Frohes Fest, Heuchler!
Kurz vor Weihnachten hoffen nicht nur Kinderherzen auf die Erfüllung aller Wünsche. Die Ultra-Nationalisten und Neofaschisten in der EU indes müssen nicht mehr bis zum Heiligen Abend warten, die Innenminister der 27 Mitgliedsstaaten haben sie bereits im Vorfeld des Festes der Liebe üppig beschert. Was immer die Sozialdarwinisten und Aktivisten gesellschaftlicher Dystopie aufs Tapet brachten, die bürgerlichen Regierungen Europas erfüllten in einem gigantischen Schwenk nach rechts ihre Forderungen willfährig, und das – wie es scheint – durchaus gerne…
Reicher Gabentisch für Rechtsextreme
Nun beugen sich die EU-Kommission und das Parlament in Brüssel schon seit geraumer Zeit dem von populistischen Parteien (die in Ländern wie in Italien, Tschechien oder der Slowakei bereits die Regierung stellen) generierten Druck, wenn es gegen die Förderung einer gesünderen und umweltbewussten Landwirtschaft, die Renaturierung von Brachflächen oder den Schutz der Wälder geht. Doch den notorischen Leugnern des Klimawandels und fanatischen Gegnern ökologischer Maßnahmen geht die Rückabwicklung des einst von der Grande Dame des europäischen Opportunismus, Ursula von der Leyen, so hymnisch gefeierten Green Deal noch lange nicht weit genug.
Und siehe da, die Konservativen (und großenteils auch die Liberalen sowie Sozialdemokraten) reichen auf einem Innenministertreffen und im EU-Parlament den Rechtsradikalen quasi über die Trümmer des so treuherzig beschworenen Brandmäuerchens hinweg die Hand und beglücken ihre neuen Taktgeber mit zwei besonders begehrten Geschenken:
Gewissenhaft haben die Innenminister in Brüssel die Genfer Flüchtlingskonvention bis zur Unkenntlichkeit entstellt, Asylsuchende zu mutmaßlich Abzuschiebenden deklariert, die nach kurzen Verfahren an den Grenzen, besser aber noch außerhalb des EU-Territoriums, in ihre Heimatländer deportiert werden können. Und wenn das nicht geht, feiert das sogenannte Ruanda-Modell des britischen Wirrkopfs Boris Johnson, der die Beherbergung und den Schutz der Verfolgten gegen harte Währung dem Diktator Kagame in Kigali anvertrauen wollte, eine erstaunliche Wiederauferstehung. Italien verschifft unter Missachtung von Urteilen der eigenen Gerichte Flüchtlinge nach Albanien, und die Niederlande wollen Migranten nach Uganda abschieben, wo der Langzeit-Autokrat Museveni, berüchtigt für die Duldung homophober Gewaltexzesse und – wie der ruandische Amtskollege Kagame – verstrickt in den schmutzigen Krieg um Seltene Erden und andere Rohstoffe im Kongo, die fürsorgliche Wegsperrung übernehmen soll.
„Es geht um Kontrolle, Kurs und klare Kante“, frohlockt da Innenminister Alexander Dobrindt und darf sich im Einklang mit den Brüdern wie Schwestern von der AfD, der österreichischen FPÖ, dem französischen RN, den italienischen Fratelli oder von Vox in Spanien fühlen, also all den Ultra-Nationalisten, mit denen sein Kanzler angeblich nichts zu tun haben will. Und damit sich die Herrschaften von ganz Rechtsaußen wie im Schlaraffenland vorkommen, wo man den Mund öffnet, um heiße Luft auszustoßen, und einem danach Aufgewärmtes in brauner Sauce zwischen die Lippen fliegt, soll nun auch das von der EU-Kommission beschlossene Aus für die Zulassung von Verbrenner-Motoren ab 2035 schrittweise zurückgenommen werden. Da freuen sich auch deutsche Automobilhersteller, die den Zug in die Zukunft verschlafen haben, und mit ihr die Benziner-Lobbyisten in der Bundesregierung, da leiden allerdings Klima wie Natur und die Bürger, wenn auch die Verschlechterung der Luftqualität und die damit verbundene Lebensverkürzung für viele nicht sichtbar ist.
Das christliche Nachtland
Vor allem die AfD erklärt gern und immer wieder, sie wolle die abendländischen Werte vor der Überfremdung retten, somit eine Umvolkung durch millionenfache Abschiebung verhindern, quasi Europa vor der Invasion der andershäutigen Barbaren (vulgo Kanaken) bewahren. So deutlich würde dies einem Friedrich Merz niemals über die Lippen kommen, er weist höchstens launig darauf hin, dass das Wimmelbild einer deutschen Stadt gewisse Farben und orientalische Paschas nur in beschränktem Ausmaß verträgt.
Angesichts des kontinentalen Rückfalls in längst überwunden geglaubte „Traditionen“ wie Fremdenhass, Homophobie, Nationalismus oder absolutistische Machtanmaßung könnte man/frau annehmen, Wellen mittelalterlicher Massenhysterie schwappten über Europa und schwemmten die dünne, von Politikern und Wirtschaftsführern arg strapazierte Tünche moderner Zivilisation hinweg. Da es – je nach Gemütslage – fünf vor oder fünf nach Mitternacht zu sein scheint, lässt sich der Begriff christliches Abendland nicht mehr halten, wir leben mittlerweile eher in einem von chronisch schwindendem Bewusstsein geprägten Nachtland (vom Attribut christlich wird weiter unten noch die Rede sein).
Dass archaisch-primitive Instinkte in der öffentlichen Meinung die Oberhand gewinnen, ist sicherlich auch der Reizüberflutung durch latente Werbung, einer unentwirrbaren Masse von Informationen und Fakes oder der überbordenden Digitalisierung (man denke nur an die Desorientungspotenziale der KI). Aber hinter allen technologischen Manipulationen stecken (zumindest bis jetzt noch) Menschen, und zwar solche, auf die eine Endzeit-Maxime unseres Systems in besonderem Maße zutrifft: Und wenn die Erde untergeht, wird immer noch jemand davon profitieren wollen.
Im ökonomischen Sinn gehören zu jener Spezies von Hasardeuren die Konzernlenker, die für ihren Gewinn die Ressourcen des Planeten bis zur völligen Erschöpfung ausbeuten oder das Denken der Menschen nach ihren Vorstellungen regulieren wollen. Auf der politischen Seite sind es fanatische MisanthropInnen, die ihre Aversion gegen alles Fremde, Ungewohnte und die dialektische Auseinandersetzung zur Ideologie erklären und statt nachhaltiger Perspektiven die faschistische Machtausübung als Lösung anpreisen, die Weidels und Höckes, Orbáns und Giorgia Melonis (um von der Leyens und Trumps Sweetheart nicht zu vergessen).
Frommes Märchen, fiese Realität
Aufgehalten werden soll diese braune Welle unter anderem von Politikern, die sich als christlich bezeichnen und teilweise ihre Parteinamen sogar mit diesem Adjektiv heiligen. Nun ist das ja mit Religionen so eine Sache: Wissenschaftler finden bei ihnen Hinweise auf frühere Gesellschafts- und Rechtsformen, auf politische Entwicklungen oder Migrationsperioden. Eine besonders üppige Quelle sind ihre Konvolute, etwa Thora, Neues Testament, Koran oder hinduistische Veden, da in diesen nicht nur die kultischen Gepflogenheiten, sondern auch das jeweilige Menschenbild und Machtmodell beschrieben wurde.
Natürlich nehmen Historiker nicht alles für bare Münze, was sie in den religiösen Chroniken finden – ganz im Gegensatz zu den Gläubigen, die den frommen Narrativen, wie es heute so schön in Politik und Medien heißt, eins zu eins folgen. So fiel den Wissenschaftlern auf, dass die im Matthäus-Evangelium als Grund für die Remigration von Joseph und der mit Jesus schwangeren Maria angegebene Volkszählung des Kaisers Augustus erst sechs Jahre nach der Geburt des Knaben im lockigen Haar stattfand und sich für das Kindesmassaker, das Herodes angeblich anordnete, keinerlei seriöse Quellen finden und obendrein der böse Herrscher zum Zeitpunkt der Niederkunft bereits vier Jahre tot war. Das eigentliche Weihnachtswunder scheint die Tatsache zu sein, dass so viele Menschen felsenfest an eine so ungereimte Geschichte glauben.
Unsere christlichen Politiker, die deutscher Provenienz jedenfalls, stehen den Heilsverkündigungen des Neuen Testaments ebenfalls recht skeptisch gegenüber. Merz, Söder und Dobrindt können einfach nicht glauben, dass Flüchtlinge zu etwas Besserem als zu Wahlkampfmunition für die Rechtsextremen taugen. Also sorgen sie ganz in derem Sinne dafür, dass jeder potenzielle Messias ohne Aufsehen im Mittelmeer abhandenkommt, indem sie mit ihren EU-Kumpanen die Mittel für die Seenotrettung zusammenstreichen, und subventionieren diverse afrikanische Regimes, damit diese die ungeliebten Migranten in Internierungslagern verschwinden lassen, um so medienwirksame Kreuzigungen zu vermeiden. Diese Spielart des weihnachtlichen Geistes wird auch von der AfD präferiert, aber es ist fraglich, ob sich die blaubraunen Gesellen später einmal bei den Christunionisten dafür bedanken werden, dass diese die rechtsextreme Intoleranz und Misanthropie so bereitwillig salonfähig gemacht haben? Die Unionsspitze wird dessen ungeachtet mit Sicherheit „besinnliche Weihnachten“ feiern.
12/2025
Dazu auch:
Ein Weihnachtsmärchen im Archiv der Rubrik Medien (2022)