Richard Yates

Loss of Happiness

 

„Keine der Grimes-Schwestern sollte im Leben glücklich werden…“ Wer einen Roman („Easter Parade“), der das Leben eben jener beiden Frauen zum Inhalt hat, so kategorisch desillusionierend beginnt, muss über besondere erzählerische Fähigkeiten verfügen und eine allegorische Idee menschlichen Scheiterns in einer oberflächlichen Gesellschaft packend vermitteln, um die Leser, die doch um das bittere Ende schon wissen, bei der Stange halten zu können. Richard Yates, Chronist der Gestrandeten des American Dream, hatte das stilistische Vermögen und die gestalterische Kraft, in seinen Romanen und Erzählungen das Versagen oder die Chancenlosigkeit der Protagonisten so darzustellen, dass die Rezipienten in seinen Bann fielen – obwohl sie ahnten, dass seine Helden kaum glücklicher enden würden als die Grimes-Schwestern.

 

Yates zählt, wie etwa auch John Williams („Stoner“), zu jenen großen US-Autoren, die nach kurzzeitigem Erfolg rasch wieder in der Versenkung verschwanden, um erst Jahrzehnte später (postum) wiederentdeckt zu werden. Seine beiden Erzählungsbände „Elf Arten der Einsamkeit“ und „Verliebte Lügner“ werden heute in eine Reihe mit den Werken der bahnbrechenden Storyteller John Cheever und Raymond Carver gestellt, ja sogar mit den „Dubliners“ von James Joyce verglichen. Die Renaissance des Literaten Richard Yates aber verdankt sich vor allem der Neuauflage und Verfilmung seines Romans „Zeiten des Aufruhrs“ knapp ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Erscheinen (1961).

 

Der amerikanische Originaltitel „Revolutionary Road“ verweist deutlicher als die deutsche Benennung auf das alle seine Bücher prägende Hauptthema des aus New York stammenden Autors: Die Vorortstraße, an der die Wheelers leben, ist nämlich nach dem Aufstand gegen die englische Kolonialherrschaft benannt, nach George Washingtons Revolution, deren Ziele in einer Unabhängigkeitserklärung festgehalten sind, die jedem Amerikaner das Recht auf "Pursuit of Happiness“ garantieren soll. Bald aber wird die scheinbar sorgenfreie Middleclass-Familie lernen, dass in einer oberflächlichen, von Party-Ritualen gekennzeichneten Mittelschicht das Streben nach Glück, nach Selbstverwirklichung und kreativem Anspruch ein leeres Versprechen bleiben muss.

 

Während Frank sich damit abfindet, mit sinnentleerter Arbeit genug Geld zu verdienen, will seine Frau April, die den Daseinszweck nicht nur als Mutter ihrer beiden Kinder erfüllt sieht, sondern künstlerische Ambitionen hegt und als Amateur-Schauspielerin in modernen Dramen reüssiert, aus dem Mief des American Way ausbrechen und die ganze Familie nach Paris verfrachten. Doch sie entkommen dem Land nicht, das Senator Joseph McCarthy, der Kommunistenjäger, gerade mit einer Hexenjagd „wie ein wucherndes Krebsgeschwür überzogen“ hat. Der zögerliche Frank ist nicht unglücklich, das gemeinsame Abenteuer verschieben und später endgültig ad acta legen zu können, aber April will ihr Scheitern nicht hinnehmen.

 

In seinem zweiten Roman „Eine besondere Vorsehung“ nimmt der junge Robert Prentice am Vormarsch der alliierten Truppen auf Hitler-Deutschland trotz des Fronteinsatzes auf eine eher unspektakuläre Weise teil; statt im heroischen Einsatz sterben die Soldaten durch Minen, oder sie erkranken an Lungenentzündung, und die militärischen Hierarchien wie Etikette entbehren aller Logik. Immerhin kann Robert der Vereinnahmung durch seine Mutter Alice, eine erfolglose Bildhauerin, die sich einen glamourösen gesellschaftlichen Status erträumt, den sie nie erreichen wird, für immer entkommen. Die Vorstellungen und Wünsche, die auf ein freies oder wenigstens ausgefülltes Leben gerichtet sind, bleiben, wie meist bei Yates, unerfüllt. Der Schatten des Krieges fällt in „Eine gute Schule“ auch über die Dorset Academy, an der einpaar Jugendliche ihre kreativen und emotionalen Sonderwege einschlagen können. Dann greifen die Japaner Pearl Harbour an, und die Army benötigt Rekruten...

 

Wie bei den meisten bedeutenden Schriftstellern sind auch bei Yates Versatzstücke der eigenen Biografie in Handlung und Szenerie der sieben Romane eingewoben. Seine Heimat, die Umgebung von New York, liefert oft die Schauplätze, die eigene Erfolglosigkeit wird vom Unglück oder Versagen seiner Protagonisten reflektiert, und auch die Alkoholprobleme, unter denen er lange Jahre litt, thematisierte er in „Ruhestörung“ wie ein Arzt, der die endgültige Heilung des Trinkers per se ausschließt. Yates bauscht die Geschichte eines menschlichen Abstiegs nicht dramatisch auf – dem Leser schwant aber bald, dass auch die Phasen der Hoffnung kurze Perioden bleiben werden. Die Spannung bezieht der Roman aus den Kämpfen um Liebe und Anerkennung, deren Vergeblichkeit ein durchaus begabter, wenn auch nicht eben sympathischer Mann im Käfig der sozialen Konventionen so klar erkennt, dass er seinen Scharfblick lieber mit Alkohol mildert.

 

Das neben „Revolutionary Road“ vielleicht erschütterndste Buch von Yates ist „Easter Parade“, weil hier im ruhigen, leicht resignativen Grundton des Beobachters gleich von zwei Wegen zur Verwirklichung des Amerikanischen Traums erzählt wird, die beide in die Irre führen, was den begründeten Eindruck entstehen lässt, dass in einer Gemeinschaft ohne geistige Tiefe und sinnvolle Kommunikation nicht die Person hauptsächlich für ihr Scheitern verantwortlich ist, sondern eine ignorante Umgebung. Während Sarah Grimes den üblichen Weg geht und eine vermeintlich „gute Partie“ per Hochzeit macht, ist ihre jüngere Schwester Emily zunächst im Beruf erfolgreich und bleibt trotz diverser Liebesbeziehungen unabhängig, ohne zu registrieren, dass ihr Einsamkeit droht und auch die ökonomische Basis wegbröckelt. Die beiden Frauen sind in einer Welt, in der Status und Image die Inhalte ersetzen, auf der Suche nach einer seelischen und geistigen Perspektive; ihr Untergang vollzieht sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit, bei der einen in physisch-brutaler Weise, bei der anderen langsam schleichend und das Gerüst der Selbstachtung demontierend.

 

Man könnte „Eine strahlende Zukunft“ einen Roman aus dem Künstlermilieu nennen, würden die beschriebenen Artisten nicht für alle ambitionierten und kreativen Menschen stehen, die sich gleich zu Beginn vom System kaufen lassen oder langsam vom Markt korrumpiert werden oder sich zu Meisterwerken quälen wollen und dabei in ohnmächtiger Frustration ihre Familie, ihre Freundschaft und Liebe aufs Spiel setzen. Erst nach etlichen Jahren erkennt der Lyriker Michael Davenport, dass es nicht auf das Ende der Geschichte ankommt und akzeptiert das Diktum seiner (Noch)Lebensgefährtin Sarah: „Jeder ist im Grunde allein.“

 

Fünfzehn Jahre nach „Revolutionary Road“ schrieb Richard Yates 1986 seinen letzten Roman, „Cold Spring Harbor“, der wieder die Glücksuche und Enttäuschungen von Angehörigen der Mittelschicht als Sujet hat, nur dass diesmal die Protagonisten ein paar Sprossen niedriger auf der Gesellschaftsleiter angesiedelt sind. Und jetzt wird auch nicht mehr über Selbstverwirklichung nachgedacht, dazu fehlen die passenden Worte und die Partner für eine klärende Kommunikation. Dementsprechend interagieren Hilflose und Egoisten, Täter und Opfer ohne ansatzweises Verständnis füreinander, bis es sogar zu physischer Gewalt kommt.

 

Richard Yates musste registrieren, das nach der enormen Beachtung seines Romanerstlings die darauffolgenden Bücher wie Blei in den Regalen lagen, bis sie überhaupt nicht mehr aufgelegt wurden. Er hielt sich als Ghostwriter(u. a. für Robert Kennedy), Werbetexter und Dozent für Kreatives Schreiben an Provinz-Universitäten über Wasser, was sicherlich nicht seinen künstlerischen Intentionen entsprach, ihm aber anderseits viel Material für seine  Menschliche US-Komödie geliefert haben dürfte. Andere Autoren, die thematisch gar nicht so weit von seinem Claim entfernt gruben, aber nie so tief kamen wie er, machten unterdessen Karriere.


 

Auch John Updike, Richard Ford und Philip Roth schrieben über Glanz und Elend der Bewohner von Suburbia, aber sie betrachteten ihre Helden entweder aus ironischer Distanz, erotische Husarenstücke und Pleiten inbegriffen, oder sie zeichneten Teilzeit-Hysteriker, in denen man des Öfteren das Alter Ego des jeweiligen Schriftstellers zu erkennen meinte. Keiner aber hat die handelnden Personen so ernst genommen wie Richard Yates, und aus dieser Seriosität den Charakteren gegenüber, gepaart mit Empathie, resultiert das packende Drama des Einzelnen in einer gleichgültigen Umwelt. Lakonisch erzählt er von einer Gesellschaft, in der geschwätzige Sprachlosigkeit dominiert, in der menschliche Loyalität immer gegen die souveräne Glätte des Insidertums verliert, die unangepasste und (selbst)kritische Individualisten beinahe zwangsläufig zur Isolation, zum sozialen Abstieg verurteilt. Als Richard Yates 1992 im Alter von 66 Jahren starb, war er fast vergessen.


 

 

01/2016