| Musk wie Muskete Vorbemerkung: Ende des 16. Jahrhunderts wurde eine neue Feuerwaffe für die Infanterie entwickelt: Die Muskete löste die umständlich zu handhabende, zu schwere und ineffektive Arkebuse ab, der Gewehrlauf war nun länger und garantierte eine gesteigerte Reichweite. Mit ihr konnte auf den Schlachtfeldern schneller und gezielter getötet werden. Dieser technische Fortschritt revolutionierte das Kriegswesen der Neuzeit. Spanische und französische Soldaten schossen damit aufeinander (s. Dumas‘ „Die drei Musketiere“ ff), und später eroberte Großbritannien mit Hilfe der Muskete sein Weltreich. Natürlich ist es Zufall, dass der Name des Milliardärs und Freibeuters Musk die Stammsilbe einer tödlichen Waffe ist, aber die zerstörerische Wirkungsmacht des Einen könnte heutzutage ähnlich fatale Folgen zeitigen wie der Effekt des Gewehrs damals. Dann wäre nomen tatsächlich omen. Kaum haben sich nachdenkliche und nachhaltig denkende Menschen einigermaßen von dem Schock erholt, den ihnen die erneute Wahl eines geistig insuffizienten, für Börse und Kapitalspekulation aber höchst effektiven Baulöwen und Pleitiers zum US-Präsidenten versetzt hat, da tritt aus dessen Schatten ein noch furchterregenderer Gefährder jeglicher harmonischen Entwicklung auf Erden: Elon Musk ist der Krösus unter den Superreichen, aber das genügt ihm nicht, er will seine Allmachtphantasien global in Realität umsetzen, Wirtschaft wie Gesellschaft nach einem rigiden Muster umkrempeln und eine Art Science-Fiction-Version der Zukunft implementieren, die sich den Stoff aus den Marvel-Comics borgt und selbst die schüchternen Ansätze positiver sozialer Veränderung als Restmüll der Vergangenheit diffamiert. Der allmächtige Wahlhelfer Erst als der Multi-Milliardär in der vom konservativen Edelblatt zur Kampfpostille für die rechtsnationalen Teile der Mittelschicht umfunktionierten Welt am Sonntag (WamS) die AfD als einzige Partei beschrieb, die Deutschland, das sich „am Rande eines wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenbruchs“ befinde, durch einen „pragmatischen Ansatz“ in der Wirtschafts- und Migrationspolitik retten könne, wurden die Berliner Politiker, die sich zuvor regelmäßig auf Musks Medienplattform ausgeweint hatten, richtig böse. Dabei war der vermutlich reichste Erdenbürger, der das überdrehte Meinungsforum Twitter für 44 Milliarden Dollar gekauft und zur rechtsextremen Dreckschleuder X umgebaut hatte, bereits vorher durch seine ganz spezielle Einschätzung der internationalen Politik aufgefallen. Auf X nannte Musk Bundeskanzler Scholz schon mal einen Trottel oder forderte sofortige Neuwahlen für Großbritannien, obwohl sein Lieblingsfeind, der Labour-Premierminister Keir Starmer erst vor einigen Monaten mit überwältigender Mehrheit ins Amt gewählt worden war. Mit mehr als 90 Millionen Euro wollte er zunächst die Partei Reform UK des Chauvinisten Nigel Farrage unterstützen (der ihm aber plötzlich zu weich erschien). Den noch radikaleren Tommy Robinson – geistiger Urheber der Ausschreitungen weißer Rassisten gegen farbige Migranten vor allem im englischen Nordwesten und wegen Missachtung gerichtlicher Auflagen derzeit in Haft – sieht er als Justizopfer (statt seiner würde er lieber Premier Starmer ins Gefängnis werfen). Zuletzt beleidigte er den deutschen Bundespräsidenten Steinmeier ein wenig tautologisch als „undemokratischen Tyrannen“. Nun kann man/frau dem obersten Sittenwächter hierzulande den hohen moralischen Anspruch angesichts seiner dubiosen Rolle als Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator unter Schröder, etwa beim Luftschlag gegen Serbien, nicht ganz abnehmen, als Despoten mag man ihn sich dennoch nicht vorstellen. Ganz weit nach Rechtsaußen muss man den Blick richten, will man PolitikerInnen finden, die Musk genehm sind. Die Neofaschistin und Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat er in sein Herz geschlossen und verteidigt sie gegen die italienische Justiz, die ihr den Abtransport von Flüchtlingen nach Albanien verbietet: „Diese Richter müssen weg!“ Weitere hochrangige Juristen werden von ihm auch anderswo verdammt, in Brasilien etwa, wo sie gegen Hetzkampagnen in den Social Media (also auch auf X) vorgehen und gegen seinen Bruder im Geiste, den Putschistenfreund und Ex-Ministerpräsident Bolsonaro ermitteln. Sein absoluter Darling aber ist der argentinische Wirrkopf Javier Milei, der den Staat, insbesondere den Wohlfahrtsstaat, erklärtermaßen zerstören und als anarchischer Sozialdarwinist das ohnehin verbriefte Recht des Reicheren auf Vorzugsbehandlung von den paar steuerlichen Verpflichtungen, Umwelt- oder Arbeitsschutzauflagen befreien will, zu der sich die bürgerliche Demokratie durchringen konnte. Warum aber genießt Musk seine Milliarden und seine Marktmacht nicht in vollen Zügen, sichert sie durch die üblichen Machinationen im Hintergrund ab und begnügt sich nicht mit der Rolle der grauen Eminenz, die diskret dem Popanz Trump den Weg weist? Die stets auskunftsbereite, aber nicht allzu weit und tief denkende Co-Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, glaubt die Antwort zu kennen. Der Tesla-Chef habe in seinem Leben nur ein Ziel, sagt sie. „Das ist, noch reicher zu werden. Und all das, was er tut, tut er auch genau mit diesem Ziel.“ Es gehe Musk „ums Geschäftemachen und natürlich auch um die Manipulation von Meinungen“. Letzteres stimmt, ansonsten aber greift dieser Erklärungsversuch viel zu kurz. Geld ist nicht alles Natürlich zieht Elon Musk aus allem, was er sagt, tut oder initiiert, auch materielle Vorteile. Ob er sich in Brandenburg Millionenzuschüsse sowie Verstöße gegen den Naturschutz bei Bau und Erweiterung seiner Tesla-Gigafactory genehmigen lässt – und zwar von einer Landesregierung, in der die von ihm abgrundtief verachtete SPD das Sagen hat – oder durch die Berufung als Berater in der künftigen Trump-Regierung den Wert seiner Unternehmensbeteiligungen fast verdoppelt – nichts geschieht ohne merkantiles Kalkül. Aber damit sind die Besessenheit, mit der Musk das System, in dem er reüssieren konnte, oder zumindest dessen Notbremsen und Sicherheitsvorrichtungen zertrümmern will, sein fanatischer rechtsradikaler Internationalismus und die fast zwanghafte verbale Omnipräsenz auf allen Medienkanälen noch lange nicht erklärt. Elon Reeve Musk wurde 1971 in Pretoria geboren und lebte nach der Scheidung seiner Eltern die meiste Zeit bei seinem Vater, dem er und seine Geschwister später psychische Gewalt vorwarfen. In seiner Kindheit und Jugend galt er in der schulischen Umgebung als Außenseiter, wurde gemobbt und verprügelt, bis er sich u. a. durch Karate und Ringen fit für die feindliche Umwelt machte. Nachdem er mit 18 Jahren über Kanada in die USA eingewandert war, warf er sich auf die E-Technologie und zeigte außergewöhnliches Talent beim Einwerben von Risikokapital für seine Startups. Er übertrumpfte seine Kollegen Zuckerberg oder Bezos in der Reichweite seiner Visionen, vor allem was den künftigen Verkehr zu Land (Tesla), in der Luft und im All (SpaceX) sowie die Potenziale der Entwicklung und des Einsatzes von KI (OpenI) betraf. Und Musk war erfolgreich, auch wenn einige seiner vielen Projekte früh scheiterten. Schon als Gründer des Bezahldienstleisters X.com, aus dem PayPal hervorging, verdiente er Milliarden. Doch es war nicht nur das Geld, das ihn zum ruhelosen Workaholic werden ließ, wie Saskia Esken mutmaßt; alles, was technisch machbar schien, faszinierte ihn, seine Pläne und Utopien zog er laut SZ aus dem Comic-Universum der Superhelden – und manche eher belächelte Vision von dort, verwirklichte er tatsächlich. Aus seinem Privatleben wurde indes bekannt, dass wechselnde Partnerinnen seine Unrast nicht ertragen konnten, dass ein Kind sich von ihm lossagte, dass er in Phasen tiefster Depression verfiel, nur um sich danach in manischer Hast auf das nächste Projekt zu stürzen. Als Chef überforderte er seine Mitarbeiter regelmäßig und vernachlässigte die Sicherheitsbestimmungen in seinen Werken. Gewerkschaften hasst er bis heute, die Arbeitsatmosphäre in seinen Betrieben wird von ehemaligen Beschäftigten als unzumutbar beschrieben. Man kann nur vermuten, dass der Mann mit der immensen Inselbegabung für Hightech und die Mechanismen des E-Kapitalismus sozial nie irgendwo integriert war und sich daher stets neu als Bester, Schnellster, am weitesten Springender beweisen musste. Und dass er ab 2022 immer mehr nach rechts tendierte, sich seine Kumpane unter Verschwörungstheoretikern, faschistischen Politikern oder populistischen Scharlatanen wie Trump suchte, mag aus der unsteten Biografie, gepaart mit der Wut auf staatliche Institutionen und Regierungen, die mit Regulierungen und Gesetzen seinen Amoklauf in die Zukunft bremsen könnten, herrühren. Sein besonderes Faible für Rassisten in aller Welt erklärt sich vielleicht aus der Kindheit in Südafrika, wo die weiße Minderheit sich immer noch als wohlhabende Wagenburg inmitten eines riesigen schwarzen Prekariats fühlte. Mit dem Elitärsten gegen die Eliten In seinem Größenwahn glaubt Musk an die Besiedlung des Mars und die organische Vermählung künstlicher mit humaner Intelligenz, während die Erde gerade an Krieg, Umweltzerstörung und Hunger zugrundegeht. Eigentlich müsste er aus der Geschichte gelernt haben, dass nicht alles, was denk- und machbar ist, auch wirklich in Angriff genommen werden sollte (s. Atombombe oder auch nur Asbestdämmung). Doch dem Gottgleichen gilt jeglicher technische Fortschritt als Gebot, das nicht wegen möglicherweise verheerender Folgen angezweifelt werden darf, da ihm das, was etwas antiquiert als sittliche Reife bezeichnet wird, und vor allem jegliche Empathie abgehen. Nein, es sind nicht nur immer neue Reichtumsrekorde, die Musk beflügeln, er möchte nicht – wie Dagobert Duck – in immer mehr Talern baden; was ihn treibt, ist die Gestaltung der Welt nach einem sozialdarwinistischen Schema, in dem natürlich er die Richtung vorgibt. Die Soziologin Brooke Harrington, die am Dartmouth College in New Hampshire über die Strategien der Superreichen forscht, stellt Elon Musk in eine Reihe von Oligarchen, darunter Jeff Bezos (Amazon) oder Peter Thiel (mächtiger US-Investor mit dezidiert rechtsradikalen Ansichten), die eine „antidemokratische Vision“ pflegen. Diese teilen wohl auch Silicon-Valley-Magnaten wie Mark Zuckerberg (Meta) oder Tim Cook (Apple). Nur war Musk seinen Kollegen und Konkurrenten stets einen Schritt voraus. Um auf seine meist kruden Meinungen, Forderungen und Drohungen aufmerksam machen zu können, kaufte er Twitter und übernahm damit ein globales Multimillionen-Publikum, während Jeff Bezos lediglich ein Papiermedium mit bescheidenem Radius, die Washington Post, übernahm, um unlängst der Redaktion zu verbieten, positiv über die demokratische Präsidentschaftskandidatin Harris zu berichten. Und als einer der Ersten setzte Musk im Wahlkampf auf das richtige Pferd, weil er erkannte, dass Donald Trump der Newest Economy staatliche und verwaltungsjuristische Hemmnisse aus dem Weg schaffen und in der Öffentlichkeit ein mediales Chaos anrichten würde, das allen Lügen, alternativen Tatsachen, verbalen Brutalitäten oder faschistoiden Machtphantasien den Weg ebnen konnte. Die Wissenschaftlerin Harrington schreibt, Musk wolle anstelle der Demokratie eine Herrschaft von „mächtigen Männern“ wie ihm selbst etablieren. Man darf sich ein Gesellschaftssystem ohne Integration, Inklusion, Nachteilsausgleiche, staatliche Gesundheitsfürsorge, juristische Kontrollen und Prüfung profitsteigernder Projekte vorstellen; administrative Maßnahmen zum Naturschutz und gegen den Klimawandel (den Musk nicht leugnet) würde es nicht geben, da staatliche Eingriffe ja generell das libertäre Unternehmertum in seinem Fortschrittsrennen behinderten. Die Entscheidungsbefugnisse lägen bei den Reichsten und Rücksichtslosesten, somit den Stärksten. Utopisch überspitzt: Sollte unter solchen Umständen die Erde eines Tages kollabieren und weithin unbewohnbar werden, könnte sich die Elite ja auf den Mars retten, der dank SpaceX bis dahin längst zu einem wohnlichen Ort umgestaltet wäre. Trotz allem darf man Elon Musk nicht dämonisieren, seine Strategien sind durchschaubar, sein Einfluss wäre zu beschneiden – wenn User und Gegner nur Vernunft zeigten. Aber in Großbritannien initiierte er binnen Kurzem mittels längst widerlegter Behauptungen, dass Premier Starmer vor zehn Jahren als Staatsanwalt bei der Strafverfolgung von Kinderschändern versagt habe, die größte Petition der britischen Geschichte: Drei Millionen Bürger glaubten Musks Fake auf X und forderten den Rücktritt der Regierung. Und in Deutschland regte sich das gesamte Bundeskabinett über die Beschimpfungen des Oligarchen auf derselben Plattform auf – und doch ließen es sich einige Mitglieder nicht nehmen, das toxische Medium weiterhin als Sprachrohr zu nutzen. Eigentlich kann Musk sich derzeit nur selbst schaden, weil er sich überall einmischt und inzwischen mit seiner notorischen Besserwisserei möglichen Verbündeten auf die Nerven fällt (s. der Bruch mit Farrage). Schon immer hat die Crème der Industrie und Finanzwirtschaft die öffentliche Meinung manipuliert und sich Vorteile durch Alimentierung von Politikern oder Journalisten verschafft. Doch dies geschah diskret, unter der Hand, so wie die Ziele der Machenschaften im Verborgenen bleiben sollten. Elon Musk hingegen plärrt seine zweifelhaften Absichten in die Welt hinaus, der das offenbar gefällt, denn seine Fans erkennen nicht, dass für sie in der strikt von einer Elite dominierten Gesellschaft kein angemessener Platz bleibt. Unisono betonen rechtsextreme Parteien in Europa und Trump-Anhänger, dass ihr Kampf den ignoranten und dekadenten Eliten gelte (und meinen damit nicht nur bürgerliche Regierungen und verschwenderische Reiche, sondern auch progressive Kulturschaffende oder diverse Aktivisten). Zugleich aber buhlen sie um die propagandistische und finanzielle Unterstützung durch den Elitärsten auf dem Markt – so wie sie immer wieder Spenden von erzreaktionären Unternehmern annehmen; was die AfD betrifft, auch gern aus der Schweiz. Das Gespräch zwischen AfD-Frontfrau Weidel und Elon Musk auf X war ein funkelndes Feuerwerk hanebüchener Unwahrheiten, ob es nun um Migration und Kriminalität in der Bundesrepublik ging, um den ökologischen Nutzen von Atomkraftwerken oder um Weidels Enttarnung Hitlers als Kommunist. Jedenfalls zeigten sich in einer zerrissenen Welt wenigstens diese beiden propagandistischen Lautsprecher in harmonischem Einklang. Der Talk ließ lediglich die Frage offen, wer in höherem Maße unter seiner Schizophrenie leidet: Alice, die kalte Fürsprecherin der angeblich entmündigten Wutbürger, oder doch Elon, der große Entmündiger? 01/2025 Dazu auch: Eine gewisse Freiheit im Archiv der Rubrik Medien (2022) |
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