sich Martin Buchholz in ein Trappistenkloster einschließen und den Schlüssel durchs Zellenfenster werfen müssen.


Doch auch abgesehen von der analytisch-sarkastischen Kommentierung der globalen und nationalen Fehlleistungen war der erlesene Spötter produktiv gewesen. Er hatte nämlich an mehreren Büchern gearbeitet, von denen das jüngste soeben erschienen ist. In Auf einem wilden Streifzug durch Abend- und Morgenland, Religionen und Philosophie, von Steinzeit bis zur Gegenwart mäht der bekennende Feminist die eingewurzelten Vorurteile, misogynen Aggressionen und doofen Machismen links und rechts seines Weges mit scharfer Sensenklinge weg. Selten wurde der grundlegende Widerspruch in den meisten Humangesellschaften, die „legitime“ Unterdrückung oder zumindest Abwertung des weiblichen Geschlechts, derart scharfsinnig und unterhaltend zugleich charakterisiert. „Männer, Macht und Mythen“ ist eines der seltenen Beispiele für Aufklärung, die Spaß macht, das muss Buchholz (sogar) mein Neid lassen.


Parforceritt durch die Mythologien


Der Untertitel der Abhandlung lautet „Von Erschöpfern und Erschöpften“, denn die literarischen Fundamente von Kulten, Weltreligionen oder Philosophieschulen, in denen für Frauen gar keine oder nur sehr üble Rollen vorgesehen waren, wurden stets von männlich apostrophierten Welterschaffern, He-Gods sozusagen, gelegt, ab und zu auch nur hingeschludert. Und die Schöpfungsgeschichten der verschiedenen Religionen interessieren den Chronisten Dr. h.c. (humoris causa) Buchholz ganz besonders, obwohl sie sich bisweilen gar nicht so sehr unterscheiden, etwa weil die Juden und die Christen als Trittbrettfahrer mit ihrem Alten Testament kräftig von noch älteren Ergüssen der Sumerer und Babylonier abkupfert haben.


In der für ihn typischen Bescheidenheit beginnt er mit der Erschaffung seiner eigenen Person, bei der die Mama eine nicht unwesentliche Rolle gespielt hatte. „Unter massivem Druck zwang sie mich, sie zu verlassen“, jammert er nachtragend. Er sei „das Opfer einer femininen Erpressung“ geworden, womit er auch schon beim Wiener Trieb- und Seelenklempner Siggi landet und diesen für uns unbedarfte Leser interpretiert:
„Im Freud’schen Mythos führt diese Urverdrängung aus dem Schoß des mütterlichen Urweibs zu einem unumstößlichen psychoanalytischen Glaubensbekenntnis: Wenn bei irgendwem eine Schraube locker ist, dann liegt es an der Mutter.“


Die Schöpfungsgeschichten der großen Mythen ähneln sich – nicht ganz zufällig, wie Buchholz moniert:


„Er hatte eine Lehmform geschaffen, die er dann in der Sonne trocknen ließ. Doch so original und originell wie in der Genesis behauptet war diese Ursprungs-Schöpfung nicht. Herr J. (Anm.: Jahwe/Jehova) hatte nämlich Jahrhunderte zuvor an einem alternativen Töpferkurs teilgenommen, allerdings nicht in der Toskana, sondern im Nahen Osten.“


Moses hatte seine Kreationssaga tatsächlich dem viel älteren altbabylonischen Gilgamesch-Epos entlehnt. Dort war allerdings die Göttin Aruru die Human-Keramikerin. Im jüdisch-christlichen Legendenkreis und auch auf dem griechisch-antiken Olymp spielen Frauen hingegen nur nachrangige Rollen. Doch während Pallas Athene, die Göttin der Weisheit, der Strategie und des Kampfes, wenigstens noch dem Hirn des Göttervaters Zeus entspringen durfte, musste sich Eva als erste Menschin mit der Abstammung aus einem Kotelett des ziemlich tumben Erdenneulings Adam abfinden.


Böse Weiber


Wo Mann sich umschaute, bemerkte er in der mythologischen Welt der Hellenen unheilschwangere (!) Weiber, deren primäres Geschlechtsmerkmal oftmals eine bedrohlich einsaugende und verschlingende Funktion aufwies: Die Frau und das Ungeheuer Skylla und Charybdis arbeiteten in der Odyssee Hand in Hand am Untergang von Seeleuten, Büchsenöffnerin Pandora bescherte der Menschheit allerlei Plagen, und schon die Erdgöttin Gaia ließ im Kampf gegen den Emporkömmling Zeus ihrem Bauch einige höchst gefährliche Scheusale entweichen.


Buchholz entlarvt den femininen Horror-Reigen, der von der blutrünstigen Hindu-Göttin Kali über die männermeuchelnde Brunhild des Nibelungenlieds und die zur von Apoll bezwungenen Riesenschlange Delphyne bis hin zum Hexentanz des ausgehenden Mittelalters reicht, als Projektion des verunsicherten Macho, der seine Unterlegenheit auf unfaire und übernatürliche Einmischung schiebt, denn


„nichts Schlimmeres gibt es für ihn, als für einen Schlappschwanz gehalten zu werden. Das ist ein weitverbreitetes Männerleiden, eine typische Geschlechtskrankheit: die Urangst des Mannes, dass das schwache Geschlecht sein eigenes sein könnte".


Nachdem die Jäger und Sammler (ehemals Menschenaffen) zu sesshaften Feldbestellern geworden waren, schafften die selbsternannten Herren der Schöpfung unter ihnen durch Einführung der männlichen Erbfolge die matriarchalische Ordnung in Sippe und Stamm ab - und eigneten sich anschließend die Ober- und Deutungshoheit über die Sprache an.


„Ein Mann, ein Wort!“ Soll heißen: 'Mann' und 'Wort' sind offensichtlich Synonyme, zwei Begriffe für dieselbe Sache. Damit ist klar: Das Wort ist primäres männliches Geschlechtsmerkmal. Es steht dem Mann, und zwar zu. Darum ist es auch sehr peinlich, wenn eine Frau in aller Öffentlichkeit das Wort ergreift. Oder es gar in einer Diskussion dem Mann abschneidet – eine verbale Kastration.“


„Na also!“, würde der volkstümelnde Held unserer Zeit, Markus Söder, dazu meinen. „Was soll mann denn gendern, wenn doch klar ist, dass die maskuline Elite ohnehin das Gelbe von den Eiern ist. Folgerichtig hat er bayerischen Schülern und Beamten das Binnen-I oder Sternchen und ähnlich Emanzipatorisches gleich ganz verboten.


Bisweilen schreibt sich Martin Buchholz in einen solchen Furor, dass ihm Worte und Sätze entfleuchen, noch ehe sein Hirn sie auf Sinnhaftigkeit überprüfen konnte. Dankenswerterweise lässt er uns Leser an einem solchen Schaffensprozess, die Umtriebe des Griechengotts Apoll betreffend, teilhaben:


„Natürlich wollte er zwecks Image-Aufbesserung auf eine gewisse Traditionspflege der Tempelgeschichte nicht verzichten, um mit dieser Identity-Performance einen Credibility-Access früherer Klientel zu erleichtern (wenn Sie verstehen, was ich meine. Falls ja, wäre es freundlich von Ihnen, mir das zu erklären).“


Noble Allmachtsphantasien


Als Journalist und Kabarettist schien Buchholz mit allen möglichen Formen politischer, medialer und humantheoretischer Absurdität vertraut, was er allerdings im 25. Kapitel seines Buchs berichtet, überschreitet unseren Vorstellungshorizont und beweist, dass es vom Genie zum Größenwahn nur ein winziger Schritt ist. Er stieß auf das Buch „Das umstrittene Experiment: Der Mensch“ des österreichischen Zukunftsforschers Robert Jungk aus dem Jahr 1966 über ein Treffen von Nobelpreisträgern auf der Insel Mainau, zu dem ein Chemiekonzern (!) eingeladen hatte. Die in Stockholm zu Rittern des geistigen Hochadels geschlagenen Wissenschaftler, waren allesamt auf dem Fachgebiet der Genetik tätig – und demonstrierten am Bodensee sogleich, wie segensreich und zielführend ihre Disziplin ins reichlich kopflose Walten der Humanevolution eingreifen könnte.


Zunächst einmal klärten sie in bester sozialdarwinistischer Tradition, wessen Dasein auf Erden denn eigentlich Sinn mache und daher geduldet würde: „Haben bestimmte Menschen überhaupt das Recht, Kinder zu bekommen? Zumal Kinder eigentlich nur aus Versehen entstehen“, räsonierte der englische Genetik-Forscher Francis Crick, was sein Landsmann J.B.S. Haldane zu einer kühnen Forderung, die in der Diktion an ein zwölf Jahre währendes Millenium reichsdeutscher Hybris erinnert, ermunterte: „Was wir brauchen, ist die Züchtung einer neuen Elite… unter der ich grob gesprochen Menschen wie uns hier verstehe.“ Dass solche Inzucht unter Nobelpreisträgern nur die allerbesten Ergebnisse zeitigen könne, glaubte auch US-Kollege Joshua Lederberg: Bald werden bisher noch ungeahnte Dinge in der Humangenetik zum Wohle des Menschen machbar sein.“


Über die Beteiligung, den freien Willen, die Selbstbestimmung der Frauen haben diese göttergleichen Männer nicht diskutiert, sondern nur (wie Buchholz anmerkt)

„ …über die Möglichkeit der Menschenmacherei ohne die lästige Beteiligung eines weiblichen Bauches – also über die Fabrikation von menschlichen Wesen, die nicht aus einem dunklen Mutterschoß herausgechmaddert, sondern sauber herausfantasiert aus der väterlichen Birne.“


Es sind solche Passagen, die einem Ernst und Aktualität des Themas, die mit Witz und Scharfsinn umrissenen Folgen und Ziele vorgeblicher maskuliner Omnipotenz, nachdrücklich vor Augen führen. Manchmal klären satirische Zuspitzungen über den Zustand und die Irrwege der menschlichen Gesellschaft eben genauer auf und regen eher zum Nachdenken an als viele empirische Abhandlungen.


Martin Buchholz: „Männer, Macht und Mythen“, 175 Seiten, 20 €; im Buchhandel oder direkt unter kontakt@martin-buchholz.de zu bestellen (+3 € Versandkosten)


12/2024


Dazu auch:


Easy way out… im Archiv der Rubrik Medien (2017)