Nicht völlig irre…


Man/frau kann Donald Trump Intellekt im klassischen Sinn, also die Fähigkeit zu Reflexion, (Selbst)Kritik oder perspektivischem Denken, absprechen, was er aber immer wieder demonstriert, sind seine Bauernschläue, wenn es um schmuddelige Finanztransaktionen geht, und sein Talent zu disruptiver Action, das sich in für ihn selbst vorteilhaften Deals manifestiert. So erratisch der von ihm losgetretene internationale Zollstreit auch wirken mag – es stecken doch ein infames Kalkül und taktische Überlegung hinter diesem Manöver. Zumindest aber profitieren er und seine Buddies  pekuniär davon, und die ersten devoten Reaktionen der Opfer stärken seine Verhandlungsposition und sein Image weiter.


Konzept aus dem Manchester-Kapitalismus


Mag Donald Trump auch vom hektischen Dominanzstreben der Tech-Oligarchen und den dystopischen Verschwörungstheorien seiner chauvinistischen Anhänger getrieben sein und damit einem neuen chaotischen Zeitgeist huldigen, zur Durchsetzung seiner  Vorstellungen von der künftigen Größe der USA greift er auf ein Konzept zurück, das Großbritannien bereits im vorletzten Jahrhundert entwickelt hatte und das in abgeschwächter Form auch von den EU-Ländern oder der VR China befolgt wird.


Das Empire baute in der Ära des ohne jede Rücksicht auf die Bedürfnisse der Bevölkerung entfesselten Manchester-Kapitalismus seine erdumspannende Handelsmacht dadurch aus, dass es die industrielle Produktion von Gütern auf die Mutterinsel konzentrierte und die übrigen Länder zu bloßen Lieferanten der wichtigen Rohstoffe – mochte es sich um Metalle, Dünger, Kautschuk oder Tee handeln – und Abnehmer überteuerter britischer Exporte degradierte. Da verarbeitete und veredelte Ware stets höhere Preise erzielt als Material im Rohzustand, konnten die Briten bald die Handelsregeln nach ihrem Sinn festlegen. Widersetzten sich einzelne Staaten, initiierte oder finanzierte London Kriege gegen sie. Länder wie Paraguay und Bolivien mussten damals die leidvolle Erfahrung machen, dass eine autarke nationale Produktion oder Nutzung der heimischen Bodenschätze vom Empire hart bestraft wurde.


Statt auf Gewehrläufe will sich Trump heutzutage lieber auf Schutzzölle verlassen. Im Rostgürtel entlang der Großen Seen verrotten die Fabrikzentren, die USA fertigen nur noch wenig, importieren dafür aber viel. Die Bürger fahren japanische oder deutsche Autos und nutzen chinesische Hardware. Trump (hier ganz Old Economy) möchte das ändern, indem er Güter bei der Einfuhr derart verteuert, dass sich die Geschäfte für fremde Konzerne künftig nicht mehr lohnen. So möchte er deren Produktion ins eigene Land holen, durch Zwang die USA wieder zum internationalen Produktionszentrum, quasi zum Nabel der Industriewelt, machen und im Nebeneffekt neue Jobs schaffen, was ihm sogar Lob von den Gewerkschaften, mit denen er sonst nichts am Hut hat, eintragen würde.


Bedenken, dass es in den Vereinigten Staaten an gut ausgebildeten Facharbeitern fehlt, dass dort die Produktionskosten für ausländische Konzerne zu hoch sein können, interessieren Donald Trump nicht – und es gibt Anzeichen, dass seine brachiale Vorgehensweise Früchte trägt: So sind die EU-Länder angesichts der Zollandrohung schon zu allerlei Kompromissen bereit, und während Präsident Macron den Exodus französischer Großkonzerne in die USA per Gesetz verhindern will, kündigt der Schweizer Pharma-Riese Novartis an, binnen fünf Jahren 23 Milliarden Dollar in kalifornische Produktionsanlagen zu investieren.


Die Börse wie ein Spiel beherrschen


Dass die Ankündigung unmäßiger und zum Teil willkürlich gestaffelter Erhöhungen von Importzöllen, die temporäre Aussetzung oder – konträr dazu - in einzelnen Fällen weitere Steigerungen (China, Vietnam) die Börsen in ein Chaos gestürzt haben, lässt Trump kalt. Im Gegenteil: Der Präsident tritt wie ein Zocker auf, der das Spiel beherrscht und für seine Freunde und sich selbst wieder einmal einen guten deal durchgezogen hat.
Nachdem Trump mit seiner Ankündigung die Aktienmärkte in eine tiefe Baisse gestürzt hatte, sorgte er mit der Aussetzung der Zollerhöhungen für einen rasanten Aufschwung. Nur vier Stunden vorher hatte er auf seiner Internet-Plattform Truth Social einen Tipp hinsichtlich seiner Firma Trump Media & Technology Group (Aktienkürzel DJT) veröffentlicht: „Dies ist eine großartige Zeit zum Kaufen!!! DJT“. Der Kurs der Papiere stieg noch am selben Tag um 22,67 Prozent, am Abend war der Mann, dem von den Wählern das Wohl des Landes anvertraut worden war, um 415 Millionen Dollar reicher.


Da die Tesla-Aktien noch etwas höher stiegen, hatte Trumps Mäzen und Assistent Elon Musk zur gleichen Zeit sein Vermögen um etwa 20 Milliarden vermehrt. Der Präsident, der die Börsenkurse offensichtlich durch seine vermeintlich wirren Ankündigungen manipuliert hatte, veröffentlichte ein Video auf X, das ihn im Oval Office zeigte, als er auf einen anderen Kumpel, den Milliardär Charles Schwab, deutete und sagte: „Er hat heute 2,5 Milliarden gemacht.“


Da mochten demokratische Kongressabgeordnete und Ökonomen wegen des Verdachts auf Insider-Handel toben und Richard Painter, der ehemalige Ethik-Anwalt des Weißen Hauses, darauf hinweisen, dass eben dieser verboten sei – vergeblich. Trump ist ein notorischer Gesetzesbrecher, aber einer, der fast immer straffrei bleibt.


Die Fassade hinter der Fassade


So annulliert ein US-Präsident zur Freude evangelikaler Fanatiker die Rechte unterprivilegierter Menschen, Angehöriger ethnischer Minderheiten oder der queeren Community, diskriminiert Journalisten und Kritiker, entzieht Wissenschaftlern, Umweltschützern oder Künstlern die Existenzgrundlage, und doch muss man ihm für einen Nebeneffekt seines anti-kulturellen Kreuzzugs dankbar sein. Das Make-up des neoliberalen Systems zerbröckelt, die Fassade einer wohlanständigen Marktgesellschaft weist dank Trumps zerstörerischer Energie klaffende Risse auf.


So anarchisch seine Methoden wirken mögen und so scheinbar planlos er vorgeht, so geschickt und gierig sichert er sich und seinesgleichen schnelle Profite und kurzfristige Vorteile. Das ist nicht neu; auch in der angeblich seriösen Politik hierzulande haben sich etliche Protagonisten, von Amthor über Lindner bis zu Scholz, für die Interessen von Konzernen und Investoren einspannen lassen, nicht immer ganz legal und sicherlich nicht zum eigenen Schaden. Sie haben eleganter agiert als Trump, aber bei weitem nicht so erfolgreich.


Auf die These, dass der US-Berserker die Baufälligkeit unseres gesellschaftlichen Gebäudes sichtbar gemacht habe, werden bürgerliche Kolumnisten mit dem Hinweis reagieren, bei uns ginge es trotz aller persönlichen Verfehlungen noch um Inhalte und Perspektiven. Sie mögen sich die Inhalte des neuen Koalitionsprogrammes zu Gemüte führen, die de facto  das Ende eines wirksamen Natur- und Klimaschutzes und die Mehrung der Kapitalmacht zu Ungunsten sozial Schwächerer bedeuten. 


Hinter den Breschen, die Trump in die Fassade der vorgeblichen Seriosität geschlagen hat, wird eine zweite Fassade wirtschaftsliberalen Verantwortungsbewusstseins erkennbar. Und die wackelt auch, denn dieses System ist nicht für Nachhaltigkeit oder ökonomische Gerechtigkeit gemacht und könnte genau deshalb irgendwann von den geistfeindlichen Sozialdarwinisten der äußersten Rechten (allesamt Trump-Fans) überrannt werden.


04/2025


Dazu auch:


Trumps Jünger im Archiv der Rubrik Helden unserer Zeit (2017)