Putsch im Hause Söder?
Getrieben von chronischer Logorrhoe, beschwipst von lustvoller Dauerpräsenz auf allen Kanälen, seien sie öffentlich-rechtlich, privat oder sozial-medial, räumt Markus Söder, ungekrönter Wahlmonarch von Bayern, sich selbst das Recht ein, seine Meinung zu Gott und der Welt allen Bürgern kundzutun. Ob es sich um Deutschlands heimliche Feinde in Feld, Flur und Lüften, also Wölfe, Fischotter oder Drohnen, handelt, die er kurzerhand abschießen will, um die Muttersprache, deren patriarchalische Prägung er festschreiben möchte, oder um den Ausbau der Windkraft in Bayern (je nach Tagesform mal dagegen, mal dafür) – der CSU-Chef weiß stets vollmundig, aber folgenlos über sein kurzzeitiges Lieblingsthema zu schwadronieren. Im Bayernland mochte ihm lange niemand widersprechen, doch unversehens stellt ihn nun seine eigene Gesundheitsministerin bloß. Ist sie naiv genug, um an Söders Meinungsmonopol kratzen zu wollen, oder probt sie gar den Aufstand?
Wer den Sisyphos stört
Obligatorische Kreuze in Amt und Schule, Feldzug gegen die „Verbotskultur“ der Grünen, Heiligsprechung des finsteren Franz Josef Strauß trotz aller Sünden, Affären und Verbrechen – die Liste der Sujets, an denen sich Söder rhetorisch abarbeitet, ist schier endlos. Oft kann man/frau die lautstarke Besessenheit des Ministerpräsidenten, der so gerne Kanzler würde, mit nachsichtigem Lächeln quittieren, doch bisweilen kaschiert der umtriebige Franke mit unverhohlenem Selbstlob auch Fälle eklatanten persönlichen Versagens, die für Bayern teuer werden; etwa wenn er den Bau von 5000 günstigen Wohnungen ankündigt, von denen dann nur ein paar hundert fertiggestellt werden, wenn er die Windkraft zunächst ablehnt, dann angeblich fördert wie kein Zweiter, das Ergebnis indes gegen null tendiert, oder wenn er aus wahltaktischen Gründen eine Kosten- und Bauzeitüberschreitung bei der zweiten Stammstrecke der Münchner U-Bahn verschweigt, die das kommunale Projekt teurer und unpünktlicher in der Fertigstellung werden lässt als den ewigen BER-Flughafen und das Stuttgarter Eisenbahnloch ohne Boden.
Markus Söder, in seiner Heimat auch liebevoll der kleine Trump genannt, kündigt unablässig Vorhaben an, die nie verwirklicht werden, ändert ständig seine Meinung, wird vom Atomkraftaussteiger zum AKW-Fan, vom Baumumarmer zum Naturschutzgegner, ist mal gegen, mal für Stromtrassen aus dem Norden. Sein Glück ist, dass immer noch genügend Wähler über ein ebenso kurzes Gedächtnis verfügen wie er selbst. Aus der eigenen Partei hatte er kaum Widerworte zu befürchten. Zumindest bis vor kurzem…
Wie der Sagenriese Sisyphos rackert sich Söder permanent ab, nur dass ihm nicht ein Felsenstück, dessen Transport letztendlich misslungen ist, wieder entgegen rollt, sondern eine ganze Lawine aus gescheiterten Plänen, gebrochenen Versprechen und unsinnigen Projekten. Doch schon Albert Camus befand, dass man den mit seinem Scheitern voll und ganz ausgefüllten Sisyphos einen glücklichen Menschen nennen müsse, und tatsächlich scheint sich auch Markus im Pfuhl seiner Scherben ausgesprochen wohlzufühlen.
Schließlich kann er sich wieder seiner Lieblingsmarotte zuwenden und auf Social Media den maßlosen Gourmand (nicht etwa Gourmet) in der tollen Serie #Söderisst geben. Nun aber droht seinem pädagogischen Kreuzzug, durch den junge TikTok- oder Youtube-Nerds zu hemmungslosen Konsumenten ungesunder Tafelfreuden bekehrt werden sollen, Gefahr von der Parteikollegin Judith Gerlach, die er selbst zur bayerischen Gesundheitsministerin gemacht hat. Sollte er eine Natter an seiner breiten Brust genährt haben?
In Bayern geht Gesundheit anders
Eigentlich ist Judith Gerlach eine ganz normale CSU-Karrierefrau aus Unterfranken mit dem zukunftsträchtigen Steckenpferd aller Polit-Parvenüs, das Digitalisierung heißt. Doch nicht auf diesem Sektor wollte Söder die gelernte Juristin an seiner Seite sehen, sondern im Landesministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention, in dem sich schon andere illustre Leute austoben durften (Holetschek, Huml etc.). Gerlach aber nahm das Hauptanliegen der New-Tech-Generation, nämlich die „Verschlankung“ von Verwaltung, Staat und kritischem Denken, mit ins neue Ressort und übertrug es dort auf die heranwachsenden Bajuwaren.
Das Gesundheitssystem stehe vor großen Herausforderungen, barmte Gerlach und macht dafür in erster Linie „Fehlernährung“ dingfest. Da gesundes Essen genauso wichtig sei wie körperlich-seelische Fitness, verwies sie auf einen Speiseplan-Check, den das Agrarministerium unter der CSU-Kollegin Michaela Kanniber allen Schulen anbiete. Damit schon die Jüngsten erführen, dass auch gut zubereitetes Gemüse schmecken kann. Dies würde Judith Gerlach gern zu einem „großen Vorsorgeplan für alle Menschen im Freistaat“ ausweiten und schlägt vor, die Mehrwertsteuer für frisches Obst und Gemüse kurzerhand abzuschaffen.
Wie bitte, Obst, Gemüse, Speiseplan-Check? Nicht etwa Leberkäse, Presssack und Schweinshaxen? Wie grün-versifft und öko-moralinsauer dürfen denn die beiden Nachwuchs-Ministerinnen daherkommen? Das klingt fast nach einer Palastrevolution im Hause Söder. Hat sich nicht der oberste Bayer in den Social Media tapfer durch Berge von Nürnberger und Thüringer Rostbratwürsten gefressen, Döner verschlungen (der alte Kosmopolit!) und das Loblied auf Rindersteak und Schweineschnitzel gesungen, um seinen TikTok- und Meta-Jüngern (vor allem den Jüngeren unter ihnen) zu demonstrieren, wie sich Lederhosen und Dirndln prall und appetitlich füllen lassen, wie Wadeln stramm und Mieder weit werden? So ist Söder mit viel Gaumen- und Mageneinsatz zum führenden Karnivoren-Influencer der Republik aufgestiegen, so wurde er zum Schutzpatron der Viehzüchter, quasi zum Heiligen Markus der Schlachthöfe (äußerst frei nach Brecht).
Und nun droht diese des radikalen Veganismus nicht ganz unverdächtige Judith Gerlach den altbayerischen Dreiklang Schweinernes, Bier und CSU zu stören. Da wird Söder die gichtkranken und adipösen Oktoberfest-Bataillone sowie die Creme der Weißwurstvernichter mobilisieren müssen, sonst steht ihm noch Schlimmeres ins Haus.
Söder für Schüler künftig verboten?
Ideologisch verblendete VegetarierInnen sind nämlich nach CSU-Lesart lustfeindlich und fanatisch, sie könnten das bayerische Volk zwischen Alpen und Rhön auf karge Diät setzen, ihm das für systematischen Gewichtsaufbau und imposanten Taillenumfang unerlässliche tierische Fett gänzlich verbieten – und mit den noch nicht vor grüner Einflüsterung gefeiten Mädeln und Buben würden sie anfangen.
So ist nicht auszuschließen, dass GesundheitsapostelInnen wie Gerlach und Kanniber das Abspielen von #söderisst-Spots in Schulen künftig wegen des Verdachts auf Verführung Minderjähriger zur Fettleibigkeit untersagen. Man sieht förmlich vor sich, wie vom „Genuss“ kargen Grünzeugs abgemagerte Pennäler unter den Pulten heimlich den von seinen eigenen Kolleginnen diskriminierten Großvertilger von Speck, Schwarte und Fleischküchle bei TikTok auf ihren Handys anklicken, während vorn an der Tafel eine verhärmte Lehrerin sie mit Plattitüden über den Nährwert der Schwarzwurzel zu indoktrinieren sucht.
Aber Söder wird schon etwas einfallen. Vielleicht ändert er kurzzeitig seine Meinung, geriert sich als Guru des fleischlosen Daseins, um dann mit einer seiner berühmten Kehrtwenden wieder zur Schlachtschüssel zurückzueilen, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass in den überfüllten Ställen Zehntausende von Schweinen und Ochsen sich nichts sehnlicher wünschen, als endlich von einem Bolzenschuss erlöst zu werden. Die Rolle retour hat er schließlich auch beim Rücktritt vom Austritt aus der Kernenergie brillant gemeistert.
Vielleicht kann sich so unser Markus noch einmal die grünlichen Megären im eigenen Kabinett vom Wanst halten. Wenn aber dereinst sein politischer Stern nach dem vierten vergeblichen Versuch, Kanzlerkandidat der Union zu werden, am Horizont verglimmt, wird ihm eines gewisslich bleiben: die lebenslange Ehrenmitgliedschaft in der Metzgerinnung.
10/2025
Dazu auch:
Fabel vom Wolf Markus im Archiv von Helden unserer Zeit (2019)