| Krieg den Kritikern „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ forderte 1834 der geniale Dramatiker Georg Büchner im Hessischen Landboten. Knapp 200 Jahre später muss man konstatieren, dass sich das Postulat nicht umsetzen ließ: Wo immer man hinsieht, prunken die Chalets der Oligarchen und Traumvillen der neuen Medien-Moguln in bevorzugter Lage, während der soziale Wohnungsbau darniederliegt. Ein anderer Krieg aber nimmt Furor auf, der gegen Ungehorsame, Aktivisten für soziale Gerechtigkeit sowie Umweltschutz und Kritiker des gesellschaftlichen Status quo. Wie seinerzeit hätte der Flüchtling Büchner auch heute die Rache der Mächtigen, die sich auf die Assistenz der Justiz und Exekutive stützen können, fürchten müssen.
Zugegeben: Kritik der vorherrschenden Mainstream-Politik so deutlich und wahrnehmbar zu äußern, dass sie in größeren Teilen der Bevölkerung diskutiert oder sogar geteilt wurde, war auch später in den bürgerlichen Demokratien noch nie einfach – die Medienmacht der Wirtschaftslobbyisten und die schier unbegrenzten Ressourcen der Industrie, der Handelsketten oder auch von Seilschaften innerhalb der Parteien wirkten einfach allgegenwärtig. Immerhin durften intellektuelle Zweifler noch ihre Meinung in der Öffentlichkeit verbreiten, ohne Folgen fürchten zu müssen. Die hehren Sinnsprüche berühmter Männer wie Willy Brandt oder John F. Kennedy waren noch in aller Ohren, und die Aufforderung „Mehr Demokratie wagen!“ schien ebenso wie der Appell, „Zivilcourage“ zu zeigen, den Weg in einen toleranteren und dialektischen Diskurs zu weisen. Heute regiert (zum zweiten Mal) ein Präsident im Weißen Haus, der zuvor als Moderator der TV-Reality-Show „The Apprentice“ jedem Azubi-Praktikanten, der ihm zu widersprechen wagte, die berühmt gewordenen Worte „You`re fired!“ ins Gesicht schleuderte. Dass auch Friedrich Merz kein Freund des offenen Diskurses (soweit er ihn nicht selbst lenkt) ist, bewies er kurz nach der gewonnenen Bundestagswahl, als er die Auflistung der NGOs, die umweltpolitische Frevel der staatstragenden Parteien oder das Faible für Großspenden in den Reihen der Union ins Visier genommen hatten, einforderte, augenscheinlich mit der Intention, die Unbotmäßigen abzustrafen. In den USA werden mittlerweile ausländische Studenten, die an Demonstrationen gegen den israelischen Rachefeldzug in Gaza teilgenommen haben, kurzerhand deportiert, und auch in der BRD geraten junge Leute, die zwar das Existenzrecht des jüdischen Staates ohne Wenn und Aber verteidigen, aber gleichzeitig gegen die von der berüchtigten Netanjahu-Regierung befohlenen Kriegsverbrechen protestieren, in den Ruch des Antisemitismus. Wer Putins semi-zaristischen Expansionsfeldzug als völkerrechtswidrig geißelt, aber in bester dialektischer Manier zu bedenken gibt, dass auch die NATO an der vorausgegangenen Eskalation (sprich: Osterweiterung um jeden Preis) nicht ganz unschuldig war, wird von den Hütern der offiziösen Wahrheit, die ungezügelter West-Aufrüstung das Wort reden, ebenso ins Abseits gestellt wie von rechtsradikalen Putinisten und altgedienten Sowjet-Nostalgikern, die im neuen russischen Oligopol immer noch sozialistische Spurenelemente erahnen. Bei der staatshalber inkriminierten Kritik, die hier gemeint ist und verteidigt wird, handelt es sich natürlich nicht um die Destruktionsphantasien psychotischer Verschwörungstheoretiker oder die rechtslastige Verbreitung alternativer Wahrheiten von BILD bis Vance, sondern um Versuche, systemische Ungerechtigkeit ins Bewusstsein zu rücken und – wo möglich – Abhilfe zu schaffen. Erfolgreich sind allerdings leider die zuvor genannten Misanthropen, denn ihrer Agenda folgt die „seriöse“ Politik, die um Wählerstimmen fürchtet, eher als den Anmahnern sozialer Vernunft. Letzteren droht bisweilen sogar Gefahr für persönliche Freiheit, berufliche Perspektive oder physische Gesundheit. Die Kriminalisierung zivilen Ungehorsams Es gibt Formen des Protests, die man/frau nicht unbedingt für geeignet halten muss, auch wenn Anlass und Grund durchaus verständlich sind. So ist es fraglich, ob die meist jungen Leute, die sich auf Straßen festklebten, um ausuferndem und schädlichem Individualverkehr eine Besinnungspause aufzuzwingen, die in der Mehrzahl schnell über Petitessen empörten Bürger davon überzeugen können, dass die Ignoranz der Regierenden angesichts fortschreitender Umweltzerstörung das eigentliche Verbrechen ist. Die aus nachvollziehbarer Verzweiflung zu möglicherweise untauglichen Mitteln greifenden Täter werden mit aller Härte des Gesetzes verfolgt. Politiker unterstellen ihnen gar, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben – ein Vorwurf, der ihnen beim professionell organisierten 40 Milliarden schweren Cum-Ex-Raub von Steuergeldern mit Duldung mehrerer Bundesfinanzminister nie über die Lippen kam. Wie üblich werden in den USA stärkere Kanonen gegen Unbotmäßige Ökologen und Linke aufgefahren: Weil ihre Aktivisten 2016 und 2017 gegen die Ölpipeline Dakota Access, die vertragswidrig durch indigenes Stammesland verlegt wurde, demonstriert hatten, wurde die Umweltorganisation Greenpeace wegen „Verleumdung“ und Organisation des Protests zu Schadenersatz in Höhe von 660 Millionen Dollar an den Betreiberkonzern Energy Transfer verurteilt. Die neunköpfige Geschworenenjury in North Dakota hatte ganz im Sinne von Donald Trump, der zu Beginn seiner ersten Präsidentschaft den Weg für das Projekt freigemacht hatte und auch jetzt sein Credo „Drill, Baby, drill!“ wie einen Kinderreim permanent wiederholt, entschieden. Erst vor wenigen Tagen war der Bürgermeister der Großstadt Newark, Ras Baraka, vorübergehend festgenommen worden, als er mit mehreren Kongressabgeordneten gegen ein neues Abschiebungszentrum, mit dem die Trump-Administration den Bundesstat New Jersey beglücken will, demonstrierte. Wer angesichts solcher Nachrichten wütende oder zumindest nachdenkliche Reaktionen aus der US-Presse erwartet, sieht sich zumindest partiell enttäuscht: Die Washington Post, einst das Flaggschiff des investigativen Journalismus, wurde vor drei Jahren von Multi-Milliardär Jeff Bezos gekauft und schippert seitdem mit eingezogenen Segeln in seichten Gewässern. Der Amazon-Chef, der sich früher mit Trump sogar vor Gericht gezofft hatte, ist wie andere Tech-Magnaten seiner Liga, etwa Elon Musk oder Mark Zuckerberg, unter die Fittiche des väterlichen Freundes der Superreichen im Weißen Haus geschlüpft. Seine Redakteure wurden darauf eingeschworen, nichts Negatives mehr über die US-Wirtschaft zu schreiben, Kritik an Schutzpatron Donald verbietet sich von selbst. Trump geht voran – Merz folgt Schon im Wahlkampf hatte Trump allen, die ihm widersprachen, Rache angekündigt. Und wie einst in der TV-Serie „The Apprentice“ entfernte er alle ausgewiesenen oder potenziellen Kritiker aus seinem Olymp, nahm sich die Universitäten, das bockige Harvard zuvörderst, vor und deutete an, in welche Richtung Wissenschaftler zu forschen hätten (jedenfalls nicht mit Klimawandel oder Gendergerechtigkeit im Fokus) . Ein wenig erinnerte die Revanche, die Friedrich Merz nach gewonnener Wahl an aufmüpfigen und die Christenunion wegen Klientelwirtschaft attackierenden NGOs zu üben suchte, an das Vorgehen des US-Präsidenten. Selbstverständlich wählte der Kanzler in spe einen bescheideneren Rahmen und vor allem leichtere Gegner, denen es an materiellen Ressourcen und an dem weltweiten Bekanntheitsgrad von Harvard mangelte. Dabei ließ er sich von den Steuerbehörden und dem Bundesfinanzhof (BFH) inspirieren, die Organisationen wie Attac oder Campact die Gemeinnützigkeit entzogen hatten und sich möglicherweise demnächst in gleicher Absicht mit der Deutschen Umwelthilfe (DHU) und Eko beschäftigen werden. Die Finanzämter und der BFH interpretierten bei den bisherigen Entscheidungen die im § 52 der Abgabenordnung (AO) angeführten 25 Kriterien der Gemeinnützigkeit von Vereinen recht geschmäcklerisch (um nicht von Willkür zu sprechen): Gemäß der AO zählt u. a. die Förderung von Wissenschaft und Forschung, des Gesundheitswesens, der Unfallverhütung, des Tierschutzes, der Toleranz und des Verbraucherschutzes dazu. Welcher Politiker in öffentlicher Funktion kann von sich behaupten, mehr gegen die CO2-Belastung auf den Straßen und damit für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung getan zu haben als die DUH mit ihren Klagen vor Gericht oder intensiver für Toleranz, also gegen die Rassisten der AfD, gekämpft zu haben als Campact mit diversen Aufrufen und Unterschriftenaktionen? Der Trend geht nämlich eher dahin, dass die großen Parteien des bürgerlichen Spektrums die Autobauer begünstigen und sich die Forderungen der Rechtsextremisten in puncto Migration (bzw. deren Verhinderung) zu eigen machen. Ihre Stiftungen, werbewirksame Beschäftigungsmaschinen für verdiente Mitglieder, aber gelten dennoch weiterhin als „gemeinnützig“, ebenso wie Wehrkundemuseen privater Rüstungskonzerne oder volkstümelnde Schützenvereine. Campact hingegen wurde dieser Status abgesprochen, und der DUH droht Gleiches. Nach einigen Prozessen, die der Staat bzw. die Kommunen gegen die Umwelthilfe verloren haben, befand nun die Union, es sei wohl am geschicktesten, die Organisation pekuniär zu schwächen. Wenn sie nämlich die Gemeinnützigkeit verliert, können Geber ihre Spenden nicht mehr von der Steuer absetzen. Zudem fallen Vergünstigungen bei der Umsatz- und Körperschaftssteuer weg. Ein Vorgehen, das bei mit der Materie befassten Juristen auf Kopfschütteln stößt. In einem Interview mit der „Rheinischen Post“ erklärte Prof. Rainer Hüttemann, Experte für Gemeinnützigkeits- und Stiftungsrecht, ob eine Organisation wie die Umwelthilfe gemeinnützig sei, hänge nicht von politischen Einschätzungen, sondern allein davon ab, ob sie die in der AO bestimmten Voraussetzungen erfülle. Das Berliner Finanzamt begründet seine Entscheidung gegen Campact recht eigenwillig: Die Behörde habe sich nicht davon überzeugen können, dass der Verein im Wesentlichen die Aufgabe der Information der Öffentlichkeit über politische Prozesse übernommen habe. In aller Bescheidenheit möchte man die gestrengen Fiskaljuroren fragen, ob sie denn glauben, dass ohne NGOs wie Greenpeace, Abgeordnetenwatch oder Campact der Klimawandel, der übermächtige Lobbyismus oder die Gefahr von Rechtsaußen sowie die dubiose Reaktion der Politik (oder deren völliges Fehlen) überhaupt ins Bewusstsein der Bevölkerung gelangt wären. Weiter führte die Berliner Steuerbehörde gegen Campact ins Feld, dass im Vordergrund der Vereinstätigkeit nicht die Information über, sondern die Einflussnahme auf politische Prozesse stehe. Nach dieser Begründung ist es statthaft, eine Schweinerei zu beschreiben, nicht aber gegen sie vorzugehen. Bei nicht inkriminierten gemeinnützigen Vereinen wie der Konrad-Adenauer-, der Friedrich-Ebert- oder der Hans-Seidel-Stiftung herrscht demnach heilige Neutralität vor und nicht der Impetus, die politischen Ziele von CDU, SPD oder CSU unters Volk zu bringen oder Bündnispartner für Parteiinteressen im In- und Ausland zu rekrutieren. Das langsame Aushungern unbequemer NGOs, indem man die einzigen Geldquellen, die ihnen als Non-Profit-Opposition zur Verfügung stehen, kappt, ist die „feine“ Klinge, mit der Merz für Ruhe im Staat sorgen will. Das unterscheidet die Bundesrepublik zumindest formal von den Vereinigten Staaten, wo Trump in brachialer Diktion gleich von sofortiger Vernichtung aufmüpfiger Geister spricht. 05/2025 Dazu auch:
Die Rache des Staates im Archiv von Politik und Abgrund (2019) |
| |||